Queer von Kopf bis Fuß
Der vielseitige Josef Rabara – ein Porträt
Er fotografiert, ist Mitglied eines Theaterensembles, moderiert eine Radiosendung, lehrt Yoga und seit kurzem ist er auch musikalisch aktiv. Josef Rabara ist eine vielseitige Persönlichkeit. Im Sommer 2012 beendete er sein Fotografie-Studium in Ústí nad Labem. In den vergangenen zwei Jahren tauchte das Thema Queer und Transgender in seinen Foto-Arbeiten auf. Auch seine Sendung auf Radio Wave mit dem Titel Kvér widmet sich dieser Thematik. Dabei beschäftigen sich nur sehr wenige Fotografen in Tschechien mit dem Thema Transgender. Josef Rabara sagt aber gleichzeitig: „Ich bin schwul, das heißt allerdings nicht, dass ich mich ausschließlich mit Queer-Themen beschäftige.“
Von Barock zu Transgender
Josef entscheidet sich nicht deshalb für ein Thema, um zu schockieren oder Aufmerksamkeit zu erregen. Schon während der ersten wenigen Sekunden unserer Begegnung wird die Ernsthaftigkeit und Sorgfalt deutlich, mit der er über jede Frage nachdenkt. Das ist in Bezug auf seine Fotografien ganz ähnlich. Er wehrt sich gegen Schubladendenken. Bei näherer Betrachtung seiner Arbeit stellt man fest, dass er sich während seines Fotografie-Studiums ganz allgemein dem Abbilden von Menschen gewidmet hat. Obwohl sein Name häufig mit Transgender in Verbindung gebracht wird, beschäftigte er sich bisher nur in zwei seiner Fotozyklen mit diesem Thema. Diese haben jedoch bei Ausstellungsmachern große Aufmerksamkeit erregt, sodass die Fotos auch mehrfach im Ausland zu sehen waren.
Seine erster der Transgender-Thematik gewidmeter Zyklus, Maty und Dany, sollte ursprünglich aus inszenierten Porträts bestehen, die von Barockmusik und Kastraten inspiriert sein sollten. Im Zentrum der Fotos sollte Dany stehen. „Ich kannte sie, sie war nämlich mit meiner Mitbewohnerin zusammen. Gleichzeitig war sie Mitglied des Theater-Duos Drag Addicts, und ich dachte mir, dass sie als künstlerisch veranlagte Person mitmachen würde“, erklärt Josef die Wahl seines Foto-Objektes. Als er jedoch Dany bei ihr zu Hause besuchte, stieß er auf ein Thema, dass viel stärker war als seine ursprüngliche Idee.
Er traf dort nämlich Danys Partnerin Maty, eine fast 40-jährige Mutter von vier Kindern, und erfuhr, dass beide die Absicht hatten, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. „Ich habe mich entschlossen, ihre Verwandlung zu dokumentieren. Die beiden waren toll, ich durfte viel Zeit mit ihnen verbringen, dabei waren sie ganz offen, obwohl es sich um ein sehr sensibles Thema handelt. Dazu kommt noch, dass sie in einer Kleinstadt leben. Ich bewundere ihren Mut, denn das muss nicht nur für sie selbst, sondern auch für Matys Kinder schwer sein“, berichtet Josef von seiner Arbeit mit den beiden Frauen.
Allein während des ersten halben Jahres, das der Ausstellung der Fotos in der Hochschule voranging, besuchte Josef die Familie etwa achtmal. Weil die Verwandlung von Maty und Dany immer noch nicht ganz abgeschlossen ist, geht die Arbeit an dem Zyklus weiter. Seine Fotos strahlen Behutsamkeit und Zurückhaltung aus, sie wollen nicht schockieren. Auf die Frage, ob er glaubt, dass Maty und Dany auch mit einem anderen Fotografen zusammenarbeiten könnten, antwortet er: „Da hätte ich wohl eher nicht den Mut gehabt sie anzusprechen, wenn wir uns vorher nicht gekannt hätten.“
„Warum fotografierst du das?“
Ein weiterer Aspekt ist die Reaktion des Publikums. Auch die Eltern von Josef schauten sich die Fotos an. Sie stammen nicht aus einer künstlerischen Familie, und so mussten sie den Zugang zu der Arbeit ihres Sohnes genauso wie alle anderen „Außenstehenden“ zunächst suchen. „Die Kunst ist nicht ihre Welt, dennoch interessiert sich meine Mutter für meine Arbeit und fragt mich danach“, erzählt Josef und erinnert sich daran, wie er seine Eltern zu seiner Ausstellung Maty und Dany mitnahm. „Ich bin mir bewusst, dass die Bilder für viele Leute unangenehm wirken können. Man sieht beispielsweise Fotos vom verbundenen Maty im Krankenhaus, nachdem ihm die Brüste abgenommen wurden oder ein großes Bild von Dany mit frischen Narben auf dem Brustkorb. Meine Eltern haben es gut aufgenommen, dass ich schwul bin, aber das hier war Science-Fiction für sie“, beschreibt er die Reaktion seiner Eltern. „Eine Geschlechtsumwandlung ist für sie etwas, das es nur in amerikanischen Filmen gibt. Mein Vater hat die Ausstellung schnell überflogen und wartete dann auf dem Gang. Meine Mutter ließ sich die Bilder von mir erklären und fragte dann: ,Warum fotografierst du das?‘ Für die beiden sind das Dinge, die nicht gezeigt werden sollten. Ich denke, das ist die Haltung der Mehrheitsgesellschaft, so nach dem Motto, das gibt es, wir tolerieren das, aber wollen uns das nicht anschauen‘“, so Josef.
