Katalin Teller
Damenwahl auf Männerart | Frauenwahlrecht und Humor

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Foto: Kata Geibl © Goethe-Institut Budapest

Das Wort „Damenwahl” kann abgedroschen wie auch verstaubt klingen. Abgedroschen, weil in den vergangenen Monaten, da mehrere europäische Länder das hundertjährige Jubiläum der Erkämpfung des Frauenwahlrechts feierten, in gleich mehreren Rückblicken und Informationsartikeln zu dieser Blickfang-Formulierung gegriffen wurde. Und verstaubt, weil dieser selbst aus dem Gesellschaftstanz bereits lange verschwundene Ausdruck abseits von Hochzeitsfesten heutzutage kaum noch zu hören ist. Nichtsdestoweniger steht außer Zweifel, dass das Wort exakt jenes Bild wachruft, welches die von der breiten Masse gelesenen Witzblätter über das Frauenwahlrecht vor einhundert, einhundertzwanzig Jahren erschaffen haben. Es ist interessant zu beobachten, wie das Motiv der Damenwahl seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder in Gereimsel und Karikaturen zurückkehrt. Diese dokumentieren anschaulich, wie sich die Geschehnisse aus der Großpolitik, und innerhalb davon die Fragen der politischen Emanzipation der Frauen, in der Lesart der Durchschnittsbürgerinnen und -bürger niederschlugen. Am 21. Januar 1919, drei Tage nach der ersten Wahl zur Deutschen Nationalversammlung, an der Männer und Frauen über einundzwanzig als gleichrangige Wählerinnen und Wähler sowie Kandidatinnen und Kandidaten teilnehmen durften, setzte sich das reich illustrierte und führende Grafikerinnen und Grafiker beziehungsweise linksliberale Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Zeit beschäftigende Münchner Witzblatt Simplicissimus sogar in drei Karikaturen mit dieser tiefreichenden Veränderung der politischen Öffentlichkeit auseinander.
 
Eine davon ist die farbige Zeichnung mit dem Titel Damenwahl, in welcher der ihre Reize zur Schau stellenden jungen Frau nicht nur eine Zigarette, sondern auch die folgende Aussage in den Mund gelegt wurde: „Die Herren Kandidaten sollen mir einfach ihre Photographien einschicken. Wer mir dann am besten gefällt, dem gebe ich meine Stimme.” (Simplicissimus, 21. Januar 1919, S. 528)

Damenwahl | Simplicissimus Jahrgang 1918/19 Jg. 23. Heft 43, Seite 528
Damenwahl | Simplicissimus Jahrgang 1918/19 Jg. 23. Heft 43, Seite 528 | Grafiker: Ludwig Kainer | Quelle: www.simplicissimus.info, Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar | Den Inhaber/Die Inhaberin der Urheberrechte der Grafik konnten wir nicht auffinden. Wir bitten den Betreffenden, sich bei uns zu melden.
Diese – die politische Emanzipation auf den Körper und die Geschlechtlichkeit der Frau reduzierende – Lesart  erwies sich als die weitverbreitetste Waffe der typischerweise männlichen Karikaturisten und Redakteure der Witzblätter. Auf der gesamten politischen Palette lässt sich keine Zeitschrift finden, die nicht schon einmal zu dieser Art Darstellung gegriffen hätte. Auch das Beispiel einer anderen beliebten Auffassung findet sich in derselben Ausgabe des Simplicissimus: Der herausragende Grafiker Thomas Theodor Heine, einer der Gründer des Blatts, verwies recht eindeutig darauf, welche Rolle die neue Wählergruppe innehabe.
„Die deutsche Hausfrau findet, dass die Wahlurne nicht ordentlich abgestaubt ist.“
„Die deutsche Hausfrau findet, dass die Wahlurne nicht ordentlich abgestaubt ist.“ | Simplicissimus Jahrgang 1918/19 Jg. 23. Heft 43, Seite 526. | Grafiker: Thomas Theodor Heine | Quelle: www.simplicissimus.info, Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar
Eine Dame mit Rüschenschürze reinigt gerade die gigantische Urne vor der aus Männern bestehenden Wahlkommission, und zwar in Begleitung des folgenden Kommentars: „Die deutsche Hausfrau findet, daß die Wahlurne nicht ordentlich abgestaubt ist.” (Simplicissimus, 21. Januar 1919, S. 526) Es wird der Eindruck vermittelt, als wäre die vom familiären Herd „entwischte” und in die politische Manege „eingedrungene“ Frau ungeeignet, ihre neue Rolle in verantwortungsvoller Weise zu begreifen. Zwar ist im Hintergrund noch eine herausgeputzte Dame ohne Staubtuch zu sehen, wie sie gerade ihr neu erlangtes Recht geltend machen will, doch aus der Kommission blickt sie niemand an, man behandelt sie wie Luft.
 
