Generationenverantwortung in Deutschland
Nach dem Nichts
Die 19-jährige Studentin Luka Leonhard beschreibt in einem sehr persönlichen Beitrag, wie sich der Lockdown auf sie und Gleichaltrige ausgewirkt hat. Welche soziale Verantwortung tragen U20-Jährige in der Pandemie für den Schutz älterer Generationen? Wie blickt sie in die Zukunft?
Von Luka Leonhard
Es war meine letzte Woche als Schülerin der 13. Klasse, als von einem Tag auf den nächsten im März 2020 die Tore aller Schulen in Deutschland geschlossen wurden. Wenig später folgten Geschäfte, Theater, Kinos, Cafés, Flughäfen und schließlich sogar die Landesgrenzen. Doch nicht nur physische Türen wurden verriegelt, sondern auch Türen in meinem Kopf. Dort, wo sich vorher Träume, Ideen und ein ungefährer Weg