Ein Bekenntnis verändert das Leben
Es ist ein schwerer Schritt, sich innerhalb der katholischen Kirche offen zu seiner Homosexualität zu bekennen. Danach steht entweder alles auf dem Kopf, oder es schließen sich zumindest viele Türen. Der Diakon Jaroslav Lorman hat diese Erfahrung gemacht. Nach 18 Jahren Ehe hatte er im Jahr 2015 sein Coming-out. Danach verlor er nicht nur seinen Lehrauftrag an der Universität. Auch der katholische Verlag, für den er übersetzte, beendete die Zusammenarbeit. Auf Fachkonferenzen war er nicht mehr willkommen. Das zeugt davon, wie weit der Weg noch ist, bis die katholische Kirche Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung akzeptieren wird. Aber vielleicht sind es gerade Personen wie Jaroslav Lorman, deren Erfahrungen diesen Weg für andere Menschen erleichtern können.
Woher kommt eigentlich die ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität?
Meines Erachtens liegt der Grund in einer falschen Auslegung der Bibel. Im Buch Genesis wird zum Beispiel eine Geschichte erzählt, in der zwei männliche Engel Lot besuchen. Die Menschen aus Sodom sehen, wie sie hineingehen und verlangen von Lot, dass er ihnen die Engel herausgibt, weil sie sich an ihnen sexuell vergehen wollen. Doch Lot beschützt die Engel und bietet der Menge stattdessen sogar seine Töchter an. Die katholische Kirche verwendet gerade diese Passage, um die Ablehnung von homosexuellen Beziehungen biblisch zu belegen. Ich finde das verletzend, denn hier geht es nicht um Beziehungen, sondern schlicht und einfach um Vergewaltigung. Mit der Sünde von Sodom ist hier eindeutig die brutale Missachtung der Ehre der Gäste gemeint. Ansonsten unterscheidet die katholische Kirche seit den frühesten offiziellen Dokumenten zwischen der homosexuellen Orientierung und ihrem praktischen Ausleben. Homosexualität an sich wird nicht abgelehnt, aber man spricht über sie als „homosexuelle Wesensart“. Damit wird etwas Inneres Sündhaftes bezeichnet, das dann schließlich zu sündigem Verhalten führt. Diese Sicht ist problematisch, da sie den Menschen verurteilt, bevor er überhaupt gehandelt hat. Problematisch ist das besonders in Situationen, wenn man sein Coming-out durchlebt und erst dabei ist, mit seiner Orientierung zurechtzukommen. Obwohl man gar nichts angestellt hat, wird man von der Gemeinschaft, der man sich zugehörig fühlt, als innerlich hemmungslos bezeichnet.
Was geht in einer solchen Situation im Inneren eines Menschen vor und wie schwer ist es, mit den Reaktionen des Umfelds klar zu kommen?
Ein Coming-out ist im Grunde genommen eine Krise. Zu allererst eine psychologische Krise, in der der Mensch sich mit sich selbst und seinem Anderssein auseinandersetzt. Gleichzeitig ist es aber auch eine soziale Krise, da man seine Orientierung öffentlich macht und den Verlust einiger Beziehungen riskiert. In der Religion kommt dann noch der ethische Aspekt hinzu, denn im Katholizismus, aber genauso auch in vielen anderen christlichen Konfessionen, wird Homosexualität als moralisch verwerflich verstanden. Die römisch-katholische Kirche bildet, vielleicht auch ungewollt, ein Umfeld, in dem Schikane ein fester Bestandteil ist. Das erschwert dann ein Coming-out umso mehr. Deshalb halten viele Gläubige ihre Homosexualität geheim. Es gibt aber noch viele weitere Faktoren, die hier eine Rolle spielen: bei Angestellten der Kirche ist es nicht nur die existentielle Abhängigkeit, sondern auch die Lehre, die es Homosexuellen verbietet, einen Partner zu haben. Paradoxerweise wird in der Kirche Promiskuität bei Heterosexuellen eher akzeptiert als eine auf Liebe und Treue basierende homosexuelle Beziehung.
Allmählich ändert die katholische Kirche in einigen Bereichen ihre traditionellen Grundsätze. Auch in ihrer Haltung zur Homosexualität? Hat Papst Franziskus eine andere Einstellung als seine Vorgänger?
