Die Modewelt feiert Falten
Kosmetik- und Modemarken setzen vermehrt auf Frauen über 60 als Werbeträgerinnen. Unter den Applaus für den Bruch mit dem jugendlichen Schönheitswahn mischen sich kritische Stimmen, die in der Inszenierung weiblicher Falten ein zynisches Marketinginstrument sehen.
Uschi Glas war fast 60 Jahre alt, als sie sich 2003 für die Zeitschrift Max im Bikini ablichten ließ. Die Reaktionen auf die Fotostrecke waren gemischt, um es vorsichtig zu beschreiben. Sie reichten von begeistertem Lob für ihren Mut bis hin zu scharfer Kritik – böse Zungen behaupteten, die Aktion sollte vor allem dem Absatz ihrer Kosmetikprodukte dienen.
Nackte Seniorinnen und sexistische Sprüche
Nur vier Jahre später blies die Kosmetikmarke Dove zum Großangriff auf Ageism, die Altersdiskriminierung. Mit dem Slogan „Pro-Age“ setzte Dove eine neue Produktreihe für reife Haut unkonventionell und höchst polarisierend in Szene: mit nackten Seniorinnen. Dove war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt für öffentlichkeitswirksame Werbekampagnen, die die Schönheit unretuschierter und „normal“ proportionierter Körper inszenierte, und so passte Pro-Age perfekt in das Image sanfter Kosmetik für natürliche Schönheit. Kundinnen auf der ganzen Welt überschütteten Dove mit Dankes-Emails und der Wiedererkennungswert der Marke stieg enorm dank zahlreicher viraler Kampagnen.
Im professionellen Umfeld wurde das Konzept wesentlich kritischer aufgenommen. So wies zum Beispiel Marketing-Experte und Buchautor Tad Hargrave auf seinem Blog Marketing For Hippies darauf hin, dass der internationale Lebensmittel- und Kosmetikkonzern Unilever mit seiner Marke Dove ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Frauenbild propagiere, während er für die Männer-Deodorant-Marke Axe leicht bekleidete Models unfassbar sexistische Sprüche aufsagen lässt.
Für die einen ist Doves Pro-Age eine unterstützenswerte (und bis heute andauernde) Kampagne. Andere sehen darin den zynischen Versuch, einen Marketing-Wolf in einen Wohlfühl-Schafspelz zu verpacken, um Imagewerte und Absatzzahlen in einem Abwasch zu verbessern.
Die ursprünglich nur in Deutschland und Großbritannien gestartete Kampagne hat ihren Machern, der internationalen Kreativagentur Ogilvy & Mather, immerhin zahlreiche Preise und Auszeichnungen beschert, und auch Dove selbst bezeichnet das Konzept als vollen Erfolg, trotz andauernder und oftmals harscher Kritik.
Die Alten passen in die Schablone ihrer jungen Kolleginnen
Was aber hat sich seitdem geändert in den Modezeitschriften und Werbefilmen, die uns tagtäglich begegnen? Tatsächlich scheint es so, dass sich immer mehr Marken nicht nur intern mit dem Thema Alter auseinandersetzen. Mittlerweile häufen sich die perfekt abgelichteten Hinweise darauf, dass Kampagnen mit älteren Models voll im Trend liegen.
Folk-Sängerin Joni Mitchell und 60er Ikone Twiggy waren jüngst in Anzeigen für die Luxusmarke St. Laurent Paris (Mitchell) und L’Oréal Professionnel (Twiggy) zu sehen. Weitaus mehr Aufmerksamkeit erzeugte allerdings Céline, ebenfalls eine französische Luxusmarke, als sie die 80-jährige amerikanische Schriftstellerin Joan Didion zum Gesicht ihrer neuen Accessoire-Kampagne machten. Didion, hyperreal inszeniert von Starfotograf Jürgen Teller, wurde über Nacht zur Symbolfigur des neuen Trends erklärt. Didion selbst sagte in einem Interview zum Medienecho der Kampagne, sie habe von der Aufregung überhaupt nichts mitbekommen. Viel Lärm um nichts also?
Tommy Hilfiger und Dolce & Gabbana, zwei Labels, die sich in Stil und Zielgruppe deutlich voneinander unterscheiden, haben schon öfter männliche und weibliche Models über 60 für ihre Kampagnen gecastet. Auch American Apparel, eher für Anzeigen mit leicht bekleideten Teenager berüchtigt, ließ 2012 Jacky O’Shaughnessy (63) für sich werben. Auch sie war nur leicht bekleidet zu sehen, eine Tatsache, die in der Medienwelt intensiv diskutiert wurde und der Kampagne zu nachhaltigem Erfolg verhalf. Jacky O’Shaughnessy gab in mehreren Interviews zu ihrem Deal mit American Apparel unumwunden zu, sie sei zwar kein professionelles Model. Auf ihr Aussehen und ihr Gewicht habe sie aber schon immer sehr geachtet und unter dieser ständigen Selbstoptimierung sehr gelitten. Während die Befürworter der Kampagne ihre klaren Worte gegen den Körperwahn loben, kritisieren die Gegner, dass Jacky mit ihrem schlanken Körper und der wallenden Haarpracht perfekt in die Schablone ihrer um einige Jahrzehnte jüngeren Vorgängerinnen passt, trotz grauer Haare und Falten.
Geht es den Werbern und Markenstrategen womöglich nur um billige Provokation und gar nicht um das Brechen von Alters-Tabus oder die realistische Abbildung von „echten“ Menschen? Daphne Selfe (86) und Carmen Dell’Orifices (83) gelten ebenfalls als leuchtende Sterne des neuen „advanced models“-Trends. Beide Damen sind jedoch alles andere als Amateur-Models sondern seit über 60 Jahren im Mode-Business tätig. Carmen Dell’Orifices zierte bereits mit 15 die Titelseite der amerikanischen Vogue.
Über alte Männer in der Werbung wundert sich niemand
Fest steht, dass vor allem die großen Modemarken gut daran tun, ihre Werbekampagnen nicht komplett an ihrer solventen Ü50-Kundschaft vorbei zu gestalten und statt jugendlicher Models öfter mal eine Daphne Selfe, Carmen Dell’Orifeces, oder Jacky O’Shaugnessy vor die Kameralinse zu holen. Ob diese schlanken Damen mit ihrer makellosen Haut und ihrem vollen Haar allerdings die Vorboten einer Pro-Age-Revolution sind, ist zu bezweifeln. Ihre Schönheit, wenn auch strahlend und bewundernswert, geht zu sehr konform mit den Idealen, gegen die man sie angeblich ins (Werbe-)Feld geschickt hat.
So hat der Trend vorerst noch einen faden Beigeschmack. Aber vielleicht blicken wir in einigen Jahren auf die Diskussion zurück und wundern uns, warum weibliche Models mit Falten und grauen Haaren überhaupt als werbeträchtige Provokation eingesetzt wurden? Dass der Schauspieler Harvey Keitel mit 72 noch für Prada vor der Kamera stand und sein Kollege Clint Eastwood im stattlichen Alter von 79 in all seiner Faltenpracht auf der Titelseite des amerikanischen GQ Magazins zu sehen war, hat ja schließlich auch niemanden gewundert.