Bericht
Studienreise im Rahmen des Projekts „Die grüne Seite der Bibliotheken“

Im Frühjahr 2023 lud das Goethe-Institut Budapest die Ezüsthegyi-Bibliothek ein, am Projekt „Die grüne Seite der Bibliotheken“ teilzunehmen. Das Projekt beinhaltete die Teilnahme einer Person an einer Studienreise nach Prag, deren Hauptthema die Nachhaltigkeit in Bibliotheken war. Des Weiteren gehörte ein Vortrag im Goethe-Institut Budapest zum Thema „grüne Dienstleistungen“ zum Projekt. Ebenfalls Teil des Projekts war es, eine slowakische Kollegin zu empfangen, die als Projektteilnehmerin für eine Studienreise nach Ungarn kam, und ihr unsere Institution vorzustellen. Während des Aufenthalts in Prag ging es nicht nur darum, gute Beispiele kennenzulernen und Berufserfahrungen auszutauschen, sondern auch darum, die tschechischen Bibliothekskolleg*innen über die besonderen Dienstleistungen und Erfolge der Ezüsthegyi-Bibliothek zu informieren.

Ich habe die Einladung gerne angenommen, da ich darin eine Möglichkeit sah, einen Einblick in die grünen Bibliotheksaktivitäten anderer europäischer Länder zu erlangen. Als den größten Vorteil unserer Teilnahme betrachte ich die Tatsache, dass wir über die inländischen Fachkreise hinaus unsere seit Jahren gepflegte, komplexe grüne Bibliothekstätigkeit dem Fachpublikum eines anderen Landes präsentieren konnten.

Die Organisations- und Koordinationsaufgaben des Projekts wurden vom Goethe-Institut Budapest übernommen. Dafür gebührt Dr. Judit Klein, der Leiterin der Bibliotheks- und Informationsabteilung, und Bibliothekarin Erika Marton unser Dank. Der tschechische Teil der Studienreise wurde vom Goethe-Institut Prag koordiniert; hier danken wir der Bibliotheksleiterin, Petra Kulovaná.

Studeinreise nach Prag

Das vom Goethe-Institut Prag zusammengestellte fachliche Programm erwies sich als sehr inhaltsreich. Am Vormittag des ersten Tages habe ich das Goethe-Institut und seine Bibliothek kennengelernt (https://www.goethe.de/ins/cz/cs/index.html). Die Betriebsweise, die Herangehensweise, die Sammlungsstrategie und die Einrichtung der Bibliothek sind in vieler Hinsicht ähnlich oder identisch mit der ihrer Schwesterinstitution in Budapest. Positiv finde ich, dass man gesondert auf die Bedürfnisse der einzelnen Altersgruppen achtet und dabei versucht, ein Gleichgewicht zu wahren. Mit Freude habe ich gesehen, dass die Nutzer*innen zur Selbstständigkeit erzogen werden und immer mehr Freiraum bekommen (z. B. Selbstausleihe). Mein Lieblingsservice war die „Die Bibliothek der Dinge“, wo man (ebenfalls selbstständig) Haushaltsgeräte, Werkzeuge, IT- und technisches Zubehör, aber sogar auch Spielzeug ausleihen kann.