Die Kirche hat in den Bereichen Sexualethik und Beziehungen überhaupt einen großen Nachholbedarf, der sich ergibt aus einem falschen Verständnis von Sexualität an sich. Die kirchliche Haltung in diesem Bereich war im 20. Jahrhundert unter Johannes Paul II. geradezu in Beton gegossen. Die Kirche weigerte sich zu reagieren auf Forschungen und Erkenntnisse über die Sexualität und den Menschen durch nichttheologische Wissenschaften. Papst Franziskus ist in der Hinsicht anders, dass er zu einem offenen Diskurs einlädt, wobei er sich jedoch dem Thema nicht direkt widmet. Auf jeden Fall hat er aber diesen unvergesslichen Satz gesagt: „Wenn jemand homosexuell ist, den Herrn sucht und guten Willen hat, wer bin ich, über ihn zu urteilen?“ Er besucht auch Freunde, die in einer homosexuellen Beziehung leben. Das hat noch keiner seiner Vorgänger gemacht. Johannes Paul II. war innerhalb der Kirche sehr autoritär, unter Benedikt XVI. herrschten eher Angst und eine gewisse Stille. Papst Franziskus jedoch möchte über alles sprechen. Dieses Bemühen ist fantastisch, und es durchdringt auch die Kirche.
Gab es in letzter Zeit jemanden unter den Kirchenvertretern, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannt hat?
Vor kurzem ist zum Beispiel Krzysztof Charamsa in Rom diesen Schritt gegangen. Er war Assistenzsekretär der Internationalen Glaubenskongregation unter Benedikt XVI. Interessant daran ist, dass dies an einem Ort passiert ist, an dem niemand damit gerechnet hat, denn es war gerade Benedikt XVI., der das Verbot zur Weihe homosexueller Priester zu unterzeichnet hatte. Auch im tschechischen kirchlichen Umfeld tauchen manchmal einzelne Personen auf, die sich offen zu ihrer Orientierung bekennen. In der Regel folgt darauf jedoch ein Berufsverbot.
Ich selbst erlebe das sehr ähnlich, denn ich bin in der katholischen Szene nicht ganz unbekannt. Außerdem lehrte ich Moraltheologie und bin als Diakon geweiht. Die Weihe kann niemand mehr rückgängig machen, aber derzeit wird darüber verhandelt, ob mir die Ausübung meines Dienstes als Diakon verboten wird oder nicht. Dafür gibt es eigentlich gar keinen Grund. Hier wird eher das Spiel gespielt, dass „eh klar ist, warum das so ist“. Einige Menschen behaupten dazu auch noch, dass ich meine Familie mutwillig verlassen hätte. Dabei stimmt das nicht. Ich bin über Jahre hinweg bei meiner Familie geblieben. Meine Frau und ich haben uns lange damit beschäftigt, gekämpft und letztendlich haben wir uns darauf geeinigt, die Beziehung zu beenden. Wir haben uns für das kleinste Übel in einer Situation entschieden, die ohnehin schon nicht einfach war.
Das musste doch vor allem für ihre Kinder schwer sein. Wie haben die auf die Situation reagiert?
Unsere zwei Jungs sind 14 Jahre alt. Die Mädchen sind sieben und fünf Jahre alt. Den Älteren haben wir das ganz offen erklärt. Einerseits waren sie schockiert und sie waren auch ziemlich traurig. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es sich gelohnt hat, denn dadurch gibt es zwischen uns keine Tabus mehr. Mit der Zeit haben die Jungs auch verschiedene Witze gemacht, oder sie haben überlegt, welche Männer ihrem Papa gefallen könnten. Das haben wir natürlich als positives Signal wahrgenommen. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass alles ganz einfach ist. Wir wissen nicht, was tief in ihrem Inneren passiert. Zum Beispiel, was es für sie bedeuten würde, wenn ich oder meine Frau einen neuen Partner hätten. Bei unseren kleinen Mädchen ist es etwas anders, weil sie nicht verstehen, warum Mama und Papa nicht mehr zusammen sind. Momentan überlegen wir, ob wir es ihnen sagen sollen, auch wenn sie es noch nicht verstehen. Sie sollen nicht das Gefühl haben, dass wir ihnen etwas verschweigen.
Ihr Coming-out hatte aber auch Einfluss auf ihre Arbeit an der Universität oder weitere Aktivitäten. Was ist denn konkret passiert?
Vor allem wurde mir verboten zu unterrichten. Einige andere Schritte waren aber fast lächerlich– ich wurde zum Beispiel auf eine Konferenz eingeladen und auf einmal habe ich erfahren, dass ich dort nicht mehr willkommen bin. Außerdem hatte ich für einen katholischen Verlag gearbeitet. Die haben mir dann mitgeteilt, dass sie aufgrund dieser Situation nicht mehr möchten, dass ich meine Arbeit für sie abschließe und dass sie mich auch nicht dafür bezahlen. Über Jahre hinweg hatte ich auch verschiedene Übersetzungsaufträge von einem Orden, für den ich auch an unterschiedlichen Versammlungen teilgenommen hatte. Aber das ist jetzt passé. Jetzt darf ich nur noch etwas aus der Ferne übersetzen. Die Situation ist schon ziemlich eigenartig, denn man hätte denken können, dass ich für den Orden jetzt viel transparenter und ungefährlicher bin als vorher, aber die Wahrheit sieht ganz anders aus. Um das Thema Homosexualität herrscht einfach viel Hysterie und Angst.
