Poetry-Slammer Kristóf Horváth
„Ich hätte nie gedacht, dass meine Gedanken einmal so viele Menschen erreichen“

Kristóf Horváth
Kristóf Horváth | © RSK

„Dem Theater, das ich repräsentiere, sind Grenzen gesetzt. Da schauen sich die Auftritte zweimal siebzig Leute an, die Hälfte davon sind Mütter, Väter und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Theatergruppen. Aber was kann ich damit bewirken? Deshalb sehe ich mich eher als Lehrer, der offene, intelligente Menschen erziehen darf, die viel gesehen, viel erlebt haben.“ – Wir haben uns mit dem Poetry-Slammer Kristóf Horváth, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Színész Bob, anlässlich der Aufführung des Theaterstücks The Journey/DROM unterhalten, welche mit Unterstützung des Goethe-Institut Budapest im Rahmen des Budapester Frühlingsfestivals stattfand.


Ich habe gelesen, dass du lange im berüchtigten achten Budapester Bezirk Josefstadt gelebt hast. Bist du also ein waschechter Kerl aus dem Achten?
 
Ich bin dort geboren und aufgewachsen, meine Mutter hat mich lange Zeit alleine großgezogen. Im Vergleich zu meinen Klassenkameraden war ich ein Straßenkind, im Vergleich zu den Straßenkindern ein braves Kind. Wir haben viel am Parkplatz in der Szigony utca gespielt, ich habe mich auch geprügelt, aber nie meinetwegen, in Wirklichkeit bin ich nämlich feig und deswegen lieber davongelaufen. Die Schande aber, nicht für meine Brüder einzustehen, hätte ich nicht auf mir sitzen lassen können. Einmal haben mir die älteren Kinder mein BMX-Rad weggenommen, meine Mutter schimpfte mit mir und fragte mich, ob ich denn Karate mache, um mir dann mein Rad abknöpfen zu lassen. Eigentlich wollte ich ja Ninja werden, ich übte auch die Zeichen und sogar ein Ninja-Buch hatte ich. Dann war mein Berufswunsch Zoologe, wegen der Attenborough-Filme, und ich schrieb sogar einen Comic mit dem Titel Der schwarze Panther ist ein sehr gefährliches Tier. In der siebten Klasse hatte die Träumerei dann ein jähes Ende, denn ich flog von einer der besten Schulen Ungarns, der Mihály Fazekas Grundschule und Gymnasium, bis heute weiß ich nicht genau, warum. Als ich meinen Klassenvorstand nach dem Grund fragte, bekam ich als Antwort nur: Ach, Kristóf, Kristóf! Ich kam dann in eine Schule im Stadtteil Rákoskeresztúr, wo ich jedoch überhaupt keine Lust mehr auf Lernen hatte, später wurde ich zunächst nicht einmal an der Mittelschule aufgenommen.
 
Allerdings warst du in Amerika, was Anfang der Neunzigerjahre für einen romastämmigen Jugendlichen alles andere als selbstverständlich war.
 
Ja. Meine Mutter heiratete und wir wurden neureich, wie man so schön sagt. Mein Stiefvater forcierte die Sache, er fälschte sogar Papiere, damit ich an eine Schule in Kalifornien gehen konnte. Ich wohnte bei Gastfamilien in einer Kleinstadt namens Redding. Der ganze Lebensstil, die Einstellung und Haltung der Menschen war total anders. Ich hätte ein halbes Jahr bleiben können, aber meine Mutter wurde krank, also musste ich schon nach vier Monaten zurück. Als ich wieder da war, war meine Mutter bereits gestorben. Eine der besten Erfahrungen meines Lebens hat sich so für immer mit der schlimmsten Erinnerung meines Lebens verknüpft. Auch unser Reichtum ist verflogen, da meine Mutter immer das Hirn der Familie gewesen war. Dann verschlechterte sich auch noch mein Verhältnis zu meinem Stiefvater, wir haben einander erst vor Kurzem wieder verziehen. Trotzdem denke ich, dass mich all das zu dem gemacht hat, der ich heute bin.
 
In den USA ebenso wie im Kreis der Roma aus dem achten Bezirk erlebte der Hip-Hop damals seine Blütezeit. Hat dich das im Hinblick auf dein späteres Poetry-Slammer-Dasein inspiriert?
 
Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits nach Rákoskeresztúr gezogen. Ein Kumpel von mir hat mir den Hip-Hop nähergebracht, aber wir hörten meist Tupac oder Snoop Dogg. Damals las ich eher Gedichte und ging zu kulturellen Großveranstaltungen. Wobei ich dazusagen muss, dass ich die Skizzen von Karinthy nicht aus Gedichtbänden, sondern aus dem Jahrbuch der Kinderzeitschrift HAHOTA auswendig lernte.
 
