Sexualisierte Gewalt am Filmset
„Was nicht abgesprochen ist, ist nicht ok!“
Übergriffe bei Castings, unangekündigte Vergewaltigungsszenen im Dreh: Auch die Filmbranche ist nicht frei von sexualisierter Gewalt. Was das mit den Betroffenen macht, zeigt der neue Kinofilm der Regisseurin Alison Kuhn: In „The Case You“ berichten fünf Betroffene von ihren Erfahrungen.
Von Eleonore von Bothmer
Frau Kuhn, wie sind Sie darauf gekommen, „The Case You“ zu drehen, einen Film über sexualisierte Gewalt?
Ich wurde als junge Schauspielerin, wie hunderte andere junge Frauen, zu einem Casting eingeladen, bei dem zum Teil schlimme Übergriffe passierten. Zum einen wurden viele Bewerberinnen während der vorzuspielenden Casting-Szene unabgesprochen berührt und zum Teil auch geschlagen, und dann wurde aus diesem Castingmaterial auch noch ungefragt ein „Dokumentarfilm“ geschnitten. Das war quasi ein doppelter Missbrauch. Manche Betroffene haben sich dann entschieden, gegen den Missbrauch ihrer Bildrechte zu klagen.
Wurden diese Frauen von irgendjemandem unterstützt?
Die Plattform „crew united“ hat sich super dafür eingesetzt, dass sich die Betroffenen miteinander über Facebook vernetzen konnten. Auf diesem Weg habe ich auch die Frauen kennengelernt, die in meinem Film zu Wort kommen. Der Auslöser, den Film zu machen, war aber ein anderer.
Was war denn der Auslöser?
Bei meiner Aufnahmeprüfung für das Regie-Studium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg hat mich jemand wiedererkannt, der bei diesem schlimmen Casting dabei gewesen war. Das hat viele Gefühle in mir aufgewirbelt, die irgendwohin mussten. Ich fühlte mich wie gelähmt. Schließlich habe ich mir gesagt: „Wenn ich es schaffe, hier aufgenommen zu werden, dann mache ich einen Film über dieses Thema.“ Es war gut, das Unangenehme in etwas Konstruktives umzuwandeln – und plötzlich hatte ich auch wieder Energie für die Prüfung.
Die MeToo-Bewegung thematisiert immer wieder übergriffige Situationen an Filmsets. Begünstigt die Filmbranche solche Strukturen?
Überall, wo es starke Hierarchien gibt, gibt es strukturelle Macht. Das ist in der Filmbranche nicht anders als zum Beispiel in großen Konzernen. Ein Filmset ist hierarchisch aufgebaut und muss es auch sein, um zu funktionieren – aber das ist auch der Nährboden für Machtmissbrauch. Allerdings ist es nicht so, dass das nur jungen Frauen passieren könnte. Männer oder ältere Schauspielerinnen kann es genauso treffen.
Hat Sie diese Erfahrung als Regisseurin geprägt?
Natürlich habe ich jetzt ein viel klareres Bewusstsein dafür, dass man als Regisseurin sehr vorsichtig mit seiner Verantwortung umgehen muss. Diese Arbeit hat sehr viel mit Vertrauen zu tun. Meine eigenen Erfahrungen haben mich sensibilisiert und meine Alarmglocken geschärft.
Wie wurde Ihr Film in der Branche aufgenommen?
Es gab sehr gutes Feedback von allen Seiten. Viele freuen sich darüber, dass das thematisiert wird – ich glaube, in Deutschland gab es noch kaum einen Film zu diesem Thema. Und natürlich kommen auch viele zu mir und wollen von ihren Erfahrungen erzählen. Da ist etwas in Bewegung gekommen, es gibt mehr Austausch und Vernetzung. Besonders freut es mich natürlich, wenn Regiekolleg*innen sagen, dass sie jetzt anders an Castings herangehen.
Wieso lässt man sich Übergriffigkeit in einem solchen Setting gefallen – da gibt es ja auch Zuschauer*innen?
Eine meiner Protagonistinnen erzählt im Film zum Beispiel, dass Abbrechen keine Option für sie war. Denn das war auch vorher die Ansage gewesen: „Hier wird nicht abgebrochen!“ Da wurde ein ganz klares Machtgefälle aufgebaut. Dadurch, dass bei diesem Casting ein ganzes Filmteam dabei war, bekam das Ganze eine starke Dynamik. Eine der betroffenen Schauspielerinnen sagte, sie habe das fast wie einen Gruppenmissbrauch empfunden, weil viele da waren und sich niemand für sie stark gemacht hat, als sie es selbst nicht konnte.
Ist es auch deshalb eine schwierige Situation, weil man als Schauspieler*in etwas erreichen will?
Genau, das ist wie ein Bewerbungsgespräch. Da hängt eine Menge dran. Die Karriere, die Miete, Folgeaufträge und vieles andere. So ist das natürlich auch in vielen anderen Branchen.
Zudem haben es Schauspieler*innen ohnehin oft mit Extremsituationen zu tun, wo Grenzen schnell verschwimmen können.
Ja, es ist manchmal unklar, was Realität ist und was Spiel. Die künstlerische Intention erschließt sich einem nicht unbedingt sofort – zumal nicht, wenn man selbst mittendrin steckt in der Szene. Ich glaube, früher war das noch viel extremer, viel autoritärer. Da gab es noch diese Idee vom Regisseur als Genie. Es gibt zum Beispiel diesen Film Der letzte Tango in Paris, da wurde die Schauspielerin mit einer Vergewaltigungsszene überrascht, damit sie eine authentische Reaktion zeigt. Neben allem anderen, was daran falsch ist, sabotiert das auch den Schauspielberuf – immerhin werden Schauspielende ja genau dazu ausgebildet, etwas darzustellen, und kennen ihre Werkzeuge dafür.
Was kann man als Regisseur*in tun, um solche verstörenden Erfahrungen zu vermeiden?
Man muss im Vorfeld die Grenzen ganz klar abstecken. Man kann ja alles machen – sofern es im Vorfeld kommuniziert wurde. Was nicht abgesprochen ist, ist nicht ok! Empathie ist wichtig. Und es ist wichtig, jedem Teammitglied auf Augenhöhe zu begegnen.