Interview mit Gerhard Seewann
„... ich begegnete der Vielfalt an Kultur, Sprachen und Volksgruppen ...“

Prof. Gerhard Seewann
Foto: Imre Bellon © Goethe-Institut Budapest

Professor Seewann, Mitverfasser des Bandes Donauschwaben, fragten wir über seine Forschungsmotivation, über Minderheitenerfahrung und Migration sowie das Interesse im heutigen Deutschland für die Geschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa.

Ihre Forschungen, in denen Sie die Geschichte der Minderheiten Ostmitteleuropas vom Mittelalter bis in die Gegenwart (mit Schwerpunkt Ungarn) verfolgen, haben ganz bestimmt einen Auslöser, eine Ihr Interesse erweckende Erfahrung… Wie haben Sie für sich diese Thematik entdeckt?
 
Mein „Erweckungserlebnis“ für die Minderheit war mein Aufenthalt in der Stadt Temesvár im Jahr 1968, der ca. 9 Monate dauerte. Dort begegnete ich der Vielfalt an Kultur, Sprachen und Volksgruppen, die mich faszinierte und bis heute begeistert und mein Forschungsinteresse begründet.
 
Minderheiten basieren auf Abgrenzungsmechanismen – das Eigene und das Fremde sind hierbei wesentliche Elemente und Marker. Gibt es, was die einzelnen Siedlungsgebiete betrifft, eine gemeinsame donauschwäbische Identität?
 
Ja es gibt gemeinsame Identitätselemente und -Merkmale: Dazu gehören die Grunderfahrungen der Ansiedlungszeit, geprägt von Anpassung und Integration an Wirtschaft und Kultur der neuen Umgebung. Ferner jedoch auch Fähigkeiten, die die Schwaben aus Deutschland mitgebracht haben, wie die Erwerbswirtschaft, man produzierte mehr als man selbst benötigte und brachte diese Produktion auf den Markt, verkaufte sie, und zog daraus Kapital, das man zur Erweiterung seiner Hofwirtschaft, zur Einsiedlung in Dörfer der Umgebung und zum sozialen Aufstieg durch Bildung (Priester, Lehrer, Ärzte etc.) nutzte. Ferner praktizierte man für Ungarn neue Wirtschaftsformen (Dreifelderwirtschaft, Fruchtwechsel und Stallwirtschaft), wodurch die Schwaben ganz wesentlich zur Modernisierung der Agrarwirtschaft im Königreich Ungarn beitrugen.
 
Flucht, Vertreibung, Deportationen, ein schweres Schicksal wurde den Deutschen während bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg zuteil. Welche Unterschiede sind festzustellen mit Blick auf Ungarn, Jugoslawien und Rumänien?

 
Ja es gab Unterschiede: In Rumänien wurden auch viele Deutsche in die Sowjetunion zur Malenkij robot deportiert, sie wurden wie in Ungarn auch enteignet und lange Zeit diskriminiert. In Ungarn gab es zusätzlich die Vertreibung von ungefähr der Hälfte der Deutschen in die amerikanischen und sowjetischen Besatzungszonen Deutschlands, dies mit Zustimmung der Siegermächte. In Jugoslawien gab es ebenfalls die Deportation in die Sowjetunion, schlimmer jedoch waren die Vernichtungslager, in denen ca. 70.000 Schwaben umkamen.
 
Was meinen Sie, stößt die Geschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa auf Interesse in der Bundesrepublik Deutschland?
 
Das Interesse hat in den zwei letzten Jahrzehnten sehr zugenommen. Das zeigen auch die Erfolge der mit der Geschichte befassten Bücher. So ist meine zweibändige Geschichte der Deutschen in Ungarn inzwischen das meistverkaufte Buch des Herder-Instituts in Marburg geworden und die Nachfrage nach dem neuesten Buch ist gleichfalls sehr lebhaft.
 
 

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