Wahlspektakel

Piráti, CC BY-SA 3.0Foto: © Patrick Hamouz
Die Sozialdemokraten haben zwar die meisten Wählerstimmen bekommen, blieben aber dennoch weit unter ihren Erwartungen. Foto: © Patrick Hamouz

Es ist (vermutlich) weitreichend bekannt: Die vorgezogenen Wahlen in Tschechien haben vor allem dazu gedient, um die Politik und die bisherigen Regierungsparteien abzustrafen. Die Tschechische Sozialdemokratische Partei (ČSSD) ist mit 20,45 Prozent stimmenstärkste Partei, gefolgt von der Protestpartei Aktion unzufriedener Bürger (ANO) mit 18,65 Prozent und den Kommunisten (KSČM). Außerdem schafften auch noch die liberal-konservative TOP 09, die konservative ODS, die populistische Vereinigung Úsvít přímé demokracie (Morgendämmerung der direkten Demokratie) und die christdemokratische KDU-ČSL den Einzug in das Parlament. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 60 Prozent.

Für mich war das Ergebnis zwar in gewisser Weise vorhersehbar, es hat mich aber trotzdem überrascht. Manchen Parteien hätte ich den Einzug ins Parlament nicht zugetraut. Ich habe mich aus diesem Grund unter meinen tschechischen Freunden an der Uni umgehört, welcher Partei sie ihre Stimme gegeben haben oder warum sie beispielsweise nicht gewählt haben. Die Antworten spiegeln die Parteienvielfalt im neuen Parlament wieder. Zugegebenermaßen hat mich auch das überrascht. Ich bin mir nämlich fast sicher, dass viele in meinem Freundeskreis in Österreich dieselbe Partei wählen wie ich oder dass zumindest das Spektrum nicht so groß ist.

Foto: © Patrick Hamouz
Zweideutige Botschaft unter dem TOP09-Wahlslogan „Wir wissen, wohin wir gehen“: „Wenn ihr doch nur schon da wäret.“ Foto: © Patrick Hamouz

Dominik, 21 Jahre, studiert Außenhandel und Sportmanagement in Prag

„Ich habe meine Stimme TOP09 gegeben. Das war zusammen mit den kleineren Parteien für mich die einzige Möglichkeit. Hätte ich aber die kleineren Parteien gewählt, hätte ich meine Stimme weggeworfen.“

Lukáš, 27 Jahre, arbeitet als Softwareentwickler in Wien

„Ich habe ANO gewählt, weil Änderungen in der Politik für mich derzeit wichtiger sind als eine Regierung der Parteien, die ich sonst wählen würde. Die alten Parteien halten gerne an dem korrupten System fest, das für sie vorteilhafter ist, aber nicht für die Bürger.

Klára, 24 Jahre, studiert Sicherheitsstudien und Journalismus in Prag

„Ich habe die Grünen gewählt, weil ich mir nach dem Sturz der Regierung versprochen habe, dass ich keiner der Regierungsparteien meine Stimme gebe. Und obwohl mir ein Teil der Grünen viel zu links vorkommt, stimme ich ihnen in vielen Bereichen zu. Ich habe sie auch gewählt, weil ich diesen Planeten sehr mag.“

Strana zelených CC BY 3.0
Die Grünen warben um Wählerstimmen mit dem Motto „Lasst es uns gemeinsam ändern!“ Die Partei verfehlte mit knapp 3,2 Prozent der Stimmen jedoch den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Strana zelených CC BY 3.0

Marie, 29 Jahre, hat in Olmütz studiert und ist derzeit auf Arbeitssuche

„Ich habe zwischen TOP09 und KDU-ČSL überlegt, habe mich aber dann doch für die KDU-ČSL entschieden. Es war klar, dass die ČSSD gewinnen wird und TOP09 in die Opposition gehen wird. Meine Vorstellung wäre gewesen, dass die KDU mit der ČSSD eine Koalition eingehen könnte und dann in der Regierung Werte wie Familie oder auch die kirchlichen Restitutionen vertreten könnte.“

Kryštof, 21 Jahre alt, studiert Jura in Prag

„Ich habe TOP 09 gewählt, weil das für mich das geringste Übel war und TOP09 die einzige der großen Parteien ist, die ein zumutbares und umsetzbares Programm hat.“