Es ist bemerkenswert, wie sich nicht nur diese zwei, als Zielscheibe von Karikaturen fungierenden Aspekte – Sexualität und Hausfrauentalent als Grundlage der Charakterisierung der Frau – als Zeitalter und Landesgrenzen überschreitendes Phänomen erwiesen haben, sondern auch die spöttische Darstellung der „Blaustrümpfe“ und allgemein der Verfechterinnen und Verfechter der weiblichen Emanzipation und des Feminismus sowie auch das dystopische Bild der „Verweiblichung” der Männerberufe. Denn obwohl man von einigermaßen unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenhängen in Deutschland und Ungarn des 19. Jahrhunderts beziehungsweise der Jahrhundertwende sprechen kann, war die Darstellung der biologischen und intellektuellen Untergeordnetheit der Frauen in beiden Ländern allgemein kennzeichnend. Wenn ganz selten – vor allem im Kielwasser von Revolutionen und tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen – doch die Möglichkeit der Aktivität von Frauen im öffentlichen Leben und innerhalb davon in der Politik aufs Tapet gebracht wurde, kamen schlussendlich dennoch dieselben tief verankerten Schemata zum Vorschein.
 
Gleichzeitig lassen sich in Deutschland jedoch auch vom Typischen abweichende Fälle finden. August Bebel, der Gründer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, beispielsweise – der sich nicht nur in seinem zum internationalen Bestseller gewordenen Werk Die Frau und der Sozialismus aus dem Jahr 1879, sondern auch in zahlreichen Reden für die Einführung des Frauenwahlrechts aussprach – war wegen seines Engagements für die weibliche Emanzipation nie Gegenstand von Spottzeichnungen. Im Gegensatz dazu löste es in Ungarn eine ganze Welle sarkastischer Artikel aus, dass nach dem 1871 vorgebrachten Vorschlag des Abgeordneten Pál Madocsányi 1872 auch István Majoros, Abgeordneter der Unabhängigkeitspartei im ungarischen Parlament, die politische Gemeinschaft auf die Notwendigkeit der Gleichberechtigung aufmerksam machte. Das zu diesem Zeitpunkt bereits weniger beliebte Witzblatt Bolond Miska widmete dem Ereignis eine zwei volle Seiten füllende Humoresken- und Karikatursammlung, und zwar in gewohnter Manier, das heißt, man versuchte die Initiative mit der spöttischen Darstellung der weiblichen Geschlechtlichkeit zu kontern.
 
In der Karikatur mit dem Titel Verkehrte Verhältnisse steht das Bild einer sich gerade schlafen legenden Dame im Nachthemd einem Gruppenporträt von ausgesprochen leicht bekleideten beziehungsweise Ballroben tragenden Damen gegenüber. Der zum ersten Bild gehörende Kommentar lautet: „Heutzutage ziehen sich Frauen an, wenn sie sagen, sie zögen sich aus”, während die zweite Bildunterschrift behauptet: „Wenn sie sagen, sie zögen sich an, da ziehen sie sich in Wirklichkeit aus.” (Bolond Miska, 12. Januar 1872, S. 14)
"Verkehrte Verhältnisse" | Bolond Miska, 21. Junuar 1872, Seite 14.
"Verkehrte Verhältnisse" | Bolond Miska, 21. Junuar 1872, Seite 14. | Quelle: https://adtplus.arcanum.hu/hu/
Das bedeutendste ungarische Witzblatt jener Zeit, Borsszem Jankó, konterte den Antrag des Abgeordneten gleich mit einer fiktiven, auf das Zentenarjahr 1972 datierten Zeitung namens Majoros. Darin überschlugen sich die Nachrichten über die Probleme des Landes, das die politische Rollenübernahme der Frauen erlaubt hatte. Die zur politischen Agenda avancierten Themen der Kindererziehung und Geburt bekamen hier ebenso eine hervorgehobene parodistische Rolle wie die Erörterung von Heiratsproblemen von Frauen, als beschränkte sich die weibliche Auffassung von Politik ausschließlich auf solche Dinge: „An der Tagesordnung steht die Erörterung des Gesetzesvorschlags über die Abschaffung des Junggesellendaseins. Die Verfechterinnen des Gesetzesvorschlages sitzen links. Diese Reihen halten nämlich seit jeher die Fräulein besetzt. Im Zentrum sitzen die Jungverheirateten, rechts die Ehefrauen, extrem rechts die qualifizierten alten Jungfern. […] Bildungsministerin Sára Farmatring schließt sich im Dienste des Gesetzesvorschlags den Kämpferinnen an, doch als Witwe findet sie nicht genügend Argumente.” (Borsszem Jankó, 21. Januar 1872, S. 8)
"Majoros" | Borsszem Jankó, 21. Januar 1872, Seite 8.
"Majoros" | Borsszem Jankó, 21. Januar 1872, Seite 8. | Quelle: https://adtplus.arcanum.hu/hu/
Das Schreckensbild des von Frauen diktierten öffentlichen Lebens wurde auch in den Kolumnen anderer ungarischer Witzblätter verstärkt, und zwar – abweichend von der Praxis in Deutschland – durch das Schaffen und jahrelange Präsentieren von Frauentypen, welche die schädliche Wirkung von Frauen auf die politische Öffentlichkeit veranschaulichten. Eine dieser prägenden Frauenfiguren war Paula Emanczi, die dem übrigens konsequent antisemitischen Witzblatt Bolond Istók ab 1907 zehn Jahre lang zur überzeichneten und verzerrten Darstellung der emanzipierten Frau diente. Die ihre Aufgeklärtheit demonstrierende Frau wurde – mit recht dünnem Humor – auf ihre urtümliche Sinnlichkeit und berechnende Männerjagd reduziert dargestellt.
 
