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Sprechstunde – die Sprachkolumne
Monster

Illustration: Eine roboterartige Figur, menschliches Gesicht, der Figur zugewandt und über ein Gestänge mit dieser verbunden; die Figur sagt „Monster!“, das Gesicht: „Beast!“
Was sind das überhaupt – Bestien, Monster? | © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Sind Monster wirklich nur negativ zu betrachten? Manon Hopf sieht das anders und beschäftigt sich mit der produktiven Seite des Monsterbegriffs.

 

Von Manon Hopf

Andere Tiere haben schon immer die Fantasie von Menschen beflügelt, sie zum Schreiben gebracht – oder das Schreiben zu ihnen. Es gibt unzählige Fabeln und Geschichten, Erzählungen und Gedichte, die von anderen Tieren handeln –wie sie von Menschen betrachtet werden, zu denen sich Menschen in Beziehung setzen, manchmal auch, um sich von ihnen abzuheben, sich über sie zu erheben, oder um anhand anderer Tiere die eigenen Vorstellungen von Moral zu verhandeln. Andere Tiere dienen dabei als eine Art Tabula rasa, als leere Fläche für Projektionen menschlicher Ängste oder Sehnsüchte, in der Annahme, dass andere Tiere sich nicht selbst äußern, nicht selbst ihre eigenen Geschichten erzählen [könnten] – dabei haben andere Tiere ihre ganz eigenen Wünsche und Vorstellungen vom guten Leben, dabei handeln auch sie mit Moral. Und dass sie sich ausdrücken und kommunizieren, steht außer Frage – Mensch muss nur gewillt sein, zuzuhören.

Moralische andere Tiere

Gemeine Vampire beispielsweise, eine Fledermausart, praktizieren reziproken Altruismus, indem sie ihren Freundeskreis mit Blutspenden unterstützen, da sie schon nach zwei erfolglosen Nächten ohne Nahrung sterben können. Bei Bonobos wurde Xenophilie [Fremdenfreundlichkeit] nachgewiesen und der Wunsch, bei Unbekannten einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Auch bei anderen Primaten ebenso wie bei Hunden wurde Ungerechtigkeitsabneigung beobachtet – was ein Gerechtigkeitsempfinden oder eine Vorstellung von Gerechtigkeit oder Fairness voraussetzt. Eine Untersuchungsratte im Labor ist nicht nur fähig, allein auf einem Bild einer Artgenossin Schmerzen in deren Gesichtsausdruck zu erkennen, sondern auch Tauschhandel zu betreiben, zurückliegende Gefallen zu erwidern und Reue zu empfinden. Sie kann das eigene Handeln reflektieren und mögliche gemachte Fehler bereuen – das ist schon weit mehr, als manche der eigenen Artgenossen können.

Menschen erzählen nicht nur von anderen Tieren, die es wirklich gibt, die Teil dieser Welt sind, auch wenn viele Menschen diese selten auf Augenhöhe mit ihnen teilen wollen – sondern auch und immer mehr von anderen Tieren, die es nicht mehr gibt, die es einmal gab und die von Menschen und Katastrophen ausgelöscht wurden. Und dann gibt es noch jene un/möglichen anderen Tiere, die der [menschlichen] Fantasie entspringen, die teils aus dieser Welt sind und teils nicht, ein Mosaik von Un/Möglichkeiten und un/möglichen Ko/Operationen – Chimären, Un/Tiere, Monster. Jorge Luis Borges stellte zusammen mit der [fiktionalen] Mitherausgeberin Margarita Guerrero in Einhorn, Sphinx und Salamander – Handbuch der phantastischen Zoologie ein Bestiarium [nicht nur] imaginärer Tierwesen vor. Hier werden mythologische und Märchentiere neben eigenen Er/Findungen präsentiert, aber auch andere Tiere, die zwischen den Welten wandeln – Wechselbälger, zuhause sowohl in der realen als auch in der imaginären, mythologischen Welt. In diesem Buch werden die Grenzen zwischen realen und Fantasiewesen verwischt, verundeutlicht. Und wenn ich ehrlich bin, hat die Natur etwas geradezu unheimlich Fantastisches und Fantasievolles.

