Gegentheater zu Angela Merkel
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) hat es geschafft, Debatten zur Flüchtlingspolitik in Deutschland anzustoßen und zu prägen. In ihrer jüngsten Aktion „Flüchtlinge fressen“ hatten die Theatermacher einen Tigerkäfig mit zwei „libyschen Tigern“ installiert, denen laut Ankündigung eine syrische Freiwillige zum Fraß vorgeworfen werden sollten. Als politische Aktivisten wollen sich die Vertreter des Zentrums dennoch nicht verstanden wissen. Warum eigentlich nicht?
Die künstlerisch-politischen Aktionen insbesondere zur Flüchtlingspolitik, mit denen das Zentrum für Politische Schönheit seit einigen Jahren auf sich aufmerksam macht, scheiden die Geister. Die einen sehen das ZPS als neue moralische Instanz, dessen Aktionen als große Kunst in Schlingensiefscher Tradition. Andere sehen in den Aktionen des ZPS eine Grenzüberschreitung des Geschmacks. Ein Kritiker der Zeitung Die Welt bezeichnete die Aktion Erster Europäischer Mauerfall gar als „hirnrissigsten Dreck, der in der jüngsten Zeit aus dem deutschen Theater gekommen ist“.
Aber längst stehen die Aktionen des ZPS nicht mehr nur im Schatten des Theaters. Der Holzhammer, mit dem das ZPS der Gesellschaft ihren Zynismus vor Augen führt, bewegt auch das politische Berlin. So hatte das Bundesinnenministerium einen Teil der Aktion Flüchtlinge fressen verhindert. Das ZPS hatte mittels Spenden ein Flugzeug der Gesellschaft Air Berlin organisiert und Flugtickets für rund 200 syrische Insassen bezahlt, um sie von einem türkischen Flüchtlingscamp ins sichere Deutschland zu bringen.
Für das ZPS kommt das Verbot dieses Flugs einem Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention gleich. Denn sobald die syrischen Flüchtlinge ihren Fuß auf EU-Territorium gesetzt hätten, hätten sie auch einen Aufenthaltsstatus erhalten, sagt André Leiphold, Dramaturg und „Geheimrat“ am Zentrum für Politische Schönheit. „Das grandiose Scheitern dieses Flugs ist natürlich gleichzeitig das bestmögliche Spotlight auf die inhumane Sachlage, die durch die Aktion herausgestellt werden sollte. Insofern war es nicht ganz vergeblich.“
Zum Interview in einem libanesischen Café in Berlin-Prenzlauer Berg erscheint André Leiphold ohne jene charakteristischen Rußflecken im Gesicht, mit denen die Mitglieder des Zentrums für Politische Schönheit sich in der Öffentlichkeit positionieren. Die Flecken sollen die „verbrannten politischen Hoffnungen Deutschlands“ symbolisieren.
Wie kann ein Akt politischer Schönheit aussehen?
Ein gutes Beispiel ist auf jeden Fall Willy Brandts Kniefall in Warschau. Hier würde ich sagen: Das war ein Akt politischer Schönheit. Er war völlig spontan, er hatte eine symbolische, inspirierende Strahlkraft. Akte von politischer Schönheit sind Akte von Menschen, die Kategorien zeitübergreifend denken und ein Ausrufezeichen in die Welt setzen. Schönheit heißt auch, einen Blick zu eröffnen auf ein zeitübergreifendes Gesellschaftsbild. Es gibt allerdings auch noch ganz viele andere Antworten darauf, was Schönheit ist. Es ist ein Name, der Vorstellungen erzeugen soll.
Kritiker des ZPS sehen in den Aktionen oft auch eine Moralkeule am Werk. Zeit, über die Universalität von Moral zu sprechen. Philipp Ruch, der künstlerische Leiter des ZPS, sagte etwa einmal in einem Interview, er sei kein Pazifist.
Wir sind ja keine Partei, daher gibt es bei uns auch kein Programm, nachdem sich unsere jeweiligen Positionen zu richten hätten. Nichtsdestotrotz teile ich aber Philipps Position. Ich bin der Meinung, dass Pazifismus ein Dogma ist, welches das Wiederherstellen von humanistischen Errungenschaften auch ausbremsen kann.
Ist Moral also zeitgebunden?
Diese Haltung folgt einem verantwortungsethischen Gedanken. Ich verstehe die Arbeit im Zentrum auch als Arbeit an einem Versuchsaufbau von Verantwortungsethik, das heißt zu fragen, wie es wäre, wenn man in der politischen Sphäre beginnen würde zu handeln. Man hat auch dann immer noch Dreck am Schuh, wenn man als Verantwortungsträger beginnt, den humanistischen Traditionen zu folgen. Man bewegt sich aus diesem Sumpf nur langsam heraus. Es gibt keinen Weg, in dem man sich einfach an das saubere Ufer beamen könnte. Innerhalb der Politik braucht es dafür eine verantwortungsethische Herangehensweise, keine gesinnungsethische. Moral im gesinnungsethischen Sinne ist sicherlich etwas Zeitloses und etwas sehr Manifestes. Moral in der Politik ist aber etwas Formbares und steht nicht allein da.