Viktor, 23 Jahre alt, studiert Germanistik und Bohemistik in Olmütz

„Ich habe die Grünen gewählt, weil mir ihr Programm sehr nahe ist.“

Foto: © Patrick Hamouz
Der Überraschungssieger der vorgezogenen Neuwahlen. Milliardär Andrej Babiš und seine Bewegung ANO wurden aus dem Stand zweitstärkste Kraft in Tschechien. Foto: © Patrick Hamouz

Michal, 27 Jahre, studiert Soziologie in Prag

„Ich habe die Kommunisten gewählt, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Als einzige geben sie schon mit ihrem Parteinamen zu erkennen, dass man über grundlegende Änderungen in der Gesellschaft nachdenken muss. Ich denke nämlich, dass das gegenwärtige Regime nicht haltbar und wahrscheinlich auch nicht mehr reformierbar ist. Obwohl die Kommunisten immer noch durch ihre Nostalgie beschränkt sind und Einfallsreichtum vermissen lassen, ist es meiner Meinung nach bei ihnen von allen Parteien am wahrscheinlichsten, dass ein Potential für die Zukunft entsteht. Zweitens: Als einzige sind sie konsequent in ihrem Widerstand gegen den US-amerikanischen Imperialismus.“

Antonia, 21 Jahre, hat in Bristol studiert und absolviert jetzt ihren Master in Prag

„Ich habe für TOP09 gestimmt. Ich hätte fast die Grünen gewählt, aber ich wusste, dass sie nicht genug Stimmen bekommen würden, um den Einzug ins Abgeordnetenhaus zu schaffen. Ich bin eine Wählerin des rechten Flügels, deshalb war TOP 09 eine klare Option, seit die ODS und Petr Nečas den Ruf der Partei total zerstört haben. Schwarzenberg weiß hoffentlich, was er tut.“

Jakub, 22 Jahre, studiert Anglistik und Germanistik in Prag

„Ich habe nicht gewählt, weil ich zu der Zeit im Ausland war und ich es vorher nicht geschafft habe mir einen Wahlschein ausstellen zu lassen. Ich hätte geschankt zwischen den Grünen und den Piraten, wobei mir beide Parteien programmatisch nahe sind. Beide haben aber (derzeit) keine Chance ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Ich ärgere mich, dass ich nicht wählen konnte, denn jede Stimme – auch eine ungültig – ist eine Meinungsäußerung. Wer nicht zur Wahl geht, bringt sich um diese Möglichkeit.“

Piráti, CC BY-SA 3.0
Piráti, CC BY-SA 3.0

Kateřina, 27 Jahre, arbeitet im IT-Bereich in Brünn

„Ich habe ODS gewählt, weil sie eine rechte Partei ist und ich aus einer Familie komme, in der immer alle selbstständig waren.“

Romana, 20 Jahre, studiert transkulturelle Kommunikation Deutsch, Tschechisch, Englisch und Spanisch in Wien

„Ich habe ANO gewählt, weil ich glaube, dass es Zeit ist für eine Änderung beziehungsweise weil ich der Meinung bin, dass etwas Neues hermuss.“

Stanislav, 27 Jahre, studiert Soziologie

„Ich habe die Sozialdemokraten gewählt. Ich wollte Kandidaten aus dem Parteiflügel unterstützen, der mir sympathischer ist. Das ist aber schließlich nicht ganz gelungen.“



Magdas Erasmus-Blog #2
Willkommen in Prag!
Magdas Erasmus-Blog #4
Neonazis und Karnevalsfiguren

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November 2013

    Magdas Erasmus-Blog

    Magdalena ist gebürtige Oberösterreicherin. Sie lebt seit 2008 in Wien und hat dort Journalismus studiert. Derzeit ist sie im Rahmen ihres Bohemistik-Studiums in Prag und schreibt regelmäßig über ihre Eindrücke.

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    #2 Willkommen in Prag!

    #3 Wahlspektakel

    #4 Neonazis und Karnevalsfiguren

    #5 Sie tschechern!

    #6 Falsches Deutsch

    #7 Prag im Bild

    #8 Alles hat ein Ende

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