Wie bist du dann zu Slam-Poetry gekommen?
 
Ich habe mich dem Genre über die Dichtung angenähert. Ursprünglich wollte ich Schauspieler werden, ich schrieb auch Gedichte, aber die warf ich mit sechsundzwanzig gesammelt weg. Anfang der 2000-er wurde ich Mitglied der Roma-Theatergruppe Maladype, wo wir uns viel mit dem Sprechen beschäftigten, da hat sich mein persönlicher Stil herausgebildet. Später spielte ich eine Hauptrolle im preisgekrönten Kurzfilm 1 hét (1 Woche), wo ich mit der Hip-Hop-Slam-Gruppe Akkezdet Phiai in engeren Kontakt kam. Auch die Mitglieder dieser Gruppe haben mich inspiriert. Mein Freund Péter Závada und ich feilten gemeinsam an uns und so ist nach und nach dieses Genre in uns herangereift. Márk Süveg und Péter traten öfters bei Slam-Events auf, und einmal stand auch ich auf und packte die Gelegenheit beim Schopf. Mein dritter Wettbewerb war bereits der erste „Pilvaker“, ein Poetry-Slam, veranstaltet von Slam Poetry Hungary, den ich auch gewann. Der Preis war mit 150.000 Forint (etw. 500 Euro) dotiert, was genau der Höhe meiner Schulden entsprach, die ich damals schon seit Jahren mit mir herumschleppte, mir blieb also kein Cent übrig, dafür war ich endlich schuldenfrei.

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Kristóf Horváth, 39, ist Schauspieler und Poetry-Slammer. Seit zehn Jahren arbeitet er mit SozialarbeiterInnen beziehungsweise TheaterlehrerInnen im künstlerischen Bereich zusammen. Er leitet die Knowledge is power group, ist ungarischer Poetry-Slam-Champion im Einzel- und Paarwettbewerb und hält in ganz Ungarn außerordentliche Literaturunterrichtsstunden.

Slam-Poetry ist mehr oder weniger ein Nischengenre, glaubst du nicht, du könntest über Hip-Hop größere Massen erreichen?

Einerseits hätte ich nie gedacht, dass meine Gedanken überhaupt einmal so viele Menschen erreichen würden, das ist also schon viel mehr, als ich je erwartet hätte. Andererseits habe ich schon Hip-Hop-Texte geschrieben, die haben mir aber nie richtig gefallen. Rap ist dadurch, dass man sich auf jeden Fall nach der Musik richten muss, ein viel gebundenerer Stil als Slam-Poetry, aber das ist keine Kritik, und es ist auch nicht der Grund dafür, dass ich nicht Rap-Star geworden bin.
 
Die Kampagne „Knowledge is power“, im Rahmen derer du mit Jugendlichen gemeinsam über die Bedeutung der Bildung slammst, hat vor ein paar Jahren für Furore gesorgt. Was ist aus der Truppe geworden?
 
Wir wollen diesen Sommer zum Beispiel gerade ein Rap-Album aufnehmen. Wir haben übrigens seither regelmäßig Auftritte in Gefängnissen, Schulen und auf Veranstaltungen. Der Kern unserer Truppe besteht derzeit aus sieben Leuten. Wir arbeiten im Moment an einem Rap-Musical über das Leben von Pál Vasvári. Es spielen darin Roma-Kinder, aber die Roma-Thematik wird nicht aufgegriffen, es kommen nur Töchter und Söhne der Nation vor. Von den „Ehemaligen“ wurde Emília Lovas zu meiner großen Freude an der Universität für Theater- und Filmkunst Budapest aufgenommen, Franciska Farkas hat es zum Filmstar gebracht, aber auch das Leben der anderen verläuft gut. Knowledge is power ist nicht nur eine Bildungs- und pädagogische, sondern auch eine künstlerische Initiative. Natürlich ist das Ziel nicht, aus jedem und jeder einen Künstler oder eine Künstlerin zu formen, allerdings möchte ich auch nicht, dass sie ihren Lebensunterhalt mit der Montage von Gipskartonplatten verdienen müssen. Es ist eine große Herausforderung zu entscheiden, auf wen wir unsere begrenzten Energien und Ressourcen konzentrieren. Sollen wir der ersten Generation der bald Zwanzigjährigen weiter unter die Arme greifen, oder uns zum Beispiel mehr um den Buben annehmen, der bei einem Rezitationswettbewerb im Kinderheim Cseppkő in Budapest Elégia, ein Gedicht von Attila József, so fehlerfrei vorgetragen hat, dass ich so etwas im Leben noch nie gesehen habe? Aber auch mit dem 16-jährigen Burschen aus einem Erziehungsheim in Zalaegerszeg, der wirklich unglaubliche Rap-Texte schreibt, müssten wir mehr arbeiten.
 
