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Rassistische Sprache in der Schule
„Sprache schafft Wirklichkeit“

Das Team von We A.R.E., von links nach rechts: Griselda Welsing, Linda Schulz, Aster Oberreit, Kira Römer
Gemeinsam gegen rassistische Sprache: Das Team von We A.R.E., von links nach rechts: Griselda Welsing, Linda Schulz, Aster Oberreit, Kira Römer | Foto (Detail): Georgina Fakunmoju © We A.R.E.

Diskriminierende Sprache ist in vielen Schulen Alltag. Die Aktivistinnen des Hamburger Vereins We A.R.E. wollen sich damit nicht länger abfinden. In einem Interview hat sich unsere Autorin erklären lassen, was rassistische Sprache mit Kindern macht.

Von Sandra Hermes

Der Hamburger Verein We A.R.E. (Wir für Antirassismus Edukation) will erreichen, dass Kinder im Alltag keinen Rassismus mehr erleben müssen. Die Aktivistinnen Griselda Welsing (40), Linda Schulz (34), Aster Oberreit (43) und Kira Römer (34) sind sich sicher, dass die sprachliche Bildung in Kita und Schule der Schlüssel zu einer rassismuskritischen Pädagogik ist. „Sprache schafft Wirklichkeit“, sagt Linda. „Sie hat die Macht, zu verletzen, die eine Lebensrealität abzubilden und andere auszuklammern.“ Als Mutter zweier Kinder und angehende Sonderpädagogin macht sie sich bei We A.R.E. stark für diverse Kinder- und Schulbücher, in denen ganz selbstverständlich auch Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, Religionen oder unterschiedlichen körperlichen Fähigkeiten vorkommen. Und das nicht in stereotypen Rollen, wie Schwarze Sportler*innen oder muslimische Reinigungskräfte, sondern als Ärzt*innen, Politiker*innen oder Tischler*innen.

Sprachlichen Rassismus hinnehmen ist auch eine Form von Diskriminierung

„Kinder, die unmittelbar von sprachlicher Diskriminierung betroffen sind, fühlen sich in der Schule häufig nicht ausreichend repräsentiert“, erklärt ihre Mitstreiterin Griselda mir im Interview. Die Mehrheit der Mitschüler*innen und Pädagog*innen ist in der Regel weiß (Bei der Schreibweise der Begriffe weiß (kursiv) und Schwarz (Großschreibung) orientiert sich die Autorin an den Empfehlung von Amnesty International). Es fehlen Vorbilder, die ebenfalls People of Color (PoC) sind und den Schüler*innen vorleben, dass sie alles werden können, was weiße Kinder auch werden können. Auch Lehrer*innen. „Die nachfolgende Generation von Lehrpersonen kann hoffentlich einen Beitrag dazu leisten, dass sich PoC in der Schule mehr gesehen fühlen“, so hofft Griselda. Sie betont, dass sprachlicher Rassismus sich in unseren Schulen nicht darin erschöpft, dass mit Absicht Schimpfwörter gerufen oder immer noch Redewendungen und Kinderreime mit kolonialem Ursprung benutzt werden. Es gehe vor allem auch darum, wie die anderen darauf reagieren. Darum, wie die Betroffenen durch die Sprachlosigkeit von Mitschüler*innen oder Pädagog*innen häufig zum Schweigen gebracht werden. Hier sieht We A.R.E. die Verantwortung besonders bei den Lehrer*innen und der Schulleitung. „Jemand muss laut und deutlich sagen, dass das nicht okay ist, dass diese Sprache verletzend ist. Das ist unfassbar wichtig“, erklärt Griselda. Denn jedes Nichtreagieren bedeute für die betroffenen Kinder eine Zustimmung, die ihr Selbstwertgefühl weiter untergräbt.

Soziale Medien als Fluch und Segen

Soziale Medien haben in diesem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert. „Sie sind Fluch und Segen“, findet Griselda. Betroffene können sie nutzen, um sich zu vernetzen und sich Unterstützung zu holen, sie können aber auch ganz leicht missbraucht werden, um rassistische Sprache, Hass und Gewalt weiter zu verbreiten. Daher sei es so wichtig, dass es für die Nutzung von Social Media im Schulalltag ganz klare Regeln gebe und Klassenchats unbedingt von Lehrpersonen moderiert werden sollten.

Es brauche verlässliche Strukturen, fordern die Aktivistinnen von We A.R.E. Wenn jemand klaut und erwischt wird, hätte dies in unserer Gesellschaft klare Folgen. Wenn jemand ein Kind auf dem Schulhof rassistisch beleidigt oder in einer Klassen‑WhatsApp‑Gruppe mobbt, fehlen in vielen Schulen klare Konsequenzen und eindeutige Ansprechpartner*innen, zum Beispiel Antidiskriminierungsbeauftragte. „Dass es gerade in Großstädten und sogar auf Bundesebene auch Antidiskriminierungsstellen und Beratungsangebote gibt, wissen die meisten Betroffenen und ihre Eltern gar nicht und muss besser kommuniziert werden“, kritisiert Linda.