Am Nachmittag besuchten wir Beroun (https://www.mesto-beroun.cz/), um die Stadtbibliothek (Městská knihovna Beroun, https://www.knihovnaberoun.cz/) zu besichtigen. Im Rahmen der gesamten Studienreise hat dieser Besuch den größten Eindruck bei mir hinterlassen, da die Mentalität, die Betriebsweise der Bibliothek und die Persönlichkeiten der Bibliothekar*innen denen der Ezüsthegyi-Bibliothek sehr ähnlich waren. Die Bibliothek von Beroun ist eine lokale Bibliothek mit städtischem Einzugsgebiet und hat eine „Seele“. Die Nutzer*innen werden nicht bloß als Nutzer*innen betrachtet, sondern eher als Familienmitglieder und Freund*innen. Besonderer Wert wird auf die Erfassung der Publikumsbedürfnisse gelegt, auf die man flexibel reagiert. Ebenso wurde für ein
angenehmes, familiäres und intimes kulturelles Ambiente gesorgt. Neben den grundlegenden Aufgaben der Bibliothek ist man bestrebt, mit allen möglichen Mitteln und Methoden auf Nachhaltigkeit, Umweltschutz und daran angrenzende Bereiche aufmerksam zu machen und dafür zu sensibilisieren. Obwohl sie keinen eigenen Garten haben, nutzen sie den öffentlichen Bereich vor dem Gebäude (ähnlich wie unsere Bibliothek) zur Pflege eines Gemüsegartens (als wir dort waren, reiften Kirschtomaten und Kürbisse munter heran und Zierpflanzen standen in voller Blüte). Es gibt eine „Pflanzenadoptionsstelle“ und eine Saatgutbibliothek (der administrative Ablauf der Ausleihe ist nicht so weit entwickelt, aber der Saatgutservice funktioniert). Die Bibliothek verfügt über eine riesige Sammlung von Büchern zum Thema Ökologie – dies wird durch die guten Beziehungen zu einem benachbarten privatwirtschaftlichen Unternehmen (als offiziellem Sponsor der „Öko-Ecke“) ermöglicht. Müll wird getrennt gesammelt und es besteht die Möglichkeit, in der Bibliothek gebrauchte Batterien und Mobiltelefone abzugeben. Im Ausstellungsraum war gerade eine Ausstellung zu sehen, die auf die Umweltbelastung durch die Bekleidungsindustrie aufmerksam machte. In den öffentlichen Räumlichkeiten wird großer Wert auf die Verwendung umweltbewussten Materials gelegt. Der Bereich der Kinderbibliothek ist funktional gut durchdacht, kindgerecht und ansprechend. Es wird ein „Ausleihrucksack-Service“ angeboten: Das bedeutet, dass der*die Kinderbibliothekar*in zu je einem Thema für den jeweiligen Rucksack Medien (Bücher, Zeitschriften, Audiomaterial) und ggf. auch Spielzeug zusammenstellt und diese einpackt, und dass die Kinder die Rucksäcke mit dem gesamten, zum jeweiligen Thema passenden Inhalt ausleihen können. Ich fand das eine sehr schöne Initiative, die wir gerne in unserer eigenen Bibliothek ausprobieren möchten.

Am Morgen des zweiten Tages habe ich vor ca. 30–40 Personen meinen an die tschechischen Bibliothekskolleg*innen gerichteten Fachvortrag gehalten. Ein Zeichen für das große Interesse daran war, dass einige in der Zuhörerschaft aus mehr als 200 km Entfernung angereist waren. Die Vortragssprache war Deutsch, für das Publikum wurde simultan übersetzt. In meinem Vortrag habe ich den umweltfreundlichen Betrieb der Ezüsthegyi-Bibliothek (Öko-Gebäudetechnik, Mülltrennung, Kompostierung, Regenwassersammlung, Pflege eines insekten- und vogelfreundlichen Gartens) sowie unsere speziellen grünen Bibliotheksdienstleistungen („Öko-Ecke“, Leseraum im Freien, Sammelstelle für gebrauchte Batterien, Mobiltelefone und Altspeiseöl, Gewürzgarten, Modell-Lehrgärten, Kräuterteestube, Limonadenstand, Saatgutbibliothek, „Pflanzenadoptionsstelle“, „Gartennotizbuch“, Verleih von Verbrauchsmessgeräten) vorgestellt und über Ergebnisse und Erfahrungen gesprochen. Die tschechischen Kolleg*innen zeigten großes Interesse, und auch ihre fachliche Anerkennung tat gut. Ich habe erfahren, dass es in Tschechien, ähnlich wie bei uns, aktive grüne Bibliotheken gibt; diese sind jedoch nicht so zahlreich und arbeiten (wie es für die Anfangsphase neuer Initiativen typisch ist) voneinander isoliert, basierend auf individuellen Ideen und Ressourcen. Beim informellen Fachgespräch nach der Präsentation brachten wir unsere Absicht zum Ausdruck, mit mehreren Bibliotheken partnerschaftlich zusammenzuarbeiten.