Paula Emanczi, der Frauentypus von Bolond Istók, 1907–1917
Paula Emanczi, der Frauentypus von Bolond Istók, 1907–1917 | Quelle: https://adtplus.arcanum.hu/hu/
Die sich nach amerikanischem und britischem Vorbild in Deutschland und Ungarn organisierenden Frauenwahlrechtsbewegungen und -gruppierungen waren – im Hinblick auf ihre Ziele und Praktiken, aber auch auf ihre inneren Konflikte – relativ ähnlich, was nicht zuletzt in ihrer internationalen Ausrichtung begründet lag. Die Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg zeichnete sich nicht nur in der Organisationsform ab (zum Beispiel in der Gründung des Internationalen Frauenbundes 1904), sondern auch in großangelegten Veranstaltungen, wie beispielsweise den ab 1911 in immer mehr Ländern stattfindenden Demonstrationen zum Internationalen Frauentag beziehungsweise dem in einem der kritischsten Jahre des Ersten Weltkriegs, 1915, in Bern abgehaltenen Friedenskongress, im Rahmen dessen Repräsentantinnen aus verfeindeten Ländern gemeinsam an einem Tisch saßen und arbeiteten. Die Frauen wurden in ihrem immer entschlosseneren Auftreten auch durch die Tatsache gestärkt, dass die Kriegslage in sämtlichen Ländern tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich der von Frauen verrichteten Arbeit brachte, übernahmen Frauen doch einen beträchtlichen Teil der bis dahin männerdominierten Berufe. Als Schaffner, Straßenbahnfahrer und Rüstungsfabrikarbeiter arbeiteten nunmehr nicht ausschließlich Männer. Und das wurde nicht nur in den Text- und Bildberichten der damaligen Presse als Sensation behandelt – reichlich Stoff für Karikaturisten liefernd –, sondern bot auch eine Grundlage für die Forderung nach der Ausweitung der Teilhabe von Frauen an öffentlichen Angelegenheiten.
 
Nichtsdestotrotz  fiel nach Ende des Krieges die Erfolgsbilanz der Frauenrechtsbewegungen unterschiedlich aus: Während im Zuge der Revolutionen im November 1918 in Deutschland und Ungarn das allgemeine und gleiche Wahlrecht in greifbare Nähe gerückt zu sein schien, wurde dies in der Praxis lediglich bei der die Weimarer Republik begründenden Wahl im Januar 1919 realisiert. Im ungarischen Wahlrecht wurde Frauen erst 1945 die gleichrangige Teilhabe am politischen Leben zugesprochen, obwohl die privatrechtliche Lage von Frauen in Ungarn im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern bereits günstiger war (zum Beispiel im Hinblick auf die uneingeschränkte Verfügung über ihr Vermögen) und obwohl der Wählerkreis bereits in der Gesetzgebung der Asternrevolution erweitert werden sollte. Dieses Vorhaben wurde jedoch durch das zur Zeit der Räterepublik, im Frühling 1919 festgelegte Zensuswahlrecht – das heißt, das an Vermögen oder Beruf gebundene Wahlrecht – und dann ab 1920 durch die restriktive Rechtsprechung in der Ära Horthy viele Jahre zurückgeworfen.
 
Indes brachte auch die progressive Regelung in Deutschland nicht unbedingt eine radikale Änderung des herrschenden Frauenbildes. 1924, als die ebenfalls antisemitische, demokratiefeindliche Deutschvölkische Freiheitspartei als Ersatz der verbotenen NSDAP bei der Reichstagswahl antrat, karikierte der prägende Grafiker des Simplicissimus, Theodor Heine unermüdlich die Folgen der Gleichstellung der Frauen im Wahlrecht. In einer seiner Zeichnungen verflucht ein Mitglied der Wahlkommission beim Anblick einer in der Wahlkabine gebärenden Frau die Errungenschaft des Frauenwahlrechts, in einer anderen Karikatur behandeln die abgebildeten Frauen die völkische Ideologie wie ein einfaches Modethema, als ginge ihre politische Informiertheit gegen Null. (Die Dame mit Hakenkreuz am Hut sagt zu ihren Gesprächspartnerinnen: „Ich kann dich versichern, Völkisch ist in diesem Frühjahr die große Mode.”, Simplicissimus, 12. Mai 1924, S. 94)
„Ich kann dich versichern, Völkisch ist in diesem Frühjahr die große Mode.“
„Ich kann dich versichern, Völkisch ist in diesem Frühjahr die große Mode.“ | Simplicissimus, Jahrgang 1924/25 Jg. 29 Heft 7, Seite 94. | Grafiker: Theodor | Quelle: www.simplicissimus.info, Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar

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