Bestien, Monster

Ein Bestiarium [von lat. bestia = Tier, insbesondere wildes Tier] kann mehrere Bedeutungen haben – in der Literaturwissenschaft bezeichnet es eine moralische Tierdichtung oder Sammlung allegorischer Tiergeschichten bis hin zur schlichten Sammlung von Anekdoten über [andere] Tiere. Ein Bestiarium kann auch einen Fundus von [anderen] Tieren darstellen, einen imaginären Ort, an dem [andere] Tiere versammelt sind – oder, abwertend, einen Schauplatz bestialischen Verhaltens oder eine Zusammenschau von Persönlichkeiten wie Diktatoren oder Verbrechern.

Doch was sind das überhaupt – Bestien, Monster? Und was sind Bestien, Monster für andere Tiere? Ich kann mir gut vorstellen, wie die Monster anderer Tiere aussehen oder klingen könnten – nicht umsonst tarnen sich Jäger*innen als Wandernde, indem sie laut sprechend von einem Ansitz zum nächsten gehen, oder versuchen, ihre menschliche Silhouette aufzulösen, ihre Hände in Handschuhen zu verbergen – da Hände zum Menschen gehörend und von vielen anderen Tieren als potenziell gefährlich wahrgenommen werden. Es gibt andere Tiere, die über Nosferatus wachsenden Schattenhänden vielleicht genauso erschaudern würden, wie ich. Nur – was ich als Mensch dem Reich anderer Tiere zuordne, monsterhafte Hände wie Klauen, Reißzähne, würden andere Tiere wohl eher den Menschen zuschreiben.
 
was kann ausbrechen und eigen
ständig zu leben anfangen
möchte ganz offen aufgemacht sein
für lebensformen und un
mögliche phantasien: was heißt das
handeln
wie tiere

Laut Duden ist ein Monster ein furchterregendes und hässliches Fabelwesen, ein Ungeheuer von fantastischer, meist riesenhafter Gestalt. Ein Auswuchs. Ein Lebewesen, das als fruchterregend, grausam und hässlich gilt. Etwas furchterregend Großes, Unübersichtliches, ein gefährliches Ungetüm. Ein Monstrum ist ein Ungeheuer, Ungetüm, eine Missbildung, ein großer unförmiger Gegenstand. Ein Scheusal. Das Lateinische monstrum heißt eigentlich Mahnzeichen, Weisung der Götter durch ein widernatürliches Ereignis – und kommt von monere [an etw. denken lassen, erinnern, mahnen, warnen]. Im Alltag kann monster- auch einfach nur etwas Extremes oder Großes bezeichnen, wie zum Beispiel ein Monstertruck. Vom Monster werde ich im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache weitergeleitet zur Bestie, von der Bestie zum rassistisch konnotierten Begriff Barbar, von dort zum Gewaltmensch, über Unmensch wieder zurück zum Ungeheuer, Ungetüm, zum Untier, Scheusal. Diese Begriffe, ihre Konnotationen und Wege verweisen an sich schon auf ein rassistisches Gesellschafts- und Sprachsystem, welches das Monster außerhalb einer vermeintlichen [da konstruierten] Norm verortet. Allein die Häufigkeit der Vorsilbe Un- deutet darauf hin, was ein Monster nicht ist oder sein soll.

