Alles im grünen Bereich?
Öko-Kirchenbasar und muffiger Eine-Welt-Laden waren gestern: Nachhaltiges Denken und Konsumieren ist heute so sexy, dass sich selbst die Industrie ein grüngewaschenes Scheibchen abschneidet. Aber zwischen veganen Würstchen und Öko-Reisen entfernt sich der Nischenmarkt immer weiter von politischen Forderungen. Was bleibt von der Nachhaltigkeit jenseits der konsumorientierten Worthülse?
Um dies besser zu verstehen, führe ich eine Woche lang Nachhaltigkeitstagebuch. Für meine WG notiere ich eine erste Positivbilanz: Wir essen vegetarisch oder vegan, Textilien, Möbel sowie Elektronik kaufen wir überwiegend Second Hand und vermeiden so, dass neue Güter produziert werden. Wir beziehen Ökostrom und recyceln zur Belustigung ausländischer Freunde „very german“ in sechs Mülleimern. Ein Auto hat keiner von uns, wir fahren acht Monate im Jahr mit dem Rad und zuletzt privat mit dem Flugzeug verreist bin ich 2011. Doch auch dieser bescheidene Öko-Lifestyle hat schnell ein paar Kratzer: So sind meine Zigaretten geradezu das Gegenteil von nachhaltig und während des Winterschlussverkaufs landet ein T-Shirt für drei Euro in meinem Schrank. Die schwedische Modekette verspricht zwar „nachhaltige Baumwolle“ – aber was kommt bei diesem Preis noch beim Produzenten an? Auch andere Lebensbereiche sind problematisch – so erfahre ich auf der Seite slaveryfootprint.org, dass mein Konsumverhalten 25 Menschen in moderne Sklaverei zwingt. Immerhin 15 weniger als der Durchschnitt, aber einfach 25 Menschen zu viel. Die Gründe: mein neues Smartphone sowie Kosmetik mit dem Konfliktmineral Mica.
Nur noch mal schnell die Welt retten
Konsum sollte niemandem schaden. Deshalb greife ich auch gerne zu Produkten mit Siegeln für fairen Handel. Damit bin ich nicht alleine, denn ethisch vertretbare Produkte werden in Deutschland immer beliebter. 2014 wurden faire Waren im Wert von 827 Millionen Euro gekauft, 173 Millionen mehr als 2013. Am bekanntesten unter den 26 fairen Siegeln in Deutschland ist dabei Fairtrade, das 2014 laut Forum Fairer Handel 78 Prozent der Sparte abdeckte. Fairtrade interpretiert jedoch genauso wie seine Konkurrenz-Siegel den ungeschützten Begriff „fair“ nach eigenen Kriterien. Beispielsweise müssen so genannte Mischprodukte wie Schokolade einen Mindestanteil von 20 Prozent an fairen Zutaten enthalten, um das begehrte Label zu erhalten. Der Rest der Zutaten kann völlig „unfair“ sein. Auch auf Produkte aus verschiedenen Ernten wie Saft, Tee oder Zucker wird dieser sogenannte Mengenausgleich angewandt. Dadurch kann es passieren, dass ein Produkt das Fairtrade-Siegel erhält, ohne faire Ware zu enthalten. Ein Eiscreme-Hersteller ging zudem so weit, trotz großer Fairtrade-Aufmacher auf Bechern und Homepage die 20 Prozent Mindestanteil in einigen seiner Sorten zu unterschreiten – bisher ohne Konsequenzen.
Doch der Markt mit fair gehandelten Gütern boomt, von 2011 bis 2014 verdoppelte sich der Umsatz. Auch im Discounter finden sich nun von Fairness und Nachhaltigkeit inspirierte Labels wie UTZ, Fairglobe oder Rainforest Alliance. Sie gelten laut Stiftung Warentest jedoch als eher schwache Siegel. Gelobt wurde hingegen die Kennzeichnung Gepa Plus, bei der mindestens 50 Prozent der Zutaten fair gehandelt sein müssen. Trotz aller Unstimmigkeiten empfehlen Experten den Kauf gekennzeichneter Produkte, da auch niedrige ökologische wie soziale Standards besser sind als gar keine.
Zwischen Abfallberg und Zero Waste
Doch selbst dem fairsten Einkauf folgt der Müll. Deutschland galt lange als Recycling-Weltmeister und entwickelte Anfang der 1990er erfolgreich das Duale System sowie den „Grünen Punkt“. Allerdings verursachten laut Eurostat die Menschen in Deutschland 2013 pro Kopf 617 Kilogramm Haushalts- und Verpackungsabfälle und damit 136 Kilogramm mehr als der EU-Durchschnitt. Hauptgründe dafür sind vor allem der Online-Handel, Kapseln für Kaffeeautomaten, Billigtextilien, Pappbecher der To-Go-Kultur sowie Elektrogeräte, deren Hard- oder Software nur von kurzer Lebensdauer sind. Viele Verbraucher sind zudem recyclingmüde und so landen die Abfälle unsortiert in einer Tonne.
Ganz anders ist hingegen die Zero Waste-Bewegung, denn sie kombiniert Nachhaltigkeit mit einem minimalistisch-eleganten Lifestyle. Häufig sind es dabei weiße Frauen aus der Mittelschicht wie die Französin Bea Johnson oder die US-Amerikanerin Lauren Singer, die den Ton angeben. Ihr Markenzeichen: ein Schraubglas, in das ihr gesamter Jahresmüll passt.
