Wie man ein Queer-Filmfestival macht
Das Filmfestival Mezipatra beweist, dass der Enthusiasmus der Organisatoren aus einer Provinzveranstaltung ein Festival von Weltniveau machen kann
Was braucht ein großes europäisches Festival, um erfolgreich zu sein? Einen riesigen Etat, ein Team mit erfahrenen Profis. Und beträchtliche Investitionen in Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, damit es keine leeren Säle gibt. Wenn es gelingt, diese „Kleinigkeiten“ zu erfüllen, kann nicht mehr so viel schiefgehen. In Prag und Brno findet allerdings alljährlich im November ein großes europäisches Filmfestival statt, dass über kein horrendes Budget verfügt, kaum Geld für Werbung ausgibt und dessen Team keine Honorare kassiert. Dennoch lockt es jedes Jahr mehr als 10.000 Zuschauer an, zeigt erstklassige Filme und wartet mit Filmstars auf – im vergangenen Jahr kam beispielsweise der angesehene Hollywood-Regisseur Todd Haynes. Das Queer-Filmfestival Mezipatra (etwa: Zwischengeschosse), dessen 13. Auflage im November 2012 stattfand, entspricht nicht so ganz den üblichen Regeln und Konventionen.
Ungewöhnlich ist bereits der Altersdurchschnitt des Festival-Teams – er ist mit etwa 25 Jahren außergewöhnlich niedrig. An der Filmschau arbeiten als Freiwillige Studenten der Prager Filmhochschule FAMU und der Wirtschaftsuni VŠE mit, aber beispielsweise auch eine Frau im Mutterschaftsurlaub. Trotz des Wortes „queer“ im Festivalnamen besteht das Team aber nicht nur aus Lesben und Schwulen. „Mezipatra wird von einem Team belastbarer und motivierter Menschen gemacht, da sind sowohl Homosexuelle als auch Heteros dabei. Das sind Leute verschiedenen Alters, die unterschiedliche Erfahrungen und Berufe haben“, erläutert Festivalchef Aleš Rumpel, der das Festival seit acht Jahren leitet. Begonnen hatte er als Dramaturg. „Ich war furchtbar jung und wusste gar nichts. Alles, was ich kann, habe ich dank dieses Festivals gelernt. Das ist so eine Art Schule für alles“, so Rumpel. Mezipatra ist für ihn praktisch ein Zweitjob. „Für das eigentliche Festival nehme ich Urlaub. Die Vorbereitungen für den neuen Jahrgang beginnen quasi gleich nach dem Ende des vorhergehenden“, so Rumpel, der zu dem Festival immer seine Mutter mitnimmt und dort auch seinen Lebenspartner gefunden hat.
Für ein breites Publikum
Das Festival, das immer 14 Tage dauert (eine Woche in Prag, eine in Brno), zeigt jedes Jahr die rund 100 interessantesten Streifen der Queer-Filmszene. Zu sehen gibt es Spielfilme, Kurzfilme, Dokumentarfilme, aber auch ersehnte Filmspektakel von den großen Weltfestivals. Ergänzt wird das alles von einem Begleitprogramm mit Theater-Performances, Vorträgen, aber auch opulenten Partys. Es sind nicht nur Homosexuelle, die dieses Festival vorbereiten, und so besteht auch das Publikum nicht nur aus Homosexuellen. Das haben Untersuchungen bestätigt. „Es ist so ungefähr fifty-fifty, 50 Prozent Heterosexuelle, 50 Prozent Homosexuelle. Das Festival soll allen offenstehen“, so Rumpel.