Noch dazu bist du in unterschiedlichen Theatergruppen auch als Schauspieler tätig. Wie schaffst du es, das alles unter einen Hut zu bekommen?
 
Gar nicht. Den Großteil meiner Zeit nimmt Knowledge is power in Anspruch, den Rest machen Auftritte und meine Arbeit als Lehrer aus, dann ist da noch meine Tätigkeit als Aktivist, und nachts kann ich schreiben. Nur Lehrer zu sein und mich mit Jugendlichen zu beschäftigen, würde mich auf die Dauer fertigmachen, aber nur schauspielern will ich auch nicht. Wenn ich darüber nachdenke, halte ich mein Lehrer-Ich doch für wichtiger. Die Art von Theaterschauspielerei, die ich repräsentiere, ist eine von Vornherein eingeschränkte Gattung. Da schauen sich die Auftritte zweimal siebzig Leute an, die Hälfte davon sind Mütter, Väter und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Theatergruppen. Aber was kann ich damit bewirken? Deshalb sehe ich mich eher als Lehrer, der offene, intelligente Menschen erziehen darf, die viel gesehen, viel erlebt haben. Aber ich will mich hier nicht als Heiligen darstellen. Demnächst zum Beispiel mache ich Werbung für eine Kloschüssel, das ist nämlich die wahre Herausforderung – nicht Parfüm-Werbung!
 
Du bekommst aber schon regelmäßig Rollen, zuletzt in einer spannenden, internationalen Produktion, und zwar im Berliner Stück „The Journey/Drom“, das auch in Ungarn gespielt wurde.
 
Das Theater begann mir langweilig zu werden, weil ich das Gefühl hatte, nur eine Blume zu sein, die immerzu darauf wartet, gegossen zu werden. Aber dieses Stück war spannend. Dennoch hat es an mir genagt, dass ich wegen dieses Projekts viele andere Arbeiten nicht beenden konnte, missen wollen würde ich diese Zeit aber trotzdem nicht. An dem Stück arbeiteten serbische, kosovarische, montenegrinische, rumänische, ungarische und natürlich deutsche Roma zusammen. 60% meines Aktivisten-Ichs habe ich aus dieser Erfahrung geschöpft, ich habe viel von den Kolleginnen und Kollegen gelernt, sie haben meine Sichtweise über die Natur des Rassismus, die ich bis dahin hatte, in ein anderes Licht gerückt. Darüber hinaus habe ich in Berlin unglaublich interessante Leute kennengelernt, zum Beispiel die geniale Schauspielerin Mihaela Drăgan, Gründerin des ersten feministischen Roma-Theaters, dann Branko Mitrovic, der in Serbien in einer Container-Siedlung aufgewachsen und jetzt pädagogischer Assistent und Amateurschauspieler ist, aber auch den Kosovaren Hamze Bytici möchte ich nicht unerwähnt lassen, der, bis er fünfzehn war, im Flüchtlingslager lebte und heute sowohl als Theatermensch als auch Aktivist zu meinen arbeitsamsten Kollegen gehört.
 
Es zeichnet dich aus, dass du Roma-Künstler bist, trotzdem hast du bisher scheinbar nicht am öffentlichen Leben der Roma teilgehabt.  
 
Da spielt wohl auch die Tatsache eine Rolle, dass ich Halb-Rom bin, und man mir deswegen meine Roma-Abstammung nicht unbedingt ansieht. Ich werde nicht tagtäglich benachteiligt, wie Roma mit dunklerer Hautfarbe, deswegen würde ich mich ein bisschen heuchlerisch fühlen, wenn gerade ich mich ins Rampenlicht stellen würde, der ich nicht so viel Diskriminierung erfahre. Ich hätte meine Abstammung leugnen können, wobei ich eigentlich immer schon „suspekt“ war, ich hatte oft Spitznamen wie Italiener, Itaker oder Römer. Ich stehe mit zahlreichen Roma-Organisationen in Kontakt, ich unterstütze ihre Arbeit, nehme an ihren Veranstaltungen teil, aber ich selbst bleibe lieber Künstler und Lehrer. Als mich das Roma-Pressezentrum eingeladen hat, die Gala der Verleihung des Goldenen-Band-Preises (Aranypánt-díj) zu moderieren, bei der Alltagsheldinnen und -helden aus der Roma-Gemeinschaft ins Rampenlicht gerückt werden, habe ich mich zwar gefragt, warum gerade ich, aber ich freue mich sehr, dass ich schließlich eingewilligt habe. Für mich bedeuten Initiativen wie diese das öffentliche Leben der Roma.

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