Die Gesinnung sollte also nicht der Maßstab sein für politische Entscheidungen?
Sie sollte jedenfalls nicht allein Teil einer politischen Entscheidung sein. In der Politik muss man auch bereit sein, gegen die eigenen gesinnungsethischen Vorstellungen vorzugehen, um Ergebnisse zu erzeugen, die vielleicht wichtiger sind als das eigene Moralempfinden. Diesen ethischen Konflikt versuchen wir auch in der Öffentlichkeit einzusetzen. Wir bauen moralische Druckkammern für mediale und politische Verantwortungsträger auf, um sie in eine moralische Waschmaschine zu stecken: Was passiert, wenn man auf den eigenen Handlungsspielraum beschränkt ist? Man sieht Probleme, man muss eine Entscheidung treffen und hat nicht die Möglichkeit, sich auf seine Standards zu berufen, sondern muss Entscheidungen treffen und die werden sicherlich moralisch nie ganz rein sein.
Vor einigen Jahren haben Sie einmal gesagt, Sie seien keine politischen Aktivisten. Hat sich das geändert?
Das hat sich nicht geändert. Wir befinden uns im Kunstraum. Wir wollen im intellektuellen Sinne unsere eigenen Definitionen, Bilder und Worte finden und uns nicht auf tradierten Wegen bewegen. Aktivismus wird ja eher von uns angeregt, wir wollen den roten Teppich ausrollen für Leute, die dann konkreter ansetzen. Es richtet sich nicht gegen Aktivismus, wenn wir sagen, dass wir keine Aktivisten sind, es würde nur unsere Arbeit nicht ganz richtig beschreiben.
Ein bekanntes Zitat von Philipp Ruch lautet: „Wir wollen mit der Brechstange die Herzen der Deutschen öffnen.“ Wie intellektuell darf Kunst sein, wenn sie die Herzen „der“ Deutschen öffnen soll?
Es sind immer nur Teile einer Aktion, die in verschiedenen Teilöffentlichkeiten, die wir mit unseren Aktionen adressieren, ankommen. Die Definitionshoheit über eine Aktion können aber nur wir liefern. Die letzte Aktion Flüchtlinge fressen war wirklich sehr komplex und umfasste eigentlich zwei Aktionen. Die eine Aktion lässt sich vielleicht ein bisschen vergleichen mit der Kindertransporthilfe – der Flug als ein verantwortungstethischer Akt. Der zweite Teil mit den Tigern war eine theatrale, installative Angelegenheit im Maxim-Gorki-Theater. Diese beiden Aktionsteile haben wir in Korrespondenz gesetzt und die Zwischenräume mit diskursiven Elementen gefüllt, also dem Salon und der „kommentierten Fütterung“, die ich jeden Abend gemacht habe. Wir wollen ja auch immer eine Form der Selbstermächtigung anregen. Es ist das Wesen der Aktionskunst, dass sehr viele Akteure beteiligt sind. Als Aktionskünstler hat man es selbst nicht in der Hand, wie etwas wirkt, endet oder nicht endet.
Haben Sie manchmal Angst, dass Aktionen Ihnen entgleiten?
Nein. Wir haben es ja selbst in der Hand, wie viel Spielraum wir für Entwicklungen offen lassen. Mit Angst hat das nichts zu tun, sondern eher mit einer kalkulierten Öffnung einer Aktion, die natürlich auch nach hinten losgehen kann. Natürlich will man nicht, dass einem die Aktion entgleitet, aber eben schon, dass sie irgendwohin gleitet.
Angela Merkel wird ja medial regelrecht als Flüchtlingshelferin inszeniert. Das passt so gar nicht zu den Vorwürfen, die das ZPS an die Bundesregierung richtet, der Merkel immerhin vorsitzt. Wie erklären Sie sich diese Realitätslücke?
Das kann ich nur theaterkritisch beurteilen. Man kann das nur als gute Performance bezeichnen. Merkel setzt erfolgreich Kulissen. Insofern verstehen wir uns ja auch als Gegentheater zum real existierenden Theater. Da gibt es eine Kanzlerin, die sich hinstellt und sagt, sie wolle inhumane Grenzen überwinden, während gleichzeitig ihr Innenminister die Griechen erpresst, die Grenzen zu schließen und somit Menschen wissentlich und willentlich im Mittelmeer ertrinken lässt. Auch die Kanzlerin trägt also dazu bei, die unsichtbare Mauer um Europa aufzubauen. Oder wenn sie sich nach Terroranschlägen empört und mitgenommen zeigt, andererseits aber den bürokratischen Terroranschlag im Mittelmeer duldet. Angela Merkels Flüchtlingspolitik ist ein erfolgreich etabliertes Zerrbild.