„Nikolaus und Karneval in einem“
Die Prague Pride 2012
Am 18. August 2012 musste man nicht erst ins Zentrum fahren, um mitzubekommen, dass sich die Hauptstadt für den pompösen Festumzug schick macht, in dem das Prague Pride Festival gipfelt. Regenbogenfahnen, Kostüme, schwule und lesbische Paare, die sich ohne Scham an den Händen hielten, prägten seit den Morgenstunden auch das Straßenbild in Vierteln wie Holešovice oder Žižkov. Und somit war von vornherein klar, dass es bei der „Parade des Stolzes“ um mehr gehen würde als nur das massenhafte Herzeigen von Queer-Requisiten.
Es ist halb eins, und ich gehe vom Hauptbahnhof Richtung Wenzelsplatz. Hätte ich mit jemandem eine Verabredung an der Statue des Heiligen Wenzel, wir würden uns niemals finden. Die zahlreichen Umzugsteilnehmer haben nicht nur den oberen Teil des Platzes komplett gefüllt, sondern den Großteil des gesamten Boulevards in Beschlag genommen. Dicht gedrängt stehen die Menschen auch auf den Bürgersteigen; es ist kaum möglich, von einer Seite auf die andere zu gelangen. Und von oben knallt auf alles und jeden die Sonne. Doch wenn ich mir die Menschenmassen anschaue, die an mir vorbeigehen, sehe ich nur fröhliche Gesichter.
„Ich bin sehr froh, dass ich hier bin. Es ist ein einmaliges Ereignis, das zeigt, dass unser Land in punkto Toleranz und Respektierung von Menschenrechten ein gutes Stück vorangekommen ist. Es ist nur schade, dass man nicht jeden Tag so vielen bunten, fröhlichen und offenen Menschen begegnet“, findet der 19-jährige Vojtěch Mýlek, der mit seiner Freundin Barbora Golasowska aus Frýdlant nad Ostravicí nach Prag gekommen ist. „Gleich nach dem Umzug wollen wir per Anhalter nach Paris“, fügt er hinzu.
Was die Buntheit angeht, so muss man Vojtěch Mýlek zustimmen. An dem Umzug nehmen auch mehrere sinnbildlich geschmückte Wagen teil. Darauf posieren zum Beispiel Matrosen, so muskulös wie antike Krieger, oder fünf farbige junge Männer, die bereits im vergangenen Jahr dabei waren. Man sieht auch römische Soldaten in Flipflops oder einen jungen Kerl mit einem Schild „Free hug, Umarmung gratis“. Die Spitze des Umzugs bildet ein Ritter auf seinem Pferd, die Regenbogenfahne in der Hand. Überall fliegen bunte Luftballons umher, und über die Köpfe der Teilnehmer rollt ein riesiger roter Ball hinweg.
„Mein Sohn ist nicht pervers“
Die absolute Mehrzahl der Umzugsteilnehmer kam allerdings, von den Fotografen tendenziell ignoriert, in ziviler Kleidung. Viele halten Transparente in den Händen; man sieht auch eine ganze Reihe Frauen mit Schildern auf denen Sprüche wie „Mein Sohn ist nicht pervers“ stehen. Oft kommt es auch zu Wortgefechten mit religiösen Gegendemonstranten, die auf ihren Transparenten eine „Heilung“ von Homosexualität anbieten. Bemerkbar machen sich auch Anhänger der rechtskonservativen Gruppierung Akce D.O.S.T. Schärfere Auseinandersetzungen oder gar Handgreiflichkeiten finden jedoch nicht statt, viel eher kommt es vor, dass sich Umzugsteilnehmer gemeinsam mit den Gegendemonstranten fotografieren lassen.
Es ist ungefähr zwanzig nach Eins, und der Festumzug setzt sich in Bewegung. Es geht jedoch nur ruckweise voran und immer nur um ein paar Meter. Die Menschen sind schweißgebadet, einige tanzen, von den Umzugswagen dröhnt Musik. Die Menschenschlange aus mehreren Tausend Demonstranten ist in kleinere Gruppen zerstückelt. Die Organisatoren sprechen von etwa 10.000 Teilnehmern. Tausende andere begleiteten das Spektakel als Zuschauer. Man winkt, lacht, fotografiert.
„Nikolaus und Rio in einem“
Mit freiem Oberkörper marschiert auch der 22-jährige Student Jakub Krejča mit. Die Pride ist für ihn der bunteste Tag des Jahres. „Eigentlich bin ich hier nur zufällig gelandet. Aber wenn an einem Ort eine solche Menge schöner muskulöser Männer zusammenkommt, dann ist das wie ein Magnet. So eine tolle Atmosphäre habe ich noch nie erlebt. Überall spielt Musik. Die Menschen tanzen auf den Straßen, es ist einfach höllisch gut. Karneval in Rio und Nikolaus in einem“, so der Student. Obwohl Krejča von der Prague Pride schwärmt, macht er sich auch Gedanken darüber, welches Bild von der Community bei den „normalen“ Leuten ankommt. „Manche werden sich vielleicht ein negatives Bild machen. Aber ganz ehrlich, warum sollte man nicht in den Straßen tanzen? Wenigstens an einem Tag. Auch wenn das nichts bringen sollte“, so der 22-Jährige.
Gegen drei Uhr nachmittags erreicht die Spitze des Umzugs – darunter auch Anhänger der inhaftierten Punk-Aktivistinnen von Pussy Riot, die Jungen Sozialdemokraten und Christen – das Ziel, die Moldauinsel Střelecký ostrov (Schützeninsel). Hier beginnt die Party. Es spielen die Bands Toxique, TYP aus Israel und Dara Rollins spielen.
Das Programm auf der Schützeninsel geht nach 22 Uhr zu Ende. Festivalchef Czeslaw Walek lädt zum Abschluss alle schon mal für das nächste Jahr ein. „Das abschließende Konzert von Dara Rollins war super, insgesamt hat mir die Pride großartig gefallen – das gilt auch und insbesondere für die Ausstellung Transgender Me, die Party im ON und den Brunch im Syntéza. Am Umzug nahm ich mit Freunden aus Israel und der Jüdischen Gemeinde teil“, resümiert Zita Adamová. Gegen elf Uhr steigen noch zwei rosa Luftballons in den Nachthimmel über der Schützeninsel.
Umfrage
Anna Cingrošová, 19 Jahre, Prag
Jakub Krejča, 22 Jahre, Prag
Roman, 33 Jahre, Fotograf, Prag
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