Multiperspektivische Illustrationen
Wie Sprichwörter verbinden
Es gibt viele Redewendungen und Sprichwörter, die wir fast täglich benutzen ohne darüber nachzudenken, was dahintersteckt. Bei vielen von ihnen haben wir sofort ein Bild im Kopf – manchmal ist das Bild unverständlich, unterhaltsam oder gar schräg. Redewendungen sind dabei ein fester Bestendteil jeder Sprachkultur. Vier Künstler*innen nähern sich jeweils einer anderen Sprachkultur in Form von Illustrationen an. Auf diesem Weg sind sich Beatrice Davies aus Deutschland und Nik Neves aus Brasilien nähergekommen. Auf der anderen Seite versuchen Anjali Mehta und Jinyoung Choi mit dem Zeichenstift kulturelle Distanzen zu überwinden. Die Ergebnisse offenbaren trotz aller geografischen Ferne die eine oder andere Gemeinsamkeit.
Von Beatrice Davies, Nik Neves, Anjali Mehta und Jinyoung Choi
„Cada macaco no seu galho“
„Als ich darüber nachgedacht habe, was ich mit dem brasilianischen Sprichwort ‚Cada macaco no seu galho‘ verbinde, was aus dem Portugiesischen wortwörtlich übersetzt ‚Jeder Affe auf seinem eigenen Ast‘ und sinngemäß ‚Jede Person in ihrer eigenen Ecke‘ bedeutet, musste ich an die häusliche Quarantäne und den Lockdown in Deutschland denken, in dem alle Bürger*innen brav auf ihrem Ast sitzen mussten. Als ich mich dann selbst in häuslicher Quarantäne befand, sah ich oft aus dem Fenster hinaus zum Gebäude gegenüber. Dort betrachtete ich, wie sich in jeder Wohnung, ‚auf jedem Ast‘ das Leben unterschiedlich abspielte. Jede einzelne Wohnung war eine kleine Welt an sich. Und die Menschen darin sahen so nah und doch so weit voneinander entfernt aus“, sagt die in Berlin lebende Illustratorin Beatrice Davies.
„Jemandem zu Leibe zu rücken“
„Den Ausdruck ‚Jemandem zu Leibe zu rücken‘ zu illustrieren, war keine einfache Aufgabe. Aber was ist schon einfach, wenn man Deutsch erst nach seinem 30. Lebensjahr gelernt hat? Ich kann mich nicht erinnern, den Ausdruck in meinen fast sieben Jahren Arbeit zwischen Deutschland und Brasilien je gehört zu haben, und das machte es schwierig, ganz sicher zu sein, ob die Zeichnung tatsächlich den Punkt trifft. Das Verinnerlichen und die Interpretation von Bedeutungen abstrakter Begriffe ist wohl die größte Herausforderung. Sprachliche Feinheiten, die länger brauchen, einen dann aber wirklich das Gefühl geben, in einer Kultur zu Hause zu sein“, so der brasilianische Illustrator Nik Neves.
„Der nahe Nachbar ist besser als der entfernte Verwandte“
Illustration: „Der nahe Nachbar ist besser als der entfernte Verwandte“ von Anjali Mehta | Illustration: © Anjali Mehta „Das bekannte koreanische Sprichwort ‚Der nahe Nachbar ist besser als der entfernte Verwandte‘ hat viele Nuancen, die während der Pandemie sehr wichtig wurden. Sicherlich hat jeder auch seine eigene, persönliche Wahrnehmung und Erfahrung mit diesem Sprichwort. Wir haben gesehen und erlebt, wie Menschen, die in unserer Nähe lebten, im Alltag immer mehr an Bedeutung gewannen: von täglichen Gesprächen und Treffen bis hin zu gemeinsam verbrachten Tagen, von gemeinsamem Kochen bis zu gegenseitiger Hilfe, wenn jemand krank wurde. Und das Schöne an diesem Sprichwort ist, dass es nicht nur eine Erfahrung in Korea war, sondern eine, die überall auf der Welt beobachtet und erlebt wurde. Mein Kunstwerk zeigt einen besonders häufigen Akt der Freundlichkeit: Ein älteres Ehepaar wird von einem Nachbarn mit Lebensmitteln und Einkäufen unterstützt, während es per Videoanruf mit dem Sohn telefoniert. Der wohnt in einem anderen Land und kann nur durch virtuelle Anrufe Trost spenden. Mehr ist nicht möglich“, so Anjalia Mehta.„Mit festem Schritt“
Biografien
Beatrice Davies wurde 1990 in Italien geboren und arbeitet als Illustratorin und Comiczeichnerin in Berlin, Deutschland. Nachdem sie 2010 ein Stipendium der School of Visual Arts New York erhalten hatte, begann sie ihr Studium der Illustration. 2015 folge der Beginn eines Studiums im Bereich Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Weißensee Berlin. Im Jahr 2016 wurde sie mit einem ComicInvasionBerlin-Stipendium ausgezeichnet, das ihr die Zusammenarbeit mit der Obdachlosenzeitung strassen|feger ermöglichte. Ihre erste Graphic Novel Der König der Vagabunden – Gregor Gog und seine Bruderschaft, die 2019 im avant-verlag erschienen ist, war für den Leibinger Comicpreis 2019 nominiert. Ihr zweiter Comic, A Child's Journey, erschien im Frühjahr 2020 im JaJa Verlag.
Jinyoung Choi, in Seoul ansässig, arbeitet als Illustratorin für diverse Medien. In den sozialen Medien teilt sie oft Zeichnungen von alltäglichen Dingen, die nervöse Gemüter entspannen sollen, wobei sie unter dem Künstlernamen ‚Healthy Drawing‘ (gesundes Zeichnen) aktiv ist.
Nik Neves ist ein brasilianischer Zeichner, Comickünstler und Illustrator. Er ist Produzent der unabhängigen Zeitschrift Inútil, in der er Comic-Experimente und graphische Erzählungen publiziert. Als Illustrator arbeitet er regelmäßig für Zeitschriften und Verlage in Brasilien, Deutschland und England.