Weder Mann noch Frau?
Quelle: wikipedia
Was bewegt Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen? jádu-Autorin Janna Degener hat mit zwei Transpersonen gesprochen – und festgestellt wie schwer die Annäherung an das Thema Transgender trotz aller Offenheit fällt.
Natürlich habe ich schon ab und zu Personen gesehen, die eigentlich männlich aussahen, aber sehr stark geschminkt waren, Kleider trugen und irgendwie feminin auftraten. Ich habe auch schon von Männern und Frauen gehört, die im „falschen Körper geboren“ waren, von Geschlechtsumwandlungen und Hormonbehandlungen. All das ist mir aber dennoch sehr fremd und deshalb beschließe ich, das Thema genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das ist allerdings gar nicht so leicht: Gruppen und Verbände von inter- oder transsexuellen Menschen schicken mir auf meine Gesprächsanfragen entweder gar keine oder sehr abweisende Rückmeldungen, nach dem Motto: „Wir vermitteln unsere Freunde nicht“. Erst nach Monaten, als ich aus einem anderen Grund an einem Treffen schwuler Studenten in Dresden teilnehme, bekomme ich einen persönlichen Kontakt zu J., die_der mich dann auch direkt an Ul_i weiterleitet. Die beiden sind bereit, mir telefonisch einige Fragen zu beantworten.
Fettnäpfchen lauern im Sprachgebrauch
Vorab geben sie mir Einschränkungen bzw. Verhaltenshinweise mit auf den Weg. J. schickt mir ein Informationsblatt für Journalist_innen, in denen die Abkürzung Trans mit dem geschlechtsneutralen * am Ende verwendet wird. J. teilt mir mit, dass sie_er sich als nicht-binäre Trans* verortet, dass Fragen zu den Themen Operationen, Genitalien sowie Hormonstatus im Interview tabu sind, dass ich kein Foto von ihm_ihr veröffentlichen darf und dass sie_er nur mit Pseudonym genannt werden möchte. Ul_i bittet, nicht mit geschlechtsspezifischen Wörtern wie „Herr“ oder „Frau“ adressiert zu werden. Stattdesssen solle ich lieber von „Ul_i“ oder „Person/Mensch“ sprechen und den Unterstrich im Vornamen beachten. Auf Nachfrage erklärt Ul_i mir, dass damit die Entscheidung für die männliche oder weibliche Variante des Namens offen bleibt (Ulrich/Uli vs. Ulrike/Ulli).
Ich bin einerseits dankbar für diese klaren Anweisungen, weil ich das Vertrauen dieser Transpersonen schätze und nicht in Fettnäpfchen stampfen möchte. Andererseits verunsichert es mich zugegebenermaßen auch ein wenig, dass hier mein selbstverständlicher Sprachgebrauch so stark in Frage gestellt wird. Ich überlege mir genau, wie ich meine Fragen formuliere, um meine Gegenüber nicht zu verletzen. Und tatsächlich gibt es später in den Gesprächen dann immer wieder Momente der Irritation. Die beiden beantworten viele meiner Fragen sehr knapp und verwenden häufig Begriffe wie „transitionieren“ oder „Maskulinitäten“, die ich nicht kenne, so dass ich mich ein bisschen zum „Nachbohren“ genötigt sehe. Ich muss mich sehr stark darauf konzentrieren, meine Sprache möglichst geschlechtsneutral zu formulieren und zum Beispiel Pronomen wie „er“ oder „sie“ zu vermeiden.
So erfahre ich, dass J. und Ul_i sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, ohne das begründen zu wollen. Im Alltag, sagen sie, fühlen sie sich häufig aufgrund ihrer Geschlechteridentität diskriminiert. Selbst in einer Stadt wie Berlin, die als tolerant gilt, passiere es täglich, dass Transpersonen wie sie von unbekannten Menschen auf der Straße angesprochen, abgewertet, beschimpft oder sogar bespuckt werden, weil sie zum Beispiel Röcke, Strumpfhosen, High Heels, Blusen, offene lange Haare oder Make-up tragen.
Eine neue Chance, offene Fragen zu stellen?
Mich interessiert, ob Ul_i und J. schon in ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben, dass ihre Geschlechteridentität für Irritationen sorgt. J. möchte sich dazu nicht äußern. Ul_i kritisiert mich für die Fragestellung, weil in der Medizin damit die Legitimität der „Störung“ abgefragt werde, die wiederum Voraussetzung für den Zugang zu medizinischen Eingriffen sei, und weil die Antwort für sein_ihr Erleben unerheblich sei.
Im Großen und Ganzen laufen die Telefonate aber harmonisch ab. Ul_i schreibt mir später in einer Email sogar, dass ich im Gespräch respektvoll war. Ich bin dankbar, einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt der beiden bekommen zu haben. Ich verstehe auch, warum diese zwei Transpersonen zum Beispiel Wert auf einen geschlechterneutralen Sprachgebrauch legen, obwohl ich mich wohler fühle, wenn ich ganz offen so sprechen kann, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Gleichzeitig merke ich aber, dass ich das Gefühl der Fremdheit durch die Gespräche nicht losgeworden bin. Ich wünsche mir, ich hätte die beiden persönlich getroffen, mit ihnen über ihre Familien und Freunde, über ihre Kindheit und Jugend und über alle anderen Fragen sprechen können, die mir so durch den Kopf gehen. Diesmal waren sie nicht dazu bereit. Aber vielleicht geben sie mir ja irgendwann doch noch eine Chance?