Das Roma-Bild in Kunstwerken „Ich sehe was, was du nicht siehst“
Im April 2017 fand im Goethe-Institut Budapest eine zweitägige internationale Konferenz statt, bei der sich die Vortragenden mit den Fragen der Darstellung der Roma in der bildenden Kunst auseinandersetzten. Die Vorträge in den Themenbereichen der Kulturgeschichte, Kunstgeschichte und Soziologie wurden im Rahmen der Initiative RomArchive – Digitales Archiv der Sinti und Roma abgehalten.
Klaus-Michael Bogdal, Professor der Universität Bielefeld, beleuchtete in seinem reich illustrierten Vortrag das Problem: Da Kunstwerke immer Verdichtungen der menschlichen Gefühlswelt sind, geben sie auch in essenzieller Form die Vorurteilshaftigkeit wieder, die nun einmal seit Urzeiten in der Natur des Menschen liegt. „Unsere Wahrnehmung wird von Mustern und komplexen Ordnungsschemata gesteuert, anhand derer wir unser Umfeld aufteilen, und zwar in Menschen, die zu uns gehören, und Menschen, die nicht zu uns gehören. In der Folge stufen wir den, der anders ist, als Fremden und den Fremden als gefährlich ein“, betonte der Professor und erklärte außerdem, dass die Kunst sogar eine dreifach verdichtete Form sei, da hier auch emotionale Dimensionen eine wichtige Rolle spielten und die Fantasie, der die Kunstwerke ja entspringen, keine Grenzen habe, weshalb die Narrativen selbst die unwahrscheinlichsten Konstruktionen zuließen.
Der Fremde ist „Zigeuner“
Im zweiten Teil seines Vortrags veranschaulichte Bogdal die Formenwelt der Fremdheitskonstruktion anhand eines sehr illustrativen Beispiels: In den Kunstwerken des 19. Jahrhunderts wären die typisch ungarischen und die typisch „zigeunerischen“ Merkmale noch ineinander verflossen. Der nach einer Abgrenzung der westlichen und mittleren Teile beziehungsweise der Randgebiete strebende Europa-Diskurs werfe also die zentrale Frage auf, wo eigentlich die Steppe beginnt. Die politische Geografie kenne diesbezüglich zwei Möglichkeiten: jenseits des Urals oder jenseits der Donau. Wer ein enges Konzept von Europa besitze, welches Ungarn, Rumänien sowie die Balkanländer ausklammert, setze Ungarn und Roma gleich.
Laut Bogdal sind „Zigeuner“ als Durchschnittsmenschen für die Mehrheitsgesellschaft gar nicht sichtbar, sie würden ausschließlich als „Zigeuner“ wahrgenommen. Wenn wir die Roma aber als Roma betrachteten, bekämen wir ein von Vornherein verzerrtes Bild, schließlich schrieben wir ihnen gewollt oder ungewollt Eigenschaften zu, über die Roma in unserem Kopf unseren Vorurteilen gemäß verfügen. Wenn die bildende Kunst also Roma als Roma darstelle, gerate sie zwangsläufig in die Sackgasse der verzerrten, toposartigen Darstellung.
Am Ende seines Vortrags demonstrierte Bogdal am Beispiel der zeitgenössischen Fotografin Irina Ruppert, wie die Darstellung von Roma dekontextualisiert und rekontextualisiert werden kann. „Rupperts Fotografien verzerren nicht und mischen sich nicht ein. Sie ebnen den Weg zwischen Betrachtenden und Betrachteten. Sie lassen zu, dass Verstehen passiert, da wir anhand dessen, was wir sehen, nicht alles erschließen können. Es bleibt immer ein Teil, der nur den Dargestellten gehört“, schloss der deutsche Professor seinen Vortrag.
