Juli 2023
Daniela Krien: Der Brand

Das Bucheinband zeigt eine Frau balancierend auf einem Seil umgeben von Himmel; es liegt auf einer Decke gemeinsam mit einer Sonnenbrille und einem Getränk
© Maclehose Press

Daniela Kriens Der Brand spielt während eines Sommerurlaubs auf dem Land: Ein sorgfältig ausgearbeitetes Porträt einer Ehe, das die Gesellschaft als Ganzes widerspiegelt. Dieser atmosphärische, charakterstarke Roman wird Fans von der US-amerikanischen Autorin Ann Patchett begeistern.

Der jüngste Roman von Daniela Krien beginnt mit einem Brand. Einem unsichtbaren Brand. Wir erfahren es aus zweiter Hand, wie auch die Hauptprotagonistin Rahel: Durch einen Anruf, in dem ihr mitgeteilt wird, dass der lang ersehnte Urlaub nicht stattfinden kann. Drei Tage vor ihrer Ankunft ist das Ferienhaus, das sie für sich und ihren Mann gebucht hat, abgebrannt. Kurz darauf kommt eine weitere Nachricht: Viktor, der Ehemann von Ruth – ein älteres Paar, das für Rahel fast wie Eltern sind – hat einen Schlaganfall erlitten und wurde in eine Rehabilitationsklinik eingewiesen. Jemand muss sich drei Wochen lang um ihr Haus und ihre Tiere kümmern. Können Rahel und Peter einspringen?

So beginnt ein schmaler Roman, der, wie alle Werke von Daniela Krien, auf den ersten Blick so ruhig wirkt wie der See, in dem Peter und Rahel drei Wochen lang schwimmen werden. Hinter der spärlichen Prosa verbergen sich jedoch viele komplexe Strömungen: Der Brand ist ein Roman über Politik und Erinnerung, über den Platz, den wir als Individuen in der Gesellschaft einnehmen, über die Beziehungen, die wir bilden – und die, die wir brechen. Es geht um Mütter und Töchter, um Mütter und Söhne, um jahrzehntelange Ehen und um weiße Männer mittleren Alters, die mit der Welt um sie herum nicht mehr Schritt halten können. Es geht um die routinemäßigen Handlungen, die den Alltag ausmachen, um gute Absichten und schwierige Entscheidungen, um die Verwandlungen, die ein einfacher Tapetenwechsel bewirken kann. Es geht um Leben, Tod, Geheimnisse und Streit, um das Älterwerden, um Zuhören, darum, wen wir lieben und wie.

Der Brand ist, kurz gefasst, ein Roman über das Menschsein – aber, wie Krien es zu tun pflegt, er wirft auch einen Blick auf die Gesellschaft im Allgemeinen. Diese Technik wird auch von US-Amerikanerin Ann Patchett mit großem Erfolg eingesetzt, zum Beispiel in ihrem Roman Das Holländerhaus (übersetzt von Ulrike Thiesmeyer). Sie konzentriert sich so sehr auf die Details im Leben ihrer Figuren, dass sie förmlich aus dem Buch herausspringen, dennoch verweben sich diese fiktiven Fäden zu einem Bildteppich der sehr realen Welt und regen uns dabei an, darüber nachzudenken, wie auch wir in dieser Welt leben.

Rahel ist zwar die Hauptfigur in Der Brand, Peter ist aber ebenso wichtig: Ein Mann, für den sich die Welt zu schnell verändert; der, durch die Augen seiner Frau gesehen, Gefühle von Mitleid, Ärger und Hingabe auslöst. In Peters Beziehungen zu seiner Frau, seinen Kindern und seinen Studierenden  werden die dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen reflektiert, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben: Von der deutschen Wiedervereinigung bis hin zur Pandemie. Ausgehend von Viktors Krankenhausbett, (ein weiteres unsichtbares Element des Romans, genau wie der titelgebende Brand) aber auch von Peters Schwierigkeiten, sowohl in seiner Ehe als auch in der Welt präsent zu bleiben, bekommen wir ein vages Gefühl der Bedrohung zu spüren – ein Gespür, dass vielleicht alles ein bisschen zu spät für dieses Paar ist, vielleicht sogar auch für uns. Und doch gibt es mit jedem Tag, der vergeht, einen Grund zur Hoffnung. Entdeckungen werden gemacht. Beziehungen werden neu gezeichnet. Jeder Morgen bringt frische Luft und die Chance, von Vorne wieder anzufangen.

Kriens Romane – wie zum Beispiel Die Liebe im Ernstfall – zeichnen sich durch ihre einnehmende Charaktere, fein abgestimmte Sätze und einen schrägen Humor aus: Elemente, die auch diesen scharfsinnigen, atmosphärischen Roman zu einem wahren Lesevergnügen machen. Der Brand ist ein zum Nachdenken anregendes Buch, das die Leserin in andere Leben und an andere Orte versetzt – der perfekte Roman für einen langen, lauen Sommertag.

Über die Autorin

Eleanor Updegraff liest extrem gerne, besonders übersetzte Literatur. Sie ist Ghostwriterin, Übersetzerin aus dem Deutschen, Lektorin und Buchrezensentin, sowie Autorin von Kurzgeschichten und Essays. Sie ist in Großbritannien aufgewachsen und wohnt nun seit 2015 in Österreich. Wenn sie nicht gerade liest, sitzt sie im Kaffeehaus oder läuft um einen österreichischen See herum.


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