Under de/construction

Monster gehören nicht dazu, sie sind Außenseiter, sie sind ungewöhnlich oder seltsam, unangepasst, merkwürdig, falsch, sie gelten als Fehler oder Irrtum. Dabei werden Monster vor allem zu Monstern gemacht – etwa von einem rassistischen und/oder heteronormativen System, unter dessen Bedingungen Abweichungen zwangsläufig monströs werden oder bleiben müssen. Wo sich ein Körper der Kontrolle durch kulturell konstruierte Normen oder Werte wie Schönheit oder Re/Produktion entzieht, wird er als monströs ver- und behandelt. Diese Menschen, ihre Körper und Begehren werden als unnatürlich oder widernatürlich gebrandmarkt. Dabei ist der natürliche Körper selbst eine Konstruktion, eine Fabrikation – wenn wir unsere eigene Natur genau befragen, merken wir schnell: Wir alle sind konstruiert, aus unzähligen Komponenten zusammengesetzt, ein Patchwork. Selbst die kleinsten Teile der Materie sind in sich schon eine unergründliche Vielzahl. Menschen sind monsterartig – und ihre Un/Natürlichkeit ist Teil von Natur, die eben nicht gegeben, nicht festgelegt ist, immer in Transition und Transformation begriffen. Materie ist niemals beständige Materie, sie ist immer bereits radikal offen, in De/Konstruktion und Re/Konfiguration, eben niemals identisch mit sich selbst und damit unzählbar multipel/mutabel und veränderbar. Das Monster führt uns das sehr deutlich vor Augen – seine Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit ist ein Angriff auf Konstruktionen von Identität.

Monstersolidarität

Monster bewirken Angst, aber auch Faszination, eine Form von Begehren – und Vertrautheit: Schon Kinder werden als kleine Monster bezeichnet. Ein Monster ist etwas, das vorhandene Kategorien stört, das Grenzen infrage stellt, einem Versprechen von Klarheit und Reinheit entgegensteht. Der Begriff Monster wird einerseits genutzt, um Personen und Eigenschaften zu dämonisieren, zu entmenschlichen, andersherum kann er aber auch ein Mittel der Selbstermächtigung sein – indem er Verzweiflung und Leid in Wut, Selbstbestimmung und politische Aktion umwandelt. Monster kann also auch ein Ort sein, von dem aus Mensch spricht oder sich zuhause fühlt – weil er*sie in der Normativität bestimmter und bestimmender Systeme kein Zuhause hat. Monster kann vieles sein und für jede*n etwas anderes – und hat das Potenzial, verschiedene Identitäten, Zugehörigkeiten oder auch Unterdrückungskategorien abzubilden. Monster kann Widerstand bedeuten – kann inspirieren, indem es Normen, Binaritäten stört, das Konzept von Identität, indem es verunsichert und uns dazu bringt, neue Formen des Zusammenlebens in Differenz und Pluralität zu gestalten. Neue monströse Wege des Inkontaktkommens, des Inberührungseins, des Werdens auszukundschaften – neue Formen von Solidarität, Allianz und Veränderung. Das Monster lebt im Dazwischen, in Transition, im Übergang – sein Körper, sein Verhalten ist under de/construction.
 
der letzte anfang
war ein monster

vom beginn keine spur und
keine aussicht
auf ein ende

Es soll nicht darum gehen, Unterdrückungserfahrungen und ihre Besonderheiten durch bestimmte normalisierende Machtmechanismen wie Rassismus und/oder Heteronormativität zu universalisieren, sondern um die Dekonstruktion von Universalität – und darum, vermeintliche Monster als natürlich, als Teil einer sich selbst befragenden Natur zu verstehen. Und Wider/Natürlichkeit als eine Mahnung und Erinnerung daran, die eigene Identität selbst immer wieder zu de/konstruieren und zu befragen: Unbehagen kann ein produktiver Antrieb sein.

 

Der Monsterteil dieses Texts basiert auf Begriffen und Ideen aus Karen Barads „Transmaterialities: Trans*/Matter/Realities and Queer Political Imaginings“ und Ana Cristina Santos „LGBTQ+ Intimacies in Southern Europe. Citizenship, Care and Choice“.

 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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