Rette das Essen!
Eine Gruppe von Freunden aus Prag schaut dem verschwenderischen Umgang mit Essen nicht länger gleichgültig zu und hat beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.
„Eines Abends schaute ich beim gewohnten Fernsehen bei mir zu Hause gemeinsam mit Freunden die Dokumentation Taste the Waste. Da habe ich überhaupt zum ersten Mal von dem Problem gehört, dass so viel Essen weggeschmissen wird“, so erinnert sich Adam Podhola, Student der Sozialwissenschaften, an den Februar 2013. In dem Dokumentarfilm zeigt der Regisseur, wie es hinter den Kulissen der Supermärkte, Bauernhöfe und Lebensmittelproduktion zugeht. An diesem Abend erfuhr Adam, dass in den reicheren Ländern jeder Mensch jährlich im Durchschnitt um die hundert Kilogramm Lebensmittel wegwirft. Das brachte ihn dermaßen aus dem Konzept, dass er mit seinen Freunden noch am selben Abend einen Antrag bei der Stiftung Think Big stellte. Diese Stiftung unterstützt Projekte von jungen Leuten im Alter von bis zu 26 Jahren. An diesem Abend entstand die Initiative Zachraň jídlo (Rette das Essen).
„Für unsere erste Veranstaltung ließen wir uns von Tristan Stuart inspirieren, einem internationalen Anwalt im Kampf gegen Essensverschwendung, der mit seiner Organisation Feeding the 5000 ein Festmahl für fünftausend Menschen auf einem Platz im Zentrum von London ausrichtete“, erzählt Adam Podhola. Die Speisung der 5000 in London fand im Jahr 2009 statt und es wurden Lebensmittel serviert, derer man sich aus verschiedenen Gründen entledigen musste. Entweder nahte das Verfallsdatum oder das Aussehen des Gemüses entsprach nicht den ästhetischen Standards. Zwanzig bis vierzig Prozent solcher Lebensmittel werden von den Supermärkten abgelehnt und nicht ins Warenangebot aufgenommen. Aber nicht nur Supermärkte sind verschwenderisch. Die Hälfte des weggeworfenen Essens kommt aus privaten Haushalten und eine durchschnittliche Familie mit Kindern kostet das Wegwerfen jährlich ca. 21.000 Kronen (knapp 780 Euro). In Europa entfällt auf eine Person zwischen 96 und 115 Kilogramm weggeschmissenes Essen pro Jahr.
Die ersten 30.000 Kronen Anschubfinanzierung bekam die junge Initiative Zachraň jídlo von der Firma O2 und man begann, einen Ort für die erste Veranstaltung zu suchen. „Wir waren größenwahnsinnig und haben uns überlegt, dass wir das direkt auf dem Wenzelsplatz veranstalten wollen, die Verhandlungen über den Ort waren also auch kein Honigschlecken“, sagt die Studentin und Freiwillige Barbora Polachová. Aber am Ende hat alles geklappt und im September 2013 ereignete sich auf dem Prager Wenzelsplatz die erste Speisung der Tausend. Das eintägige Happening sollte die Passanten darauf aufmerksam machen, dass Essen nicht in den Müll gehört. „Aus der einmaligen Veranstaltung ergaben sich weitere Ideen. Wir haben andere Regionen inspiriert und weitere Speisungen werden in Mladá Boleslav und Brno durchgeführt. Und wir haben überlegt, wie man möglichst viele Menschen erreichen kann, deshalb gehen wir mit dem Programm in Firmen, weil die Leute während der Arbeitszeit am ehesten aufnahmefähig sind und es schaffen, bestimmte Gewohnheiten zu ändern, außerdem machen wir ein Kochbuch“, so Barbora Polachová. Im benachbarten Deutschland machten im Jahr 2011 zwei Berliner auf den verschwenderischen Umgang mit Essen aufmerksam, und zwar kurz nachdem in Deutschland der Dokumentarfilm Taste the Waste erschienen war. Der Film löste eine Diskussion aus über die astronomisch große Menge weggeworfener Lebensmittel. Laut einer aktuellen Studie wirft jeder Deutsche jährlich Lebensmittel im Wert von 235 Euro weg. Und gerade Deutschland war eine der weiteren Inspirationen für die Projekte der Initiative Zachraň jídlo.
