Bürgermeister in Nebenbeschäftigung
Schlagzeug und Säge rattern in seinen Ohren

Werkstattfoto mit Bürgermeister Pasztorek, seinem Vater und den Journalistinnen
Werkstattfoto mit Bürgermeister Pasztorek, seinem Vater und den Journalistinnen | Foto: Bálint Bárdi

Es ist eine ziemlich ungewöhnliche Situation, dass wir uns mit einem Bürgermeister nicht in einem komfortablen Büro der Gemeindeverwaltung unterhalten, sondern in einer Werkstatt voller Holzbearbeitungsmaschinen. Zoltán Pasztorek, 34 Jahre alt, steht zugleich einem Familienunternehmen in dritter Generation und einer Siedlung mit 820 Einwohner*innen vor.

Zoltán Pasztorek stellt sich auf Instagram vor mit den Worten: „Engineer, wood, drummer. That’s all.“ Die Bezeichnung „mayor“ (Bürgermeister) findet sich nicht einmal zufällig in der Aufzählung, als würde der Umstand, dass er diesen Posten innehat, kein Profil-Update rechtfertigen. Dabei bekleidet er das Amt bereits seit zwei Jahren – und mindestens zehn Monate davon leitete er aufgrund der Covid-Situation die Geschicke der Siedlung per Dekret, ohne die Gemeindeversammlung einzuberufen.

In den 1990er Jahren hatte Zoltán die örtliche Nationalitäten-Grundschule besucht, und nur drei der damals 13 Schüler*innen seines Jahrgangs leben heute noch im Dorf. Auch er war lange Zeit unterwegs: Die Fachmittelschule schloss er in Szigetvár, die Ausbildung zum Ingenieur für Holztechnik in Sopron ab. Zoltán macht seit seiner Kindheit Musik: Er war zeitweise Schlagzeuger des Jugendblasorchesters von Szigetvár, schloss sich aber auch dem Universitätsorchester an, das passenderweise Fa-Rock Band hieß – „mit Zoller am Schlagzeug“.

Pasztorek-Jungs in der Werkstatt
Pasztorek-Jungs in der Werkstatt | Foto: Gréta Kovács
Nach Beendigung seines Studiums arbeitete er für mehrere Holzfirmen, bevor er 2016 aus Abenteuerlust – wie er es nennt – in sein Heimatdorf zurückkehrte. Dort trat er einerseits in die Fußstapfen seines Vaters, indem er ein Gewerbe anmeldete, und stürzte sich andererseits sofort in das lokale öffentliche Leben. 2016 löste sich die amtierende Gemeindeverwaltung selbst auf, und bei den Nachwahlen gelang es dem ehemaligen Bürgermeister István Hideg, sich wiederwählen zu lassen. Zoltán trat mit den zweitmeisten Stimmen in die Verwaltung ein und wurde auf Wunsch von Hideg stellvertretender Bürgermeister.

Im Januar 2019 verstarb der Bürgermeister, aber aufgrund der zeitlichen Nähe zu den im Oktober bevorstehenden Kommunalwahlen war es damals nicht möglich, vorgezogene Neuwahlen auszuschreiben. „Als ich das letzte Mal persönlich mit Pista (Spitzname von István, Anm. des Übersetzers) sprach, nahm er mir das Versprechen ab, dass ich zur Wahl kandidieren würde.“ Zoltán, damals 32 Jahre alt, entschied sich schließlich für eine Kandidatur, weil er die beiden anderen – als erfahren und routiniert geltenden – Kandidaten nicht als gute Alternativen für das Dorf betrachtete. „Hätte es bessere gegeben, hätte ich vielleicht auch nicht kandidiert.“

Obwohl er Flugblätter drucken ließ und zwei Bürger*innenforen abhielt, führt er seinen Wahlsieg nicht auf seinen Wahlkampf, sondern in erster Linie auf das Ansehen der Familie Pasztorek zurück: Drei Generationen der Tischlerfamilie stehen seit mehr als einem halben Jahrhundert in Diensten von Szentlászló und Umgebung; sein Großvater beispielsweise war es, der die Decke und das Mobiliar der örtlichen Kirche angefertigt hatte (siehe unser Video darüber). Während Zoltáns Vater das Unternehmen weiterführte, war seine Mutter bis zum vorigen Sommer Leiterin des örtlichen Kindergartens gewesen. Offenbar sahen die Wähler*innen in Zoltán das größte Potenzial: die Dynamik, die Hochschulausbildung und die gute Vernetzung innerhalb des Komitats.
© Goethe-Institut Budapest
Die Kommunalwahl 2019 selbst war spannender denn je: Fünf Kandidat*innen aus dem Dorf – vier für Abgeordneten-Posten plus einer für den Posten des Bürgermeisters – hatten sich verbündet und ein gemeinsames Programm verfasst mit dem Motto, dass sie die Wahl nur zusammen annehmen würden. Während es früher allgemein üblich gewesen war, dass der Bürgermeister eine Abgeordnetenkörperschaft hatte, lieferten die „Kandidat*innen des Zusammenhalts“ eine Zukunftsvision und ein Programm mit dem Ziel, echtes Mitspracherecht zu haben. Bereits vor der Wahl hatten sie untereinander aufgeteilt, wer welchen Bereich der Kommunalverwaltung übernehmen würde.