Obwohl Mezipatra schon zu einem festen Bestandteil der tschechischen und europäischen Kulturszene geworden ist, stellt seine Existenz keinen Automatismus dar. „Unsere Gesellschaft verändert sich gerade. Für Kultur gibt es langsam kein Geld mehr. Wir bekommen aus öffentlichen Mitteln weniger als Veranstaltungen, die kleiner sind als wir. Alle müssen sich darauf vorbereiten, dass der tschechische Staat kein Geldgeber mehr sein wird“, ist Rumpel überzeugt. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass auch der private Sektor nicht gerade gebefreudig ist, weil die Etikette „schwul-lesbisches Festival“ immer noch kontrovers ist.
Programm auf Weltniveau
Der 13. Jahrgang des Festivals im Jahr 2012 war mit seinem Schwerpunktthema Macht, Manipulation, Wahnsinn dennoch äußerst erfolgreich; es kamen 10.200 Besucher. Zu den Zuschauer-Hits gehörten die Komödie Cloudburst, das Beziehungsdrama Hors les Murs und Laurence Anyways, ein Werk von Xavier Dolan, dem Enfant terrible der internationalen Filmszene. Als besten Film zeichnete die Jury, in der beispielsweise der Chalupecký-Preisträger [Jindřich-Chalupecký-Preis: die bedeutendste tschechische Auszeichnung für junge bildende Künstler, Anm. d.Übers. ] Mark Ther saß, das Drama Keep the Lights On aus.
„Die Auswahl der Filme ist keine leichte Sache. Wir möchten neue Perspektiven eröffnen. Gleichzeitig denken wir darüber nach, wie ein konkreter Film auf einen eher mainstreamorientierten Zuschauer wirkt. Dem gleichen Zuschauer wollen wir erklären, warum wir diesen Film ausgewählt haben. Wir wollen, dass die Filme untereinander kommunizieren und aus der ganzen Welt stammen. Und dann gibt es da noch die finanzielle Seite“, sagt Programmdirektorin Lucia Kajánková, die mit ihrem Team 2012 über 500 Titel gesichtet hat. Der nächste Jahrgang des Festivals Mezipatra ist für Mitte November 2013 geplant.
Nachgefragt: Warum machst du bei Mezipatra mit?
Anna Voňavková, PR-Managerin
Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal die PR für das Festival gemacht, da musste ich zwischendurch immer mal nach Hause, meinen Sohn stillen, das war anstrengend. Dieses Jahr war das ganz anders, entspannter, professioneller. Ich wurde ohne die geringste Skepsis in das Team aufgenommen, obwohl ich mich doch in einer ziemlich anderen Lebenssituation befinde als die meisten der anderen. Und sie schaffen es, mich aus dieser Mutter-Lethargie herauszureißen, wenn man das Gefühl hat, es gibt nichts anderes auf der Welt als Kinder. Und man kann sich mit den Leuten wirklich über alles unterhalten, zum Beispiel auch darüber, dass ich einen Milchstau habe. Und niemand findet das merkwürdig.
Lucia Kajánková, ProgrammdirektorinMezipatra ist informell, aber gleichzeitig maximal selektiv. Darüber hinaus erwische ich mich manchmal dabei, wie ich nach einer Vorführung eines Filmes mit Julianne Moore in einem Nonstop-Imbiss mit dem Regisseur des Filmes und mit Julianne Moore sitze. Tom Kalin ist ein wunderbarer Mensch – das Treffen mit ihm war ein in Erfüllung gegangener Traum. Vergangenes Jahr ist es mir gelungen, Todd Haynes (unter anderem Regisseur von Mildred Pierce mi Kate Winslet) mit seinem Film Velvet Goldmine auf das Festival zu holen. Auf der großen Leinwand war das ein tolles Erlebnis.
Pavel Bicek, ProduktionsleiterEs ist anstrengend, aber ich würde es immer wieder machen. Dank des Festivals bin ich in Portugal gewesen, wo ich meine Erfahrungen an andere Festival-Organisatoren weitergegeben habe. Und gleichzeitig profitierte ich natürlich von deren Erfahrungen. Ich habe bei Mezipatra eine Menge gelernt. Und es macht Spaß.