Ein Interview mit Elisa Lindinger
„Digitale Plattformen sind ein zweischneidiges Schwert“.
Elisa Lindinger über den deutschen Diskurs zu digitalen Medien und Demokratie, die Auswirkungen von Desinformation, Hassreden und digitaler Gewalt sowie die Bedeutung, das öffentliche Interesse und das gesellschaftliche Wohlergehen in den Mittelpunkt zu stellen. Elisa ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von Superrr Lab.
Wie gestaltet sich die Debatte über digitale Medien und ihre Einflüsse auf die Demokratie in Deutschland? Welche Kernpositionen prägen diesen Diskurs?
Ich bin der Ansicht, dass die Diskussion über digitale Medien und Demokratie in Deutschland kaum von der in anderen Ländern abweicht. Insbesondere Desinformation und Fehlinformation spielen vor den anstehenden EU-Wahlen 2024 und den deutschen Wahlen 2025 eine wichtige Rolle. Die Frage, wie man diesen Phänomenen begegnen kann und wer für ihre Bekämpfung verantwortlich ist, ist von zentraler Bedeutung. Weitere Themen sind digitale Gewalt und Hassreden im Internet, die ebenfalls Auswirkungen auf die Demokratie haben. Warum? Weil sich Betroffene aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. Das bedeutet, dass ihre Stimmen in der Öffentlichkeit zunehmend ungehört verhallen.
Zivilgesellschaftliche Gruppen in Deutschland sind sich uneins darüber, wie diese Herausforderungen am besten bewältigt werden können. Sollte der Staat eingreifen, kann Regulierung helfen oder sollten Plattformen und digitale Bürger selbst darüber entscheiden, wie der digitale Raum geregelt wird? Wie üblich erfordern diese Fragen nuancierte Antworten, die auch mögliche Veränderungen in der Zukunft berücksichtigen. Angesichts des bereits erlebten politischen Rechtsrucks in der EU müssen wir dies im Blick behalten, wenn wir Instrumente zur Gestaltung digitaler Räume auswählen.
Inwiefern haben digitale Plattformen nach das Feld des bürgerschaftlichen Engagements verändert? Könnten Sie einige kreative Ansätze teilen, die Sie bei der Verwendung digitaler Plattformen für soziale Zwecke und Aktivismus beobachtet oder angewendet haben?
Die Pandemie hat das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland stark beeinflusst. Viele lokale, ehrenamtlich geführte Initiativen mussten rasch Wege finden, ihre Arbeit während der Lockdowns digital fortzusetzen. Obwohl dies für viele eine Herausforderung war, haben die meisten Organisationen innovative Lösungen gefunden und neue Möglichkeiten entdeckt, sich mit ihren Gemeinschaften zu vernetzen. Durch die Digitalisierung besteht auch die Chance, mit ähnlichen Gruppen an anderen Orten in Kontakt zu treten.
Aktivismus und bürgerschaftliches Engagement sind zwar anspruchsvoll, aber es gibt Faktoren, die dies erleichtern können. Einfache Tools wie Videoanrufe oder die gemeinsame Nutzung von Dateien können in der Zusammenarbeit einen größeren Unterschied bewirken als hochentwickelte Anwendungen. Die Annahme solcher grundlegenden Werkzeuge hat meiner Meinung nach eine größere Wirkung als viele vermeintliche Innovationen der vergangenen Jahre. Auf der anderen Seite ist Information im Aktivismus von entscheidender Bedeutung und oft schwer zu erhalten. Plattformen wie FragDenStaat - sie ermöglichen Menschen in Deutschland, FOIA-Anträge (Freedom of Information Act) zu stellen und zu verwalten - machen in dieser Hinsicht einen echten Unterschied.
Wie nehmen Sie die unterschiedlichen Erfahrungen von marginalisierten Gemeinschaften auf digitalen Plattformen wahr? Welche Maßnahmen können Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um bestehende Ungleichheiten abzumildern?
Digitale Plattformen sind ein zweischneidiges Schwert. Während sie Hass und Desinformation gegenüber marginalisierten Gemeinschaften verstärken, bieten sie diesen auch die Möglichkeit, sich zu vernetzen und sich sichtbar zu machen. Das haben wir nach den Änderungen bei Twitter gesehen, als einige Nutzer beschlossen, die Seite zu verlassen. Interessant ist, dass auch Nutzer aus Randgruppen, die am meisten unter den Veränderungen in der Plattformverwaltung leiden, zu denjenigen gehören, die geblieben sind. Ganz einfach aus dem Grund, weil ihr Online-Publikum für sie entscheidend ist und es fast unmöglich ist, dieses auf anderen Plattformen wieder aufzubauen.
