Februar 2022
Reinhard Kleist: Knock Out!

Bucheinband: Knock Out!
© SelfMadeHero

Wenn dir der Film I, Tonya gefällt, empfehlen wir die Graphic Novel Knock Out! von Reinhard Kleist.

Der 2017 erschienene Film I, Tonya war ein großer Erfolg beim Publikum und den Kritiker*innen gleichermaßen, und wurde für drei Oscars nominiert. Der Film zeichnet sich durch eine Mischung von Mitgefühl und schneidendem Humor aus und wirft ein Schlaglicht auf einen Vorfall in der Eiskunstlauf-Szene: Er skizziert das frühe Leben der Eiskunstläuferin Tonya Harding und ihre angebliche Beteiligung am brutalen Überfall auf ihre Rivalin, Nancy Kerrigan, der Hardings Karriere ein Ende setzte.

Der Vergleich mag etwas weithergeholt scheinen, aber Reinhard Kleists Graphic Novel Knock Out! bietet ebenfalls einen – ähnlich tragikomischen – Einblick in das Leben eines anderen Sportlers, dessen Kariere ebenfalls an einem Skandal zerbrach. Emile Griffith war bereits Boxweltmeister, als er 1962 aus recht unerfreulichen Gründen bekannt wurde: Sein Gegner Benny Paret starb an den Verletzungen, die er im Kampf gegen Emile Griffith erlitten hatte.

An dieser Stelle sei gesagt, dass ich eigentlich kein Fan von Boxen bin – und die Darstellung von Gewalt ist auch nicht so meins. Aber Knock Out! ist eine wirklich berührende und nachdenklich stimmende Geschichte, die nicht nur etwas für eingefleischte Boxfans ist.

In dynamischen Schwarzweißbildern stellt Reinhard Kleist das Leben eines jungen Manns dar, der nie vorhatte, Boxer zu werden. Stattdessen ist Emiles erste große Liebe (außer seiner geliebten Mama) die Hutmode – und die Szenen, in denen er Damenhüte mit Blumen oder Federn schmückt, bieten einen sanften Gegenpol zur Energie des Boxrings. Über die verwirrten Gesichter der Sportjournalisten, als Emile ihnen begeistert erzählt, dass die Pillbox-Hüte von Jackie Kennedy nie aus der Mode kommen werden, musste ich laut lachen.

Dabei ist das Leben alles andere als einfach für den schwarzen und bisexuellen jungen Mann in einer Zeit, als sich die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung gerade erst formiert. Kleist bildet die Unbekümmertheit und den Zusammenhalt in den Gay Clubs, aber auch die Polizeirazzien, die Gerüchte und Tabus ab. (Er vermeidet dabei aber jedes Pathos. Als Emiles Coach ihm sagt, er solle über sein Liebesleben lieber schweigen, protestiert Emile, dass er es möge, wenn die Leute über ihn redeten: Er verkaufe so mehr Hüte!) Den Höhepunkt des Buchs bildet natürlich der schicksalhafte Kampf mit Benny Paret – der Emile vor dem Kampf homophob beleidigt. Nach dem Kampf und Parets Tod boxt Emile weiter – aber Parets Gesicht verfolgt ihn, und er hat Angst, noch jemanden tödlich zu verletzen.

In einem Rahmennarrativ, das überraschend gut funktioniert, erinnert sich der alte Emile im Gespräch mit dem Geist von Benny Paret an diese entscheidenden Momente seines Lebens, während dieser versucht, Emile bei Bewusstsein zu halten, nachdem er einem homophoben Überfall zum Opfer gefallen ist. Das mag etwas bizarr klingen, ich weiß, aber es ist charakteristisch für Kleists beachtliche Fähigkeit, Widersprüche zuzulassen. Während Emile erzählt, wie er immer wieder von seinen Schuldgefühlen heimgesucht wird, zeigt Benny Mitgefühl – aber gewährt nie eine endgültige Vergebung.

Über die Autorin

Annie Rutherford ist eine hoffnungslose Leseratte, kann sich nie auf nur eine Sache festlegen und bewegt sich am Liebsten irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Sie ist stellvertretende Festivaldirektorin bei StAnza (Schottlands internationalem Lyrikfestival), übersetzt vor allem literarische Texte aus dem Deutschen ins Englische, leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und vieles mehr. Sie wurde schon erwischt, wie sie fahrradfahrend gelesen hat (was sie nicht empfehlt) und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.

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