Eine fiktive Diva
In seiner Diplomarbeit kam Josef dann ein zweites Mal mit dem Transgender-Thema in Berührung. Er kreierte Mušnula, sein Alter Ego als fiktive Diva. Er sang und nahm die Cover-Version eines Songs von Marika Gombitová auf, in dem er den Gedanken entwickelte, wie wohl die Kindheit aussehen könnte, wenn man nicht von Stereotypen eingeschränkt werden würde. Wenn man von Jungs nicht mit absoluter Selbstverständlichkeit erwarten würde, dass sie Fußball und nicht zum Beispiel wie die Mädchen Gummitwist spielen wollen. Das Video entstand im Rahmen von Josefs Diplomarbeit, später tauchte es eigenständig bei Youtube auf.
Dieses Mal ist er das Thema auf den ersten Blick spielerisch und mit Humor angegangen, beim näheren Hinsehen entdeckt man bei dieser Arbeit eine viel sensiblere Ebene. „Der Ausgangspunkt war ein Video, das ich gemeinsam mit meiner Schwester mit einer geliehenen Videokamera gedreht habe. Darin tanze ich in einer ausgeleierten Jogging-Hose und Batik-Shirt zu Madonna, winde mich hin und her und singe dazu“, beschreibt er den Anfangsimpuls des Projektes. „Das war für mich ein ganz sensibles Thema. Als ich das Video damals sah, als ein Junge, der gerade in die Pubertät kam, hat mich das schockiert: ich ahnte überhaupt nicht, dass ich so aussehe.“ Das Video konnte er dann überhaupt nicht mehr anschauen. Erst nach nahezu 20 Jahren sagte er sich, dass er sich mit dieser Phase seiner Jugend irgendwie auseinandersetzen sollte.
Das alte Video ergänzte er um einen Musik-Clip sowie Fotos aus der Kindheit – zum Beispiel von einem Wettbewerb, in dem er als Madonna auftrat. Dieses Sich-zur-Schau-Stellen begriff er als eine Art Therapie. „Das war für mich alles so persönlich, dass es mir eigentlich egal war, wie die anderen darauf reagieren würden“, so Josef. Den Zyklus präsentierte er erstmals im Rahmen seiner Diplomarbeit. Obwohl er zu Beginn Bedenken hatte, ob das überhaupt jemand verstehen würde, stellte er schließlich fest, dass das Werk ganz problemlos andere Menschen ansprach. „Die ganze Last ist von mir gefallen, als ich die Beurteilung der Arbeit las – die Gutachterin hatte mich vollkommen verstanden und schließlich auch alle anderen.“ Mušnula hat sich in der Folge in ein musikalisches Projekt verwandelt.
Einfach queer
Aufgrund seines ersten Mušnula-Videos bekam er auch ein interessantes Angebot. Nach der großen Resonanz im Internet wandte sich Radio Wave an ihn, ob er nicht eine neue Sendung zum Thema Queer mit dem Titel Kvér moderieren wolle. Josef zögerte zunächst, ob er das – gemeinsam mit Bára Šichanová – wagen sollte: „Zuerst hielt ich das für kompletten Unsinn, weil ich nie im Radio gearbeitet hatte. Ich denke nicht, dass ich ein Rede-Talent bin, außerdem habe ich Lampenfieber. Aber es war eine Herausforderung“, erklärt er. „Als ich fragte, wie man auf mich gekommen sei, bekam ich zur Antwort, dass sie mein Videoclip gesehen hätten. Meine ganzen anderen Arbeiten hörten in dem Moment auf zu existieren, als ich ein ziemlich schräges Video gedreht hatte“, erklärt Josef amüsiert.
In der Sendung versuchen beide Moderatoren, sich nicht nur auf die „klassischen“ LesbianGayBisexualTrans-Themen zu beschränken, die sich ja schnell erschöpfen können. „Wir wollen, dass es einfach queer ist“, sagt Josef und meint dabei den erweiterten Sinn des Wortes, das alles Besondere, alles was jenseits des Mainstreams ist, bezeichnet. Das illustriert er an einem der Themen, dem sich Kvér kürzlich gewidmet hat: „Wir hatten hier so genannte Bronies. Das ist ein weltweites Phänomen, beispielsweise unter IT-Leuten weit verbreitet. Meist sind es erwachsene Männer, die Fans der Serie My Little Pony sind. Die ist eigentlich für kleine Mädchen, darin geht es um Einhörner, rosa Ponys und Freundschaft. Die Bronies treffen sich dann in der Kneipe beim Bier, zeichnen Ponys, schauen sich gemeinsam die Serie an und ähnliches.“ Die Gäste der Sendung wunderten sich natürlich, warum sie in ein schwul-lesbisches Format eingeladen wurden – aber genau darum geht es Josef und Bára: den Horizont erweitern, das Schubladendenken hinter sich lassen.