Die Befreiung des Roma-Körpers
Die Rekontextualisierung der Darstellung der Roma hat sich auch Tímea Junghaus, Mitarbeiterin des Kunsthistorischen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, zum Ziel gesetzt. Im Rahmen des Programms der von ihr geleiteten Gallery8 Roma Contemporary Art Space am Mátyás tér in Budapest erachtet sie die Befreiung des Roma-Körpers als ihre Mission. Der Roma-Körper sei Gefangener der mehrheitsgesellschaftlichen Vorurteile, erklärt Junghaus. Laut ihr beruht die Darstellung der Roma als Minderwertige auf einer historischen Konstruktion, deren Wurzeln auf die Institutionen der Sklavenhaltung und der Massenmedien zurückzuführen sind. 2015 veranstaltete die Galerie eine aus drei Events bestehende Ausstellungsreihe. Im Rahmen dieses Projekts wurde untersucht und dargelegt, wie das „Rassen-Denken” im Zuge des Betrachtens aktiviert wird und den Körper sogleich in der von der Gesellschaft konstruierten Stereotypkategorie „Zigeuner“ verortet und so auch unsere Wahrnehmung dementsprechend steuert. Laut der Homepage der Gallery8 erscheinen die Roma-Körper und das Roma-Leben im Ausstellungsraum nicht in objektivierter, abgewandelter oder verzerrter Form. Vielmehr liefere ihre Darstellungsweise konkrete Möglichkeiten dahingehend, „wie die diasporische Sichtweise zum Gegenstand rekonfiguriert und auf einer Metaebene betrachtet werden kann, um so den in uns eingravierten kolonialen Diskurs aufzudecken und im Rahmen der Ausstellungen seinen Bann zu brechen. Das Ziel dabei ist es, den westlichen Diskurs als historische Legende zu enttarnen.“
Der Einfluss der Roma-Frauen auf die Kunst
Tímea Junghaus stellte in ihrem Vortrag die Geschichte von Roma-Frauen vor, die mit ihrem Lebensweg das rege europäische Kunstleben um die Jahrhundertwende beeinflussten. Eine von ihnen war die Amerikanerin Fenella Lowell, die 1902 nach Paris kam. Hier wurde sie bald zur Muse und Partnerin des berühmten Bildhauers Antoine Bourdelle, später stand sie auch Modell für Rodin. Die zierliche Statur der extravaganten, mehrere Sprachen beherrschenden Sängerin inspirierte eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern. Auch das berühmte Bild Nacktes Mädchen von Gwen John zeigt Fenella Lowell. 1910 lernte Fenella József Rippl-Rónai kennen, der sich damals ebenfalls in Paris aufhielt und der Legende nach einmal im Hotel hörte, wie Fenella im Zimmer nebenan ein ungarisches Lied sang. Sie wurde bald zu einer der wichtigsten Musen von Rippl-Rónai, der als eine der bedeutendsten Figuren der modernen ungarischen Malerei gilt. Die junge Romni zog für eine Zeitlang nach Budapest und war dort nicht nur ein beliebtes Modell Rippl-Rónais, sondern auch der Fotokünstlerin Olga Máté. Im Zuge ihrer Karriere wurde Fenella Lowell jedoch nie als „Zigeunermädchen“, sondern immer als moderne Frau dargestellt.
Der „Zigeuner“ als Code
Wenn „Zigeuner“ als „Roma“ abgebildet würden, verkörperten sie häufig das Wilde und Primitive, untermauerte Éva Kovács, die sich mit der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts befasst, in ihrem Vortrag die vorangegangenen Ausführungen Bogdals. Laut der Mitarbeiterin des Soziologischen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ist die Frage der Darstellung der „Zigeuner“ in dieser Hinsicht das mitteleuropäische Pendant zum Thema der Darstellung des „schwarzen“ Körpers in den westlichen Gesellschaften. Gleichzeitig gebe es jedoch einen wesentlichen Unterschied, denn in vielen Fällen würde der „Zigeuner“ zu einem Teil des Ungarntum-Bildes. Die Darstellungen des berühmten „Zigeunermusikers“ János Bihari zum Beispiel wiesen sowohl typisch ungarische als auch typisch „zigeunerische“ Merkmale auf. Der „Zigeuner“ sei eigentlich zu einem kulturellen Code geworden, und die unterschiedlichen Repräsentationen beziehungsweise Vorstellungen, Abbildungen, Darstellungen und Substitutionen zeigten dessen Funktionsweise, Grenzen und auch die Grenzüberschreitungen, erklärte Kovács in ihrem Vortrag.