Ungerechtigkeiten, die in der „realen Welt“ existieren, spiegeln sich auch online wider, manchmal subtiler, manchmal deutlicher. Der Versuch, diese Ungleichheiten online zu mildern, ohne die zugrunde liegenden Faktoren offline zu verstehen, ist wenig erfolgversprechend. Diskriminierung und Ungerechtigkeit sind systemisch. Deshalb brauchen wir systemische Maßnahmen, um sie zu lindern.
Was wären Meilensteine auf dem Weg zu einer Umstrukturierung digitaler Plattformen, die das öffentliche Interesse und das gesellschaftliche Wohl in den Vordergrund stellen? Wo sehen Sie Deutschland in dieser Hinsicht?
Einen klaren Fahrplan für eine Lösung habe ich leider nicht. Die Herausforderungen variieren stark zwischen verschiedenen Gemeinschaften und Ländern. Und alles, was ich aufgrund meiner begrenzten Erfahrungen vorschlagen kann, um die Dinge zu verbessern, könnte die Dinge für andere Menschen sogar noch schlechter machen. Ich weiß also nicht, welche Meilensteine noch vor uns liegen. Was ich aber weiß, ist, dass wir uns austauschen, zuhören, lernen und unsere Möglichkeiten zur Verbesserung digitaler Plattformen offen und kritisch diskutieren müssen. Deutschland arbeitet derzeit an einer internationalen digitalen Strategie, und wir setzen uns dafür ein, dass diese gemeinsam mit unseren Partnern in der Mehrheitsgesellschaft erarbeitet wird. Das wäre ein erster, kleiner Schritt!
In welchen Bereichen engagiert sich Superrr Lab in diesem Kontext?
Alles, was wir tun, baut auf der Arbeit auf, die andere Organisationen und Aktivisten schon seit langem leisten. Ich denke, es ist wichtig, dies anzuerkennen. Weil es bei unserer Arbeit nicht um eine einzelne Organisation geht, sondern um eine Bewegung, die schon vor der Gründung von Superrr vor vier Jahren begonnen hat. Trotzdem hier ein paar Beispiele, woran wir gearbeitet haben: Vor ein paar Jahren haben wir mit dem deutschen Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz an einem partizipativen Workshop über digitale öffentliche Räume gearbeitet. Die Teilnehmer:innen hatten tolle Ideen für kleine Veränderungen, die sie vorantreiben wollten. Etwa der Regret Button. Mit dem können wir zeigen, dass sich unsere Meinung, die wir in einem früheren Beitrag geteilt haben, geändert hat, ohne dass wir sie löschen müssen.
Wir haben inzwischen Feminist Tech Principles veröffentlicht, die in Zusammenarbeit mit inspirierenden Expert:innen auf diesem Gebiet entstanden sind. Sie können die Entwicklung und den Einsatz von Technologien beeinflussen. Auf einer Metaebene haben wir einen Rahmen für eine feministische Digitalpolitik veröffentlicht. Er zielt darauf ab, die Digitalpolitik von einem sozialen Standpunkt aus zu betrachten, anstatt sich nur auf die Wirtschaft oder die nationale Sicherheit zu konzentrieren. Wir hoffen, dass dies politische Entscheidungsträger in Deutschland und darüber hinaus dazu inspiriert, die digitale Transformation als potenzielle Kraft für Gerechtigkeit zu betrachten - wenn wir es richtig anstellen!
Elisa Lindinger ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von SUPERRR Lab, einer feministischen Organisation mit Sitz in Berlin. Elisa arbeitet an der Schnittstelle von Technologie, Kunst und Geisteswissenschaften. Ihre Forschung konzentriert sich auf offene digitale Infrastrukturgemeinschaften, die digitale Zivilgesellschaft und die sozialen Auswirkungen neuer Technologien. Als ausgebildete Archäologin ist Elisa seit mehr als einem Jahrzehnt in den Bereichen Kultur und Informatik tätig, sowohl innerhalb als auch außerhalb der akademischen Welt. Sie arbeitete mit der Open Knowledge Foundation Deutschland an mehreren Civic-Tech-Projekten und war Direktorin des Prototype Fund, dem ersten öffentlichen Förderprogramm für freiberufliche Softwareentwickler in Deutschland. Es zielt darauf ab, neue Wege zur Förderung von Technologie im öffentlichen Interesse zu definieren.