Innerhalb der Null-Müll-Bewegung wird jedoch kritisiert, dass das Konzept eher Zero Home Waste heißen müsste – denn manchen Verpackungsmüll lassen die Zero Waster schlichtweg im Laden zurück. Was zuhause noch an Abfall anfällt, wird aufgewertet, recycelt oder kompostiert. Ich frage mich wiederum, was beispielsweise mit dem Schutt passierte, der beim Bau meiner Wohnung oder der städtischen Infrastruktur anfiel. Müsste das nicht eine ewige „Müllschuld“ sein, die Zero Waste für mich unmöglich macht? Müssen wir Müll vielleicht hinnehmen, um gesellschaftliche Fortschritte zu erreichen? Ist Müll notwendig, um in einer modernen Gesellschaft zu leben?
Eine Frage des Respekts
Mein Fazit nach einer Woche ist, dass 100 Prozent Nachhaltigkeit eine echte Herausforderung bleiben. Dies liegt nicht zuletzt auch am Zeitaufwand, den man betreibt, um Angebote in Stadt oder Region wahrzunehmen, nach Alternativen zu suchen sowie Produkttests, Anbieter und Siegel zu vergleichen. Dabei hilft, anfangs die Ansprüche herunterzuschrauben und von anderen zu lernen, beispielsweise von der Zero Waste-Bloggerin Gabriele Rassow. Sie schreibt darüber, wie Nachhaltigkeit auf dem Land funktionieren kann, wie man Kinder einbindet, ohne sie zu überfordern oder ungewollt sozial auszugrenzen, aber auch, welche praktischen und persönlichen Hürden man im Alltag überwinden muss. Für die Bloggerin bereichert jede neue Information das eigene Wissen um Zusammenhänge nachhaltiger Lebensführung. So kann die Umsetzung in kleinen Schritten gelingen, ohne sich dabei nur auf Konsum in einem Nischenmarkt zu beschränken.
Denn Nachhaltigkeit sollte letztlich mehr sein als nur ein Lifestyle oder die Summe korrekter Kaufentscheidungen. Im Kern geht es um politische Forderungen und auch stets um Respekt: Vor unserer Umwelt, unseren Ressourcen, vor nachfolgenden Generationen, vor den Bedürfnissen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, vor der Würde des Bauern von nebenan und der Näherinnen in Bangladesch.
Nachhaltig anfangen
- Der Konsum tierischer Lebensmittel ist nicht nur ein Problem der Massentierhaltung, sondern auch der Ökologie. So benötigt laut Vereinigung Deutscher Gewässerschutz ein Kilo Rindfleisch mehr als 15.000 Liter zur Herstellung – das sind knapp 112 Badewannen voll. Zusätzlich trägt das Methangas, das Tiere ausscheiden, stärker zur Klimaerwärmung bei als alle weltweiten Abgase aus dem Verkehr. Wer weniger, aber besseres Fleisch essen will, sollte beim Bauern oder lokalen Metzgereien einkaufen. Oder man ersteigert beim so genannten Crowd Butching im Internet eine Kuh. Das etwas klimafreundlichere Schweinefleisch gibt es ebenfalls im Netz.
- Fast genauso durstig ist auch Baumwolle, die je nach Anbauregion laut Vereinigung Deutscher Gewässerschutz zwischen 11.000 bis 23.000 Liter Wasser pro Kilo verbraucht. Zusätzlich sind die Arbeitsbedingungen im Baumwollhandel oft unfair und gesundheitsschädlich. Wessen Budget aber zu gering ist für faire Textillabels, der kann auch auf Second-Hand-Mode ausweichen. Diese findet sich auf Tausch- und Kaufportalen wie Kleiderkreisel, Kleiderkorb, ebay oder shpock sowie bei regionalen Tausch- und Flohmarktgruppen. Einen besonderen Service bietet zudem die Outdoor-Firma Patagonia an, die Waren aus ihrem Sortiment repariert. Die Konkurrenzfirma VAUDE bietet in einem speziellen Web-Shop gut erhaltene Teile zum günstigen Weiterverkauf an.
- Für den nachhaltigen Alltag empfiehlt sich auch der Verzicht auf Verpackungen und Plastik, beispielsweise beim Essen außer Haus. Thermobecher, Edelstahl- oder Glasflaschen, Schraubgläser sowie die gute alte Brotdose helfen dabei, täglich Müll und Geld zu sparen. Die Anschaffungen sind nicht immer billig, aber lohnen sich, da die Behälter beinahe ewig halten. Für ganz Eilige empfehlen sich Services wie Too Good To Go und Mealsaver, die beide mit demselben Ansatz arbeiten: Frisches Essen vor der Mülltonne retten und Kunden eine günstige Mahlzeit bescheren. Pluspunkt bei Too Good To Go: Ihre Lebensmittelbehälter sind zu 100 Prozent biologisch abbaubar.
- Auch beim nachhaltigen Verreisen gilt: Weniger ist mehr. Viele schöne Reiseziele lassen sich auch ohne Flugzeug erreichen, wer dennoch fliegen möchte, kann einen Emissionsrechner benutzen. Einige Reiseanbieter haben sich bereits auf nachhaltigen Urlaub und Tourismus spezialisiert, was neben ökologischen Aspekten auch Standards für faire Löhne und sanfte Entwicklung der Region einbezieht.
- Finanzen und Geldanlagen können ebenfalls nachhaltig sein. Dies bedeutet, dass eine Bank beispielsweise kein Geld an Firmen verleiht, die im Atom- oder Rüstungssektor arbeiten, die Kinderarbeit unterstützen oder durch ethische, soziale und ökologische Verstöße negativ auffielen. Ausführliche Informationen dazu bieten Stiftung Warentest sowie die Verbraucherzentralen.