Nähe im digitalen Zeitalter
Neue Räume, neue Verbindungen
Im Jahr 2020, als die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus das gesellschaftliche Leben bestimmten, begannen viele Menschen, sich noch stärker online zu verabreden. In einem Interview spricht Dr. Doo-Hun Choi, Professor für Journalismus und Rundfunk an der Konkuk Universität in Seoul, über die Entwicklung digitaler Räume in Südkorea.
Von Minjee Kum
Seit Beginn der Pandemie haben sich die Aktivitäten im Digitalen vermehrt – auch in Südkorea. Können Sie sagen, was sich konkret verändert hat?
Prof. Dr. Doo-Hun Choi: 2020 hat die südkoreanische Pressestiftung 1.000 südkoreanische Männer und Frauen zu Veränderungen im Alltag verursacht durch COVID-19 befragt. 70,3 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Medien vermehrt nutzten und dass dies die größte Veränderung in ihrem Alltag sei. 78,9 Prozent gaben an, dass sie ihr Mobiltelefon vermehrt benutzten, darunter wurden Over-the-top Media Services - Services, die Inhalte online bereitstellen, ohne dass ein Internet-Service-Provider die Kontrolle über diese behält - mit 65,5 Prozent und Webportale wie Naver und Daum mit 63,7 Prozent sowie soziale Medien wie Instagram, YouTube und TikTok mit 43,7 Prozent am meisten genutzt. Außerdem gaben 72,2 Prozent an, dass sie die Nachrichten stärker verfolgten und das hauptsächlich, um Informationen über die Pandemie über Nachrichtenportale (79,5 Prozent) zu erhalten, denen sie zu 71,2 Prozent vertrauten.
Während der Pandemie begannen viele Südkoreaner*innen, sich hauptsächlich online auszutauschen. Haben sich viele Menschen voneinander entfernt, obwohl sie online kommunizieren?
Prof. Dr. Doo-Hun Choi: Das ist schwer zu sagen. Die audio-basierte Social-Network-App Clubhouse war beispielsweise in Südkorea sehr beliebt. Seit der Pandemie sind die Chancen, Smalltalk zu führen, geringer geworden. Dieses Bedürfnis konnte Clubhouse zu einem gewissen Grad befriedigen. Auch mit renommierten Unternehmen oder Prominenten Konversationen führen zu können, war für viele Südkoreaner*innen etwas sehr Faszinierendes. Die Audioplattform Spoon Radio fand besonders bei den Millennials Südkoreas großen Anklang. Solche neuen Erfahrungen sorgen dafür, dass die Onlinekommunikation in Zukunft noch intimer wird.
Inwiefern hat die Nutzung von sozialen Medien den Menschen während der Pandemie geholfen mit den Einschränkungen zurechtzukommen?
Prof. Dr. Doo-Hun Choi: Ich denke, dass der positiven Rolle der sozialen Medien während der Pandemie noch mehr Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. So verbreiten sich durch die Nutzer*innen von Facebook und anderen Online-Communitys hilfreiche, die Pandemie betreffende Informationen, wodurch eine Art kollektive Intelligenz entsteht. Außerdem konnte ich beobachten, dass Nutzer*innen durch die sozialen Medien Schwierigkeiten anderer besser nachvollziehen und so die Einsamkeit und Unsicherheit, die die Isolation mit sich bringt, zu einem gewissen Grad lindern konnten. Südkorea hat von allen OECD-Ländern die höchste Selbstmordrate - im Jahr 2021 waren es 23,5 von 100.000 Menschen. Auch in einer Studie zum Einfluss von Social Media auf Selbstmordgedanken, die ich durchgeführt habe, war eines der Ergebnisse, dass Menschen glücklicher sind, je reger ihr Austausch in den sozialen Medien ist. Sie fühlen sich sozial weniger isoliert und haben eine ablehnendere Einstellung zu Selbstmord. Auch wenn man, um das Infektionsgeschehen gering zu halten, physischen Abstand halten muss, hilft es umso mehr den Austausch im digitalen Raum beizubehalten.
Was denken Sie über das sogenannte Phänomen der „Infodemie“, in der sich Fake News wie eine Infektionskrankheit in sozialen Netzwerken ausbreiten?
Prof. Dr. Doo-Hun Choi: In Südkorea gibt es natürlich auch das Phänomen, dass sich unwahre Informationen sehr schnell in sozialen Medien ausbreiten. Meiner Erfahrung nach versuchen allerdings viele Nutzer*innen von sozialen Medien, die Informationen und Nachrichten über Corona auf ihre Echtheit zu prüfen, um die „Infodemie“ einzuschränken und unter anderem so aktiv gegen Fake News vorzugehen.
Zugleich ist es auch die Aufgabe von Regierungen und Gemeinden, offizielle Informationen schnell zu veröffentlichen und an die Bevölkerung weitergeben. Beispielsweise korrigierte Daegu, eine Metropolstadt Südkoreas, über ihren Instagram-Auftritt falsche Informationen über Daten zur Nachverfolgung von Infizierten. Es hängt also wie immer von den Bemühungen der Nutzer*innen ab, inwieweit soziale Netzwerke ein Hilfsmittel sein können.
Was werden wir in Zukunft unternehmen müssen, um uns mit anderen zu verbinden?
Prof. Dr. Doo-Hun Choi: Während der Pandemie entstand das Metaversum, ein kollektiver virtueller Raum. Wir werden von jetzt an immer wieder das Entstehen neuer digitaler Räume und auch ihr Absterben erleben. Wenn es durch Algorithmen möglich wird, sich nur mit denjenigen zu verbinden, die einem selbst ähnlich sind, dann könnten Diskriminierung und Konflikte vermehrt auftreten. Um dies zu verhindern, sollten Nutzer*innen Toleranz, Reflexion und solche Eigenschaft entwickeln, die es ihnen ermöglicht Meinungen zu akzeptieren, die nicht ihrer eigenen entsprechen.
Außerdem wäre es hilfreich, wenn Gesellschaftsschichten, die von der Nutzung digitaler Medien ausgeschlossen sind, also ältere Menschen mit mangelnder Medienkompetenz oder solche, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, ökonomische und technologische Unterstützung erhalten. Damit alle frei und gleichberechtigt in digitalen Räumen kommunizieren können, sollten wir dies weiterhin versuchen. Wenn es uns gelingt, werden wir in einem Zeitalter mit immer neuen Plattformen leben, die neue Verbindungen ermöglichen und mit denen wir unabhängig von Zeit und Raum kommunizieren können.