Opfer des Narzissmus
Marie Černíková aka BioMasha ist Poetry-Slammerin, Schauspielerin, Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie selbst sagt einfach: Schneiderin. Ihre Dissertation schrieb sie über Selbstinszenierung und Kostümierung. Wollen wir mit unserem Outfit einzigartig sein oder in der Masse untergehen? Oder beides?
Du hast die Kostüme verschiedener Subkulturen außerhalb des Theaters erforscht. Was hast du herausgefunden?
Jeder von uns stylt sich zu einem gewissen Grad. Es geht aber darum, wie sehr ich mich mit meinem Kostüm beschäftigen muss oder will, und wie sehr ich mir damit selbst eine Rolle zuweise. Ich wollte nicht behaupten, dass Kleider Leute machen oder dass wir alle Theater spielen. Ich wollte die bewusste Selbststilisierung untersuchen: Wie will ich gesehen und wahrgenommen werden, und wie glaube ich, dass mich die anderen sehen: einfach ein Selfie.
Interessant war, dass mir im Rahmen meiner Erhebungen viele Musiker geantwortet haben, sie würden sich umso weniger stylen, je länger sie schon auf Bühnen stehen – fast so als würde das Äußere mit der Zeit einem Inneren weichen. Viele gaben aber auch an, sie hätten die Stilisierung zu Beginn als etwas genutzt, hinter dem sie sich verstecken konnten: eine Art Schutzbemalung in Form einer Maske. Nicht erkannt werden, ist ein weiterer Aspekt des Kostüms. Durch das Umziehen wirst du jemand anders.
Slammer verkleiden sich „als sich selbst“. In Larps wiederum werden das Spiel und die gelebte Realität voneinander getrennt. Auch die Teilnehmer von Larps verkleiden sich als sich selbst, aber als sich selbst in ihrer Rolle:„Ich bin eine wunderschöne Elfe, aber blau steht mir gut.“ Gleichzeitig respektieren sie die Bedingungen des Spiels: „In einer postapokalyptischen Welt kann ich keine Elfe sein, aber ich mache es mir einfach ein bisschen blau.“
Cosplayer sind DIY-Bastler. Ihre Figur muss derjenigen so getreu wie möglich sein, die sie sich selbst aus einer Serie, einem Computerspiel oder einem Comic ausgesucht haben.
An der Untersuchung der Kostüme für Auftritte faszinierte mich der Moment, in dem das Spiel endet: Die Elfe nimmt nach der Convention am Sonntagabend die Elfenohren ab und ist dann schon keine Elfe mehr. Mich, die Slammerin, erkennen sie hingegen auch nachts an der Tanke als die, die da auf der Bühne rumgelabert hat.
Welche praktischen Erfahrungen hast denn du selbst mit Kostümen?
Meine Anfänge auf einer Bühne hatte ich mit der Band Urpop. Ich hatte eine blonde Perücke auf und trug hochhackige Stiefel. Das hat schrecklich weh getan, aber zumindest hatte ich wegen des Schmerzes keine Zeit für Selbstzweifel. Die Perücke fiel mir dauernd runter und einer der Nägel der Stiefelbeschläge hat sich durch die Sohle in meinen Fuß gebohrt. Ich musste ihn während des Auftritts wieder einschlagen. Den Hammer dafür hatte ich dabei. Ich habe genau überlegt, wann ich das Kostüm anlege und wann ich wieder meine zivile Kleidung anziehe. Denn vor oder nach dem Auftritt will vielleicht jemand mit dir reden… oder du musst im Gegenteil flüchten.
Die Auftritte waren improvisiert, aber mit einer vorbereiteten und durchdachten Dramaturgie. Mein Kollege Matěj Samec hatte Motorradfahrerstiefel an. Die haben ihm auch gedrückt. Aber wir fanden uns beide wunderschön. Uns hat das viel Spaß gemacht und allen kam das außergewöhnlich vor.
Als Sängerin und Bühnenbildnerin denkst du anders über Kostüme nach als andere, könnte man meinen. Ist das wirklich so?
Als Mädchen mit dicken Beinen und verkorkstem Gesicht bin ich eher daran gewöhnt, dass der erste Eindruck zählt und dass man vorbereitet sein muss. Bei den Frauen in unserer Familie bedeutete das immer: Diät halten, trainieren, Pillen und Infusionen und allerlei Aufgüsse – sich schinden, um so auszusehen, dass wir zumindest ein bisschen zufrieden sind. Als ich elf war, sagte meine Oma zu mir, ich solle meine Nase runterdrücken. Sie würde dann so wachsen, und damit könne ich sie ein wenig mildern. Außerdem sagte sie, dass ich größer wirke, wenn ich mir einen Dutt nach oben flechte, als wollte ich in die Wanne gehen.
Bei meinen Auftritten will ich einfach nicht hässlich aussehen, denn ich werde ja angeschaut. Wenn ich mich schön fühle, dann bringe ich auch eine gute Leistung. In meiner Tätigkeit als Kostümbildnerin schlägt sich das so nieder, dass alle sexy aussehen in meinem „Sudelstil“. Manchmal beschweren sie sich, dass ihnen etwas weh tut oder drückt, aber meistens schätze ich sie richtig ein, es steht ihnen und ich freue mich darüber, dass ich ihren Geschmack getroffen habe. Einmal hat ein Schauspieler sein Kostüm angezogen, um einfach nur in die Kneipe zu gehen, da war ich stolz.