Am Nachmittag besuchten wir zusammen mit der Leiterin und mehreren Mitarbeiter*innen der Bibliothek des Goethe-Instituts die Bibliotheks-Zweigstelle DOK16 (https://www.mlp.cz/cz/pobocky/dok16-sousedska-dilna/). Obwohl hierbei das Wort „Bibliothek“ etwas übertrieben ist (obwohl es ein Bücherregal mit Fachbüchern gibt), ist die Grundidee fantastisch, dass die gesamte Bibliotheks-Zweigstelle eine Makerspace-Anlage ist. Das ist hauptsächlich eine Mischung aus Tischlerei und Montagewerkstatt, bei der es im Wesentlichen darum geht, dass sich alle Interessierten mit den Werkzeugen „anfreunden“,
deren Verwendung kennenlernen und bestimmte Methoden erlernen. Theoretisches Wissen wird durch die Bücher unterstützt, praktisches Wissen durch „Bibliothekar*innen“ vermittelt. Mithilfe des Gelernten kann jede*r kleine Montage- und Reparaturarbeiten zu Hause durchführen oder auch die Möbel neu beziehen. Das Hauptprofil der Werkstatt: Arbeiten mit Holz, Papier, Büchern, Leder oder Metall. Nicht nur Laien erhalten dort Hilfestellung (vor allem durch die Stärkung des Selbstbewusstseins und die Steigerung des Interesses), sondern auch Profis können sich für ihre Projekte fachlichen Rat holen, denn dort „informieren“ nicht einfach Bibliothekar*innen, sondern in Tischlerei, Schlosserei usw. erfahrene Fachleute. Auch Schnupperkurse für Schüler*innen und Kindergartenkinder werden angeboten. Jede*r kann Mitglied der Bibliothek werden; aus dem Werkzeug-Fundus können nur Handwerkzeuge ausgeliehen werden, keine Werkzeugmaschinen. Werkbank und Werkzeug kann man vorab reservieren. Man kann eigenes Material mitbringen oder nach vorheriger Absprache Material vor Ort käuflich erwerben.

Es war ein fantastisches Erlebnis, einen weiteren Beweis dafür zu sehen, dass die Bibliothek nicht mehr die statische Institution darstellt, die wir aus Schulzeiten kennen. Die Bedeutung und die „Grenzen“ des Wortes „Bibliothek“ haben sich erheblich erweitert.

Am Abend besuchten wir als Kulturprogramm den barocken Bibliotheksraum, den Meridian-Saal und den astronomischen Turm der Nationalbibliothek (Národní knihovna České republiky, https://www.nkp.cz/). Es war ein erhebendes Erlebnis, ein Stück Vergangenheit zu sehen und den Ort zu betreten, von dem aus seit dem 18. Jahrhundert mithilfe alter astronomischer Instrumente, hölzerner Quadranten und des Meridians die Zeit für die Einwohner Prags gemessen und dargestellt wurde.

Das Wichtigste für mich an der Teilnahme am Projekt ist, erfahren zu haben, dass die Bibliotheken mittlerweile in vielen Ländern ihre Rolle bei der Förderung nachhaltiger Entwicklung, des Umweltschutzes und des umweltbewussten Verhaltens, wie auch bei der Bildung und Sensibilisierung der jungen Generation erkannt haben. Immer mehr Führungskräfte und Mitarbeiter*innen der Bibliotheken schließen sich diesen Zielsetzungen an und engagieren sich dafür.

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