Judith Hermann über ihre Erfahrungen bei Germany@Home

Im Winter 2013 habe ich zwei Wochen im Böll-Cottage auf Achill Island verbringen dürfen und dort in Heinrich Bölls ehemaligem Arbeitszimmer die Erzählungen der irischen Autorin Claire Keegan entdeckt. Zwei Jahre später, im Frühjahr 2015, begegne ich Claire Keegan zum ersten Mal - auf einer Lesung im Rahmen der Reihe Germany@Home - Lesungen in privaten Räumen, in familiären irischen oder deutschen oder irisch-deutschen Zusammenhängen.

Im Wohnzimmer: Judith Hermann und Claire Keegan © © Joseph Carr Photography  Im Wohnzimmer: Judith Hermann und Claire Keegan © Joseph Carr Photography
An diesem Abend ist Mechtild Manus Gastgeberin und die Autorin Claire Keegan kommt aus den Wicklow Mountains nach Dublin. Sie kommt kurz vor Lesungsbeginn an, begrüßt die Anwesenden nacheinander mit großem Ernst und einem festen Händedruck, und zeigt ein knappes, überraschtes Staunen, als ihr klar wird, daß diese Lesung tatsächlich an einem Esstisch stattfinden wird, einem Tisch mitten in dem noch hellen Wohnzimmer mit Blick auf den Hanover Quay und das Stadion, die Google-Community, die erst abendliche, dann nächtliche Stadt. Claire zieht sich für eine Zigarette mit Blick auf die Stadt auf den Balkon zurück, trinkt dazu ein Glas Wein und kehrt dann wieder ins Zimmer zurück. Die Moderatorin Eileen Battersby ist außer Atem eingetroffen, hat eine gerahmtes Fotografie ihres Pferdes dabei, die sie kurz entschlossen noch von der Wand genommen haben muss, bevor sie eilig ihr Haus verlies. Sie zeigt es Claire flüsternd und unter dem Tisch. Die letzten Gäste treffen ein, nehmen auf den Sofas und den Treppenstufen Platz - Iren und Deutsche, junge und alte Leute. Mechtild Manus begrüßt die Anwesenden, ihre Freude über dieses Zusammentreffen ist ihr deutlich anzusehen.

Wir lesen nacheinander, seltsame Koinzidenzen, Texte über Eindringlinge und Okkupationen, über Frauen und Männer, schreiben und lesen. Es ist schön für mich, Claire Keegans Erzählung, die ich in meinem einsamen und winterlichen Achill und in der deutschen Übersetzung gelesen gehabe, jetzt noch einmal von ihr selber vorgelesen zu bekommen, auf Englisch, im Original und mit einer tiefen, warmen Stimme, amüsiert und erfreut über die Nähe zum Publikum, über das Familiäre dieser Nähe.

Das von Eileen Battersby moderierte Gespräch behandelt die die Liebe zur Short Story, Döblin, Kleist, Hölderlin und Kästner, tatsächlich dann auch Pferde, Pferdezucht und Pferdeboxen und den Transport von Pferden in Irland im Allgemeinen. Manus und Keegan sprechen über Einsamkeit, Gespenster auf Achill, Schreibzimmer, Schreibzustände und das schwierige Glück des Schreibens. Das Gespräch hätte bis spät in den Abend weiterfließen können, wenn die Zeit in Mechtilds Wohnzimmer nicht auf zwei Stunden begrenzt worden wäre.

Nach der Lesung gibt es Brezeln und ein kaltes, gutes Bier. Vor den Panoramafenstern liegt die glitzernde Stadt, über dem Meer steht ein runder Mond. Auf Deutsch könne man komplexer denken, sagt jemand und jemand anderes sagt, das Englische bringe die Dinge auf den Punkt, aufs Wesentliche, die Sprache in der Mitte müsste man finden. Claire Keegan sagt, sie käme nach Berlin, irgendwann, bestimmt. Am nächsten Morgen steht ihr leeres Weinglas noch neben dem Stuhl auf der Terrasse und der Tag ist sonnig, kalt und klar; Stuhl, Glas, Wasser, Märzlicht, ein Dubliner Stilleben, das ich fotografiere und mitnehme, nach Hause.

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