Läuterung in Israel
„Hannas Reise“ ist ein klischeeüberladener Film ohne roten Faden
Offenbar konnte sich die Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz nicht entscheiden, worum es in ihrem Film eigentlich gehen sollte. Deshalb geht es in „Hannas Reise“ jetzt um ganz vieles.
Es geht um eine ehrgeizige BWL-Studentin, die vor lauter Leistungsdruck und Workaholismus keine Zeit hat, eine richtige Beziehung zu führen und Probleme mit einer Mutter hat, die sich in ihrer Hippie-Phase zu wenig um ihre Tochter kümmerte. Wie die Tochter aus karrieretechnischen Erwägungen einen sozialen Dienst in Israel verrichtet und dort „von der deutschen Vergangenheit eingeholt“ wird. Um eine komplizierte israelische Gesellschaft mit traumatisierten Soldaten und viel sozialer Ungerechtigkeit. Und darum, wie – einmal wieder – die deutsch-jüdische Versöhnung in Form einer deutsch-israelischen Liebe vollendet wird. Dabei bedient der Film so viele Klischees, dass es wehtut.
Behinderte Juden zählen doppelt
Der einzige rote Faden, der sich in dem Film Hannas Reise finden lässt, ist der flache Humor. Kurz vor ihrem BWL-Abschluss will Hanna Eggert (Karoline Schuch) ihren Lebenslauf mit dem Nachweis einer sozialen Tätigkeit aufpeppen. Im Vorstellungsgespräch behauptet sie, in den kommenden Semesterferien einen Freiwilligendienst in einer israelischen Behinderteneinrichtung abzuleisten. Denn, so erklärt sie ihrem nicht minder karriereorientierten Freund: „Juden sind immer gut, und behinderte Juden zählen doppelt.“ Warum das lustig ist? Das bleibt das Geheimnis der lachenden Kinobesucher. Denn ohne die Erwähnung von Juden funktioniert der Witz vermutlich nicht. Man darf dem Publikum unterstellen, dass es nur deshalb ungehemmt über diese Pseudo-Provokation lacht, weil es schon seit dem Vorspann ahnt, dass Hanna am Ende mit ihrem israelischen Kollegen glücklich wird.
Überhaupt will der Film uns weismachen, dass junge Deutsche nur deshalb für längere Zeit nach Israel gehen, weil sie diesen Aufenthalt als Eintrittsticket in begehrte Unternehmen erachten. Den Typus deutscher Studenten in Israel verkörpern Hannas Mitbewohner in Tel Aviv: Da ist die heruntergekommene Aktivistin Maja, die in einem arabischen Kindergarten arbeitet, das Gedenken an den Holocaust für eine Ablenkung von Menschenrechtsverletzungen in Israel hält und die – ihrem Mitbewohner zufolge – dank ihres Einsatzes für die palästinensische Bevölkerung und Steinewerfen gegen israelische Polizisten ihren Platz bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah sicher habe. Und da ist der wegen seiner Familiengeschichte mit Schuldkomplexen behaftete Carsten, der sich in Israel um einen Holocaust-Überlebenden kümmert und glaubt, deshalb quasi automatisch für ein Volontariat beim (tatsächlich für seine besonders israelkritische Berichterstattung bekannten) Spiegel qualifiziert zu sein.
Dass Israel ein Land ist, das die Unterstützung solcher Leute nötig hat, wird im Film durch das bewusste Einsetzen von Bildern betont. Weit weg beziehungsweise gar nicht zu sehen sind die Wolkenkratzer in und um Tel Aviv, in denen die größte Start-up-Szene des Nahen Ostens zu Hause ist. Stattdessen sieht der Zuschauer, ungeachtet der geographischen Unlogik – denn Hanna wohnt in Tel Aviv –, viel Wüste, viele alte Autos und orthodoxe Juden. Der Film zeigt Israel als Entwicklungsland, in dem die Menschen entweder etwas gegen Deutschland haben oder aber sich nach Berlin sehnen.
Als einzige deutsche Freiwillige scheint Hanna völlig holocaust-unabhängig in Israel zu sein, wie der Film durch möglichst viele Überdrüssigkeitsplattitüden zu vermitteln sucht („Jetzt komm mir nicht mit der Holocaust-Keule.“, „Beeil dich, um fünf muss ich meine Holocaust-Überlebende treffen.“). Doch in der Interaktion mit den Israelis wird Hanna ständig mit der deutschen und – Überraschung! – schließlich auch ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.
Deutsche Mädchen sind leicht zu haben
Es beginnt gleich nach der Landung in Tel Aviv. Hanna wird ihrem Kollegen Itay (Doron Amit) in der Behinderteneinrichtung vorgestellt. Ohne dass der Zuschauer unmittelbar versteht, warum eigentlich, fragt Hanna ihn: „Hast du ein Problem mit mir, weil ich Deutsche bin?!“, worauf der nachtragende Israeli antwortet: „Ihr habt immerhin sechs Millionen meiner Leute umgebracht.“ Gutmachen könne Hanna dies jedoch, indem sie mit ihm ausgehe – denn, so lässt das Drehbuch einen anderen Sozialarbeiter zu Itay sagen: „Die deutschen Mädchen sind leicht zu haben, wegen ihres Schuldkomplexes.“
Der Oberflächlichkeit wird Itay enthoben, als er Hanna von seinem Bruder erzählt, der wegen seiner Erfahrungen im israelischen Militär drogensüchtig wurde und sich das Leben nahm. Da versteht Hanna plötzlich mehr von Israel. Die vollständige Läuterung durchläuft sie jedoch erst, nachdem „ihre“ Holocaust-Überlebende in Hannas Familiengeschichte stöbert: Auch Hannas Großvater war nämlich ein Profiteur des Nazi-Regimes und hat einen jüdischen Betrieb „arisiert“.
Im Gegensatz zu Hanna lässt ihren karrieregeilen Freund die Familiengeschichte der Eggerts völlig kalt. Dieses Detail fügt sich hervorragend in die restliche Dramaturgie. Denn in der vor Klischees triefenden Logik des Films ist es nur naheliegend, dass ein schmieriger und egoistischer Mensch unbedingt den Holocaust vergessen machen will, während Hanna wegen einer schweren Kindheit nur ein wenig brauchte, um den richtigen Pfad zu finden, im Grunde ihres Herzens doch aber gut und empathisch ist.
Was der Film eigentlich vermitteln will, ist unklar. Er selbst sagt jedenfalls viel über tiefsitzende Vorurteile aus.