Schwindel auf dem schmalen Grat
Aus dem Leben eines Spieleentwicklers
Videospiele sind eine Herausforderung, schon bei der Herstellung. Das können Poornima Seetharaman und Sebastian Hollstein bestätigen. In Bangalore und Berlin entwickeln sie sehr verschiedene Spiele und stehen doch vor ähnlichen Aufgaben.
Von Jan Bojaryn
„Ich liebe es, daheim zu arbeiten“, beteuert Poornima Seetharaman. Über den Anlass kann sie sich aber nicht freuen; das Büro ihres Arbeitgebers in Bangalore ist wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Zu Hause sitzt auch Sebastian Hollstein. Er arbeitet sonst in dem Berliner Coworking-Space Saftladen. Auch ohne Pandemie hätten die deutschen und indischen Arbeitstage in der Games-Branche vieles gemeinsam: Beide Profis müssen zwischen Meetings, Organisation und tatsächlicher Spieleentwicklung abwägen. Beide müssen darum kämpfen, dass ihr Tag nicht zu lang wird.
Mir wird schnell mal schwindlig bei zu vielen Aufgaben."
Sebastian Hollstein
Gesperrte Kalender
Auch Seetharaman muss sich die Übersicht erarbeiten. Als Lead Game Designerin ist sie bei Zynga für eine große Bandbreite von Aufgaben zuständig. Einerseits legt sie Wert darauf, selbst „mitanzupacken“ und das eigentliche Spiel mitzugestalten. Andererseits muss sie die Richtung vorgeben, den Fortschritt der beteiligten Teams kontrollieren, nach Problemen Ausschau halten, Mitarbeiter*innen führen. Damit das alles funktionieren kann, braucht es nicht nur viele Meetings, sondern auch Zeiträume, in denen garantiert Ruhe herrscht. „Manchmal blockiere ich meinen Online-Kalender, damit ich mich auf eine Aufgabe konzentrieren kann“, erzählt sie.Mehr Geld für Kunst
Wichtig ist für Seetharaman das Medium selbst. Sie beschreibt sich als Person mit einer „Indie-Gesinnung“ – sie liebt Spiele, die einen kulturellen Anspruch und eine Botschaft haben, wie das Plattform-Abenteuer Gris des spanischen Indie-Entwicklers Nomada Studio. Sie selbst hat ein Jahr lang auf eigene Rechnung „experimentiert“, bevor sie den Posten bei Zynga angetreten hat. Sie entwickelt eigene Ideen; als sie ihren Kontakten jedoch vor Jahren von ihrem Ansatz eines biografisch inspirierten Spiels über Karnatische Musik erzählte, herrschte Skepsis vor. „Wer würde das denn spielen?“, wurde sie gefragt.Wer in Indien kreative Spiele machen will, muss auf den globalen Markt zielen."
Poornima Seetharaman
Die Spielefinanzierung in Indien wird besser, aber „wir brauchen mehr Geld für Indies“, fasst Seetharaman das Problem zusammen. Auch Kunstprojekte müssen sich nach kommerziellen Kriterien behaupten.
Hollstein hat es in Deutschland zwar nicht einfach, aber er hat genau mit diesem Ansatz der kreativen Selbstverwirklichung Erfolg: „Wir hätten nichts dagegen, Millionäre zu werden“, grinst er, „aber deswegen haben wir das Studio nicht gegründet.“ Tatsächlich waren Spiele seines Studios auch finanziell erfolgreich, aber „wir rechnen immer mit null Euro“ Gewinn. Inzwischen helfen Länder-, Bundes- und eine EU-Förderung bei der Finanzierung. Auch Publisher steuern einen zentralen Teil des Geldes bei. Die Geldgeber muss Hollstein von seinen Spielen überzeugen; er muss wachsende Budgets begründen. Auch das erfordert eine Balance. „Natürlich wollen wir mit unseren Spielen Geld verdienen, aber dabei nicht unsere Haltung und Vielschichtigkeit über Bord werfen“, sagt Hollstein. „Aber wir beugen uns nicht dem Markt.“
Eine Generation zu früh
Unzufrieden ist Seetharaman aber noch mit der Wahrnehmung ihres Mediums daheim. Spiele seien in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch gefangen zwischen Casual-Titeln wie Candy Crush Saga und Shootern wie PlayerUnknown's Battlegrounds. Das Spannungsfeld reiche vom Suchtmittel zur Zeitverschwendung. Sie wünscht sich mehr Interesse und Offenheit für die Schönheit des Mediums, gerade auch von Eltern – sie telefoniert gern mit ihrem achtjährigen Neffen, um über Minecraft zu fachsimpeln.Die Zeit ist reif für Indies."
Poornima Seetharaman
Einerseits hat Hollstein es leichter: Politisch sind Videospiele als Kulturgut akzeptiert. Angela Merkels Eröffnungsbesuch der Gamescom gilt als Meilenstein der Anerkennung. „In Deutschland bewegt sich viel“, erkennt er an. Aber er sieht einen Teil des Problems auch bei den Spielen selbst: Schon die typischen Gamepads seien für Nichtspieler ein Buch mit sieben Siegeln. Und wer nicht schon mit 13 gelernt habe, der könne sich heute kaum durch ein 3D-Spiel bewegen. Hollstein stört sich an den Barrieren, die Spiele um das Medium errichten.
Auch er kennt Eltern, die mit ihren Kindern nicht so recht über Spiele reden können. Bis Minecraft-Anekdoten am Abendbrottisch zum Normalfall werden, „braucht es vielleicht noch eine Generation“, schätzt er nüchtern. Das sieht auch Seetharaman so. Das Medium ist international, seine Probleme sind es auch.
Wussten Sie Schon?
Poornima Seetharaman ist die erste Inderin, die in die Women in Games (WIGJ) Hall of Fame aufgenommen wurde.
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