Wer hat die Entscheidung getroffen, dass Sie nicht weiter unterrichten dürfen? Gibt es für diesen Schritt eine gesetzliche Grundlage?
Die Missio canonica (kirchliche Beauftragung) wurde mir auf Antrag des Dekans entnommen. Mein Arbeitsverhältnis wurde gekürzt, so dass ich mir eine neue Arbeit suchen musste. Aber ich bleibe an der Fakultät. Ich darf sogar an einem Projekt zur Homosexualität in der Kirche arbeiten. Das ist sicherlich gut, aber das sind eher Aufgaben, die ich an den Abenden machen werde. Ansonsten denke ich, dass die Situation ziemlich heikel ist. An der Katholisch-Theologischen Fakultät sind vor allem Studenten, die sich darauf vorbereiten, Priester zu werden. Das heißt, dass jeder, der dort arbeiten will und mit ihnen in Kontakt kommt, dem Erzbischof einen Schwur ablegen muss, sich nicht gegen dessen Lehre zu stellen. Allerdings ist die Universität gleichzeitig auch ein unabhängiges akademisches Umfeld und deshalb kann von niemandem verlangt werden, seine Forschung einzuschränken, nur weil er jemandem seinen Gehorsam versprochen hat.
Wo liegt denn ihrer Meinung nach hier die Sprengkraft?
Wenn man sich mit diesem Fall rechtlich beschäftigen würde, dann könnte das sogar ein Grund für einen Ausschluss der Theologischen Fakultät aus dem universitären Rahmen bedeuten, und das wäre ein Problem. Vor allem, weil sich das eine ganze Reihe katholischer Fundamentalisten wirklich wünschen würde. Derzeit ist die Fakultät nämlich gezwungen, mit der wissenschaftlichen Welt zu kommunizieren und eine bestimmte Kultur einzuhalten. Es ist aber gar nicht so lange her, dass sie völlig in sich geschlossen war und ihr eigenes Leben führte. Das ist etwas zweischneidig, denn wenn man die Fakultät wirklich ausschließen würde, riskiert man, dass sie zu einer Art fundamentalistischen Lehranstalt würde. Das wäre letztendlich noch viel schlimmer. Ich möchte aber auf jeden Fall die Ombudsfrau darüber informieren, damit auch sie eine Stellungnahme zu dieser Situation abgibt. Ich würde mir wünschen, dass ein Präzedenzfall entsteht, dass objektiv vorgegangen wird, und insbesondere sollten dazu Mittel gewählt werden, nach denen die Zivilgesellschaft handeln sollte.
Ich kann mich der Vorstellung nicht erwehren, dass die Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen, Ihren Glauben erschüttern muss. Das, was Ihnen Halt geben sollte, akzeptiert Sie nicht so, wie Sie sind. Hat Sie das irgendwie beeinflusst?
Für mich bedeutete dieses Coming-out mit all seinen Folgen eine enorme Vertiefung meiner Beziehung zu Gott. Denn obwohl es schmerzhaft ist, ist der Mensch auf einmal wahrhaftig. Hinzu kommt, dass ich die Kirche jetzt aus einer anderen Perspektive sehe. Ich bin nun an ihrer Peripherie, ich schaue mich um und stelle fest, dass es auch außerhalb der katholischen Kirche viele interessante Gruppierungen gibt. Aber natürlich hat diese Erfahrung mein Vertrauen in die kirchliche Hierarchie erschüttert. Ich habe den Eindruck, dass sie verwirrt und in einigen Bereichen unreif ist, und in der Seelsorge sogar mitunter gefährlich.
Wenn Sie nun mit Abstand auf ihren bisherigen Lebensweg schauen, haben Sie dann das Gefühl, dass Sie ihren Platz im Leben bereits gefunden haben?
Wenn ich zurückschaue, dann sehe ich dort Schritte zu einer größeren Wahrhaftigkeit. Die ist jetzt auf ihrem Höhepunkt, was manchmal sogar fast unangenehm ist. Mein Weg hat mich gelehrt, dass es nicht gut ist, bestimmte Grenzen zu überschreiten, etwa als Heterosexueller zu leben, wenn man keiner ist. Meine bisherigen Erfahrungen sind so stark, dass sie sicherlich einen Einfluss auf all mein weiteres Handeln haben werden. Deshalb würde ich mich sehr gerne aktiv für eine Veränderung einsetzten, damit beispielsweise meine Kinder nicht das Gleiche durchleben müssen wie ich. Mittlerweile bin ich lebenserfahren genug, um radikale Entscheidungen zu vermeiden. Aber vor einigen Jahren war ich selbst noch wegen Selbstmordgedanken in der Psychiatrie. Außerdem weiß ich von mindestens zwei weiteren Menschen mit dem gleichen Problem, die vergangenes Jahr versucht haben, sich umzubringen. Deshalb möchte ich nicht, dass irgendjemand den gleichen Weg gehen muss wie ich. Und das vor allem Aufgrund des Schmerzes, der dadurch entsteht.