Vielleicht denken wir einfach alle über die Selbstinszenierung nach? Ist das ein Merkmal unserer Zeit?
Wer darüber nicht nachdenkt, kann sich glücklich schätzen… Die Besessenheit sich selbst zu präsentieren ist bestimmt ein Merkmal unserer Zeit. Wir haben genug zu Essen und viele Berufe sind dumm oder überflüssig, oder sie sind reine Brotjobs. Wir haben mehr Zeit über uns nachzudenken und an uns zu zweifeln. Alles dreht sich viel stärker um Selbstbestätigung – fähig sein, etwas zu genießen und als Beweis sich dabei zu fotografieren.
Stellst du dir manchmal vor, was du tragen wirst, wenn du eine alte Sängerin bist?
Klar wäre ich gerne wie Jana Kratochvílová, so wie wohl alle. Mein Traum ist es nur im Pulli aufzutreten, mit sonst nichts an. Der Pulli soll gerade so lang sein, dass offensichtlich wird, dass ich wirklich nur den Pulli anhabe, wenn ich meine Arme hebe. Aber ich würde nicht ständig die Arme heben. In diesem Kostüm wäre ich gerne alt und mit dünnen Beinen. Aber vielleicht werde ich im Alter weise sein und mache das auch mit dicken Beinen voller Krampfadern.
Was hältst du vom sogenannten Normcore? Versuchen anders zu sein, indem man gleich ist?
Sobald etwas Mainstream wird, dreht sich das Rad weiter. Die Massen beginnen etwas zu tragen und dann kommt der nächste Normcore. Ich mag zum Beispiel gerne Arbeitsklamotten, aber die werden, glaube ich, auch bald Normcore sein. Ich gehe immer in der Nacht über den Wenzelsplatz, schaue in die Schaufenster und finde das alles so erbärmlich und grässlich, pfuj! Aber selbst bin ich auch noch nicht so tapfer, dass ich mich nicht auch für Klamotten schämen würde – etwa für löchrige Schuhe.
Was ist unser Ziel? Einzigartig zu sein, aber gleichzeitig auch in der Masse aufzugehen?
Na klar, seinen Platz haben, geliebt werden von Menschen, die man schätzt, oder nicht? So wie du mir gesagt hast: Guck dir die Leute an, mit denen du dich umgibst! Wenn du anders sein möchtest, musst du unter andere Leute.
Zu diesem Gefühl der Einzigartigkeit in der Masse habe ich so eine Anekdote: Vorletztes Jahr habe ich prestižky getragen. Aber außerhalb von Prag war ich damit die einzige. Der Sänger einer Pilsener Band, die als cool und hip gilt, fragte mich, ob ihn seine Augen nicht täuschen. Ich hatte verloren. Die haben das nicht kapiert. In ihren Augen sah ich aus wie eine arme Schluckerin. Ich musste mir Nike-Schuhe kaufen, um mich nicht wie ein Sozialfall zu fühlen.
Was ist für dich in der tschechischen Mode am geschmacklosesten?
Am schlimmsten ist diese vorgetäuschte Weltgewandtheit, hinter der sich jedoch bloß Kleinbürgerlichkeit, Oberflächlichkeit und vor allem Halsstarrigkeit verbirgt. „Hudy pseudofunktionale Mode“, „Haute Couture“ von Beáta Rajská und Blanka Matragi, Urteile der Modepolizei, Designmärkte und all diese Blogs vom Typ „Wir treffen auf der Straße interessante Leute“… das alles verachte ich. Aber am meisten verachte ich die Zeitschriften aus dickem Kreidepapier mit Models in nichtssagenden, ungelenken Posen. Mit Bildunterschriften wie: Handtasche diese und jene, Armreif dieses und jenes, Schuhe diese und jene. Und dazu dann noch Tipps wie: Schämt euch nicht zu einer teuren Jacke einen alten, billigen Gürtel zu tragen! … Pfff! Ich kapiere nicht, warum ich diese teure Jacke haben müsste!?
Ansonsten verachte ich diejenigen, die verachten. Etwa den Spott, der diese Bastlerinnen trifft, die ihre Batiksachen und selbstgemachten Broschen auf einschlägigen Internetportalen anbieten… Die Mädels sind doch glücklich dabei! Also respektiere ich sie.
Die Bühnenbildnerin Jana Preková hat mal zu einer Schauspielerin gesagt, was sie näht, sei gut, wenn an der Kleidung der Prozess der Herstellung zu sehen ist, also etwa wenn der Rock komisch abgeschnibbelt ist und alles schlecht zusammengenäht. Dann fehlt nur noch der Mut, damit auf die Straße zu gehen. Nicht im Modehaus einzukaufen, Marken und Handelsketten zu boykottieren. Ich habe zum Beispiel schon von klein auf genäht, geschnibbelt, umgenäht, inszeniert. Mich selbst aber auch andere. Das Schnibbeln ist ein großer Spaß. Heute sagt man dazu DIY.
Also nicht so viel hassen?
Ja, ich glaube Spott und Vergleiche, Narzissmus und Egomanie sind die größten Probleme unserer Zeit. Anstatt ständig auf sich selbst zu schauen, lieber Schulen bauen, Bücher verteilen, Waffen einschmelzen, bessere Politiker wählen. Wenn die Menschen bloß aufhören würden sich davor zu fürchten, nett zu sein!
Quelle: wikipedia