Mit brillanten Darstellern erinnert Andreas Dresens „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ an den Fall des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz.
Von Philipp Bühler
„Runter von meinen Schneeglöckchen!“ Rabiye Kurnaz redet gern mit der Presse, verteidigt aber auch ihre Prinzipien. Andreas Dresens Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (Wettbewerb) ist das starke Porträt einer Mutter, die wirklich alles tut, um ihren Sohn freizubekommen. Meltem Kaptan spielt diese Frau mit einer umwerfenden Mischung aus Herzlichkeit, Energie und Humor. Vielleicht muss man eine gelernte Comedienne sein wie die 1980 in Gütersloh geborene Deutsch-Türkin, um hinter soviel Kraft und Lebensfreude auch immer die tiefe Verzweiflung ahnen zu lassen, die ein leidendes Mutterherz zu zerbrechen droht. Kaptans Darstellung macht sie jedenfalls zur Kandidatin für den Silbernen Bären. Wie Rabiye sagen würde: „Echt jetzt!“
Schlagkräftiges Duo
Der Fall Murat Kurnaz war ein deutsches Politikum. Von Januar 2002 bis August 2006 wurde der „Bremer Taliban“, wie ihn die Presse schnell nannte, ohne Anklage im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba festgehalten und gefoltert. Dieses unvorstellbare Leiden war für Dresen nicht darstellbar. Mit dem rastlosen Kampf einer Hausfrau und Mutter hingegen konnte er sich identifizieren. Zusammen mit dem stillen Bremer Anwalt Bernhard Docke (Dresens Stammschauspieler Alexander Scheer) bildet die laute Rabiye ein kurioses Team. Der Plan des peniblen Paragrafenkenners: Eine Sammelklage vor dem amerikanischen Supreme Court soll die Aussetzung des US-Rechts in Guantanamo für völkerrechtswidrig erklären. Solche juristisch komplexen Zusammenhänge erklärt Dockes Figur im Film der ahnungslosen Rabiye und damit auch uns. Sie hingegen macht klar, wie eine deutsch-türkische Familie funktioniert: Mama hat das Sagen, zumindest bei ihr!
Politisches Statement
Einmal mehr faszinierend ist es, wie authentisch sich Regisseur Dresen (Gundermann, 2018) in völlig unterschiedliche Milieus einarbeitet. Auch politisch findet der Film eine feine Linie. Natürlich klagt er die damalige Bush-Regierung an, die im „Krieg gegen den Terror“ rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft setzte. In Washington, wo sie eine Petition einreichen, zeigt Anwalt Docke seiner Mandantin aber auch die heiligen Stätten der US-Demokratie, die am Ende für ein „großartiges Urteil“ sorgte - so nannte es der Filmemacher auf der Pressekonferenz zum Film. Dort fand er auch deutlich Worte für die deutsche Politik, die damalige Fehler bis heute nicht einräume und sich hier „unverantwortlich aus der Affäre gestohlen“ habe. Pikanter historischer Zufall: Ausgerechnet am Tag nach der Filmpremiere auf der Berlinale wurde Frank-Walter Steinmeier parteiübergreifend als Bundespräsident bestätigt. Als Beauftragter der Nachrichtendienste machte er im damaligen „Fall Kurnaz“ eine umstrittene Figur.