Alles hat ein Ende
Mein Erasmus-Aufenthalt in Prag ist zu Ende, somit schreibe ich auch meinen letzten Blog-Eintrag. Dafür habe ich mich von „Regulace intimity“, einem der besten Theaterstücke, das ich in Prag gesehen habe, inspirieren lassen. Es handelt sich um ein modernes, experimentelles Theaterstück (oder viel mehr Sprechstück) von Studenten der DAMU, der Theaterfakultät der Akademie der Musischen Künste in Prag. Nacheinander sprechen sie etwa von ihren Vorlieben, ihren Ängsten, über Dinge, die sie bereuen, für die sie sich schämen oder die sie hassen.
Leicht abgeändert habe ich einige der Kategorien übernommen, die in diesem Stück vorkommen. Nach zehn Monaten in Prag habe ich daraus ein abschließendes, wenn auch unvollständiges Fazit geformt:
Miluji… // Ich liebe...- die Stadt mit all ihren Ecken und Kanten, kommunistischen Bauten, Vorzeigevierteln für Touristen und heruntergekommene Wohnsiedlungen.
- die unzähligen Kneipen, vor allem die „typisch tschechischen“, die – obwohl verraucht und versifft – trotzdem ihren Charme haben.
- eingelegten Hermelin.
- dunkles Kozel-Bier.
- beinahe jeden einzelnen Menschen, den ich kennengelernt habe.
- Fasching in Doudleby.
- die Selbstverständlichkeit, mit der mich meine engsten Freunde hier in ihre Gruppe aufgenommen haben.
- meinen sprachlichen Fortschritt.
- die Serie „První republika“.
- die Lage meiner Wohnung.
- die Bäckerei ums Eck, weil sie den besten Schokokuchen überhaupt backen.
- die leeren Straßen und Parks am Wochenende, weil „alle“ Tschechen in ihrer Chata auf dem Land sind.
- laue Sommerabende auf der Náplavka.
- den Unternehmungsgeist der Tschechen.
- den Comic Opráski sčeskí historje.
Mrzí mě... // Es tut mir leid…
- , dass ich Mariáš nicht richtig gelernt habe.
- , dass ich viel zu wenig in Tschechien herumgereist bin.
- , dass ich bei dem Brettspiel Česko die Fragen immer erst dann verstanden habe, wenn die anderen schon längst die richtige Antwort gegeben haben.
- , dass ich so selten die Obdachlosenzeitung Nový prostor gekauft habe.
- , dass ich für manche Menschen zu wenig Zeit hatte.
- , dass ich das Getränk „vodníkovo sperma“ (Wassermannsperma) dann doch nie getrunken habe.
- , dass ich einen Volkssport der Tschechen, „jet na vodě” („auf’s Wasser fahren“) nie mitgemacht habe.
Divím se... // Ich wundere mich…
- über die Art und Weise, wie Tschechen ihre rohlíky oder Semmeln zum Frühstück essen (sie werden nicht in zwei Hälften geschnitten, die Unterseite wird einfach mit Butter und Marmelade beschmiert).
- , dass man Schnitzel hier mit Erdäpfelpüree isst.
- , dass es für viele Tschechinnen und Tschechen selbstverständlich ist, dass „er“ alles bezahlt.
- darüber, dass es immer und überall Bier und Grillwurst gibt, sogar bei der „Langen Nacht der Museen“.
- , dass auch in der Prüfungszeit fast keine Studenten zum Lernen in der Bibliothek sind.
Vytáčí mě… // Es kotzt mich an…
- , dass die Wahlbeteiligung in Tschechien bei der EU-Wahl nur bei 18,2 Prozent lag.
- , dass viele so positiv von Temelín sprechen.
- , dass die Qualität der Lebensmittel im Supermarkt meiner Meinung nach zu wünschen übrig lässt.
- , dass es ein Volk, das so gute Mehlspeisen hat, nicht schafft, ordentliches Brot zu backen.
- , dass es so viele Hunde in Prag gibt.
- , dass ich ganz oft als die „reiche Österreicherin“ abgestempelt wurde.
- , dass Drogerieprodukte fast doppelt so teuer sind wie in Österreich.
- , dass ich immer noch nicht richtig böhmische Polka tanzen kann.
- , dass ich auch schon begonnen habe, das Wort „hele“ (etwa: Ey) am Beginn eines Satzes zu verwenden.
- , dass Leggins hier als Hosen getragen werden.
- , dass mir in Spindlermühle unterstellt wurde, ein Handy stehlen zu wollen, nur weil ich einen Akzent habe.
- die „Ist mir egal“-Einstellung mancher Tschechen.
- , dass in der U-Bahn immer angezeigt wird, um viele Minuten und Sekunden ich eine Bahn verpasst habe, aber nicht, wann die nächste kommt.
- , dass ich so viele Dinge nicht gemacht habe.
- , dass ich in Prag bald nur noch zu Besuch sein werde.
Bojím se // „Ich fürchte“ mich…
- davor, Abschied zu nehmen.
- wie es wohl sein wird, wieder ohne all diese Dinge zu sein. Immerhin gewöhnt man sich ganz schnell an so viele Dinge.
Magdas Erasmus-Blog #7 Prag im Bild |