Die zehn Rettergebote laut der Initiative Zachraň jídlo
- Nur so viele Lebensmittel kaufen, wie man auch verbrauchen kann.
- Regelmäßig die Haltbarkeitsdaten der Produkte überprüfen und die ältesten Sachen ganz nach vorne stellen.
- Nicht die Begriffe „Verbrauchsdatum“ und „Mindesthaltbarkeitsdatum“ verwechseln. (Das Verbrauchsdatum markiert den Zeitraum, in dem das Produkt gesundheitlich unschädlich ist. Nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ist die Speise weiterhin unschädlich und verwendbar.)
- Einzelne Stücke Gemüse voneinander entfernt aufbewahren. (Kartoffeln halten länger, wenn man Äpfel dazwischen legt.)
- Blattsalat, Brokkoli, Sellerie und Frühlingszwiebeln halten länger, wenn der untere Teil in einem Glas Wasser steht.
- Bananen, Zucchini, Aubergine, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Pfirsiche und Nektarinen gehören nicht in den Kühlschrank. (Tomaten erst in den Kühlschrank legen, wenn sie schon weich werden. Mit dem Stiel nach oben lagern.)
- Eier in einer Schutzbox aufbewahren. (Ob sie frisch sind, kann man direkt vor dem Kochen testen, indem man sie in ein Glas Wasser legt. Sie müssen bis auf den Boden sinken.)
- Fleisch vor dem Einfrieren aus der Verpackung nehmen und in eine geschlossene Tüte geben.
- Brot an einem dunklen Ort in einer Papiertüte aufbewahren, Gebäck kann man auch einfrieren.
- Saisonale und lokale Obst- und Gemüsesorten kaufen, in ihrer natürlichen Jahreszeit halten sie länger.
Neue Gesetze müssen her
Happenings sind allerdings nur eine der Möglichkeiten, wie man die Wahrnehmung der Menschen und vor allem ihr Verhalten ändern kann. Eine anderer und zugleich der grundlegende Weg um das Essen zu retten sind Gesetzesänderungen. Derzeit werden die Supermärkte daran gehindert, Lebensmittel, die nicht mehr zum Verkauf geeignet sind, zur Verfügung zu stellen und sie Bedürftigen zu geben, da auf diese Produkte eine Steuer von 15 Prozent des Verkaufspreises erhoben wird. Das bedeutet Einbußen für die Unternehmen, weshalb sie die Lebensmittel lieber entsorgen. Abgesehen von dieser Steuer werden die Supermärkte auch durch das System von Schenkungsverträgen davon abgehalten, „Gutes zu tun“. „Ein Schenkungsvertrag muss die genaue Anzahl der Posten enthalten, die wir verschenken, und alle bürokratischen Erfordernisse müssen erfüllt sein, das ist für uns eine administrative Belastung. Wenn wir uns allerdings entscheiden, die Waren in Verwertungsanlagen zu entsorgen, dann kostet uns das praktisch gar nichts“, sagt die Kommunikationsmanagerin des Lebensmittelgroßhandels Makro, Kateřina Pištorová.
Gesetze, die diese Bedingungen korrigieren, existieren in ganz Europa, allerdings ist die Tschechische Republik eine der wenigen Ausnahmen. In der Europäischen Union ist außerdem in einem Großteil der Länder wie Polen, Deutschland, Ungarn, Frankreich, Italien und den Niederlanden die Steuer auf gespendete Lebensmittel komplett abgeschafft worden. Mehrere Initiativen rufen jährlich dazu auf, die Gesetzeslage zu ändern, eine von ihnen ist nun die besagte Gruppe Zachraň jídlo. Die Vorsitzende der Föderation der Lebensmittelbanken, Věra Doušová, plant derzeit, den neuen Finanzminister Andrej Babiš aufzusuchen und für eine Gesetzesänderung zu werben. Solange das nicht durchgesetzt werden kann, bleibt nur, die Gesetze zu umgehen. Anstatt sie zu verschenken, können die Supermärkte die Waren etwa für einen symbolischen Preis verkaufen, zum Beispiel eine Krone.