Drei Mitglieder der Abgeordnetenkörperschaft kamen schließlich aus dieser Gruppe; Zoltán jedoch gelang es, die Wahl gegen den Bürgermeisterkandidaten des „Zusammenhalts“ zu gewinnen. Die neuen Mitglieder der Körperschaft hatten sich im Wahlkampf für die Überprüfung der Finanzen des Dorfs eingesetzt, insbesondere die durch den vorherigen Bürgermeister gestarteten Investitionen in eine Abwasserkläranlage betreffend, und sahen dies nun durch die Einberufung eines Haushalts-Untersuchungsausschusses garantiert. Zu dem Zeitpunkt, als das Gremium wegen der Covid-Situation seine Arbeit einstellen musste, hatte sich das gegenseitige Misstrauen bereits verfestigt: Die Kandidat*innen des „Zusammenhalts“ bemängelten, sie würden nicht genug Informationen bekommen; der Bürgermeister wiederum hatte das Gefühl, an seiner Arbeit gehindert zu werden, und dass die Bestrebungen nicht in die gleiche Richtung laufen.

In der Tat war die Kommunalverwaltung wegen der Finanzierung der Abwasser-Investition in eine schwierige finanzielle Lage geraten. Während das Dorf die Hausmüllabfuhr früher aus der Gemeindesteuer bezahlt hatte, wurden die dafür anfallenden Kosten nun an die Familien weitergegeben. Über eine Zwangsverschuldung und den kommunalen Haushalt hat die Körperschaft noch in der ursprünglichen Aufstellung abgestimmt, aber zwei der Kandidat*innen des „Zusammenhalts“ haben ihr Mandat zurückgegeben. Die Posten wurden aus der Wahlliste nachbesetzt, und so kamen Verwandte des Bürgermeisters in die Körperschaft. „Ich hätte schon ein Big Player sein müssen, um die Situation mit Absicht so gestalten zu können, denn das hat wirklich das Leben mit sich gebracht, so ist es eben“, bemerkte Zoltán dazu.

Zoli Pasztorek
Zoli Pasztorek | Foto: Gréta Kovács
Als seine wichtigste Aufgabe sieht der Bürgermeister gegenwärtig die Stabilisierung der Finanzen des Dorfs an, und dass er die von seinem Vorgänger gestarteten Projekte – darunter die Errichtung der örtlichen Kläranlage – abschließt. Der Dorfbus war eine alte Schuld der Gemeindeverwaltung gegenüber den Dorfbewohner*innen. Bei unserem dortigen Besuch diskutierte man gerade den Umstand am heftigsten, dass Szentlászló immer wieder jene Ausschreibungen entgehen, in deren Rahmen man für einen Dorfbus Unterstützung bekommen kann. „Für die meisten solchen Ausschreibungen sind wir zu groß, für Ausschreibungen größeren Volumens dagegen schon zu klein.“ Auch die letzte Ausschreibung schien dem Dorf entglitten zu sein, doch wurde im Oktober bekannt, dass das Dorf über die Reserveliste doch noch eine Zusage erhalten hat. Auf seiner Facebook-Seite dankte der Bürgermeister dem örtlichen Fidesz-Parlamentsabgeordneten Csaba Nagy extra für seine Intervention.

Seit seiner Amtseinführung steht Zoltán in der Kritik, warum er das Dorf zusätzlich zum Familienunternehmen in Nebenbeschäftigung leitet. Nach eigenen Angaben habe er schon als Kandidat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er seinen Aufgaben als Bürgermeister auf diese Weise nachkommen würde; bis zum 30. Juni 2020 habe er sogar auf sein Honorar verzichtet, woraufhin übrigens auch seine Abgeordnetenkolleg*innen seinem Beispiel folgten. Die Einwohner*innen von Szentlászló vertreten aber trotzdem die Ansicht, dass die Dorfleitung von einer Person in Vollzeit wahrgenommen werden sollte, die jederzeit erreichbar und im Alltag der Siedlung präsent ist. Laut Zoltán gibt es im 21. Jahrhundert allerdings keinen „unerreichbaren“ Menschen – seine Telefonnummer sei im Dorf allseits öffentlich bekannt. So erwiderte er auf diese Kritik nur: „Wenn ihr doch genau gewusst habt, dass ich die Aufgabe auf diese Weise wahrnehmen werde, warum habt ihr dann mich gewählt?“

Zoltán hat sich noch nicht entschieden, ob er bei der nächsten Wahl antreten möchte oder nicht: Bis 2024 möchte er all seine laufenden Aufgaben abschließen, damit –  würde eventuell jemand anders die Dorfleitung übernehmen – sein*e Nachfolger*in die Arbeit aus einer vorteilhafteren, „bereinigten“ Situation heraus aufnehmen kann als er bei seinem Amtsantritt. Hinter seiner Unsicherheit bezüglich seiner Kandidatur stecken persönliche Gründe: Der 34-jährige Bürgermeister möchte eine Familie gründen und beginnt vor diesem Hintergrund, seine Prioritäten neu zu überdenken.

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