Was jede*r von uns tun kann

We A.R.E. hofft, dass das in einigen Jahren anders sein wird. Der 2020 gegründete Verein will schon bei den ganz Kleinen in der Kita ansetzen und den Kindern zeigen, dass unsere Gesellschaft divers ist und alle Kinder gleich wertvoll sind, unabhängig davon, wie sie sind, wie sie aussehen, wie sie denken, wie sie fühlen.

Je mehr Kinder es geben wird, die schon in der Familie und in der Kita lernen, dass es ein Verbrechen war, dass die indigene Bevölkerung Amerikas von den europäischen Einwanderer*innen vertrieben oder getötet wurde, je mehr Grundschulkinder lernen, dass Menschen nicht besser oder schlechter sind, wenn sie einen Afro tragen, rote Haare haben oder das gleiche Geschlecht lieben, desto mehr Kinder werden später auf dem Schulhof die Courage haben, einem Kind zur Hilfe zu kommen, das durch Sprache oder Handlungen diskriminiert wird.
Die Aktivistinnen von We A.R.E. Die Aktivistinnen von We A.R.E. sind vor allem im Großraum Hamburg unterwegs. | Foto (Detail): Tina Weggler © We A.R.E Zusammen mit den anderen Frauen von We A.R.E. gehen Griselda und Linda in Schulen und geben dort altersgerechte Antirassismus‑Workshops. Eingeladen werden sie meistens nicht von der Schulleitung, sondern von einzelnen, engagierten Lehrer*innen. Es wäre schön, wenn auch die Politik mehr Initiative zeigte, meint Griselda. Im Moment laufe viel über einzelne Engagierte an der Basis. „Wir brauchen die Aktivist*innen, wir brauchen diejenigen, die vorpreschen, die auf die Umstände und Missstände aufmerksam machen. Aber jemanden von oben zu haben, der sagt, ich ebne euch den Weg, dann könnt ihr euch schneller bewegen für dieses wichtige Thema, das wäre schon toll!“

Und ich? Kann ich mehr tun? Sicher! Mich weiterbilden, lesen, unsere Sprache zusammen mit meinen Kindern selbstkritischer unter die Lupe nehmen, nicht von „bunt“, sondern von „divers“ sprechen – wie Linda mich aufklärte –, meinen Kindern ihrem Alter entsprechend weiter den Rücken stärken und die Schule mit allen Vorfällen konfrontieren, wie Griselda empfiehlt. Damit Rassismus sichtbar ist und die Schule auch die Chance bekommt, zu reagieren und den Betroffenen zu helfen. Denn über eines bin ich mir genauso klar wie Linda und Griselda: Solange es Rassismus gibt in der Gesellschaft, gibt es ihn auch in der Schule.

Solange die weiße Mehrheitsgesellschaft Kinder nicht für rassistische Sprache und Stereotype sensibilisiert, wird sich nichts verändern. Denn rassistische Sprache beeinflusst auch die Sichtweise der Kinder, die nicht direkt betroffen sind. Wie? Indem sie sie für normal halten und daher oft gar nicht merken, wann sie ihre Mitschüler*innen verletzt. Und, indem sie Rassismen reproduziert. „Nur weil Rassismus nicht die eigene Lebensrealität ist, heißt das nicht, dass es diese Menschen nichts angeht“, betont Griselda. „Und es ist viel schwerer“, erklärt Linda, „einmal gelernte Vorurteile und Begrifflichkeiten wieder zu verlernen als sie gar nicht erst vermittelt zu bekommen.“

Griseldas Tochter wird in zwei Jahren eingeschult. Sie wünscht sich, dass ihre Tochter mit Kindern in eine Klasse kommt, die so aufgewachsen sind wie die von Linda: mit einer Mama, die ihnen Worte gibt, um gegen Rassismus aufzustehen.
 

Literaturtipps:

Apraku, Josephine (2021): Wie erkläre ich Kindern Rassismus? Rassismussensible Begleitung und Empowerment von klein auf, Berlin: familiar faces.

Cuff-Schöttle, Stephanie (2020): „Rassismuskritische Praxis von Kinderbeinen an“, in: KiTa aktuell spezial, 2.

Gümüşay, Kübra (2020): Sprache und Sein, Berlin: Hanser Berlin.

KleinePause-Podcast, #31: „Rassismuskritik im Schulsystem und diskriminierungssensible Pädagogik“ – mit Florence Brokowski‑Shekete.

Marmer, Elina (2013): „Rassismus in deutschen Schulbüchern am Beispiel von Afrikabildern“, in: ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 36, 2, 25–31.

Madubuko, Nkechi (2020): Empowerment als Erziehungsaufgabe, Münster: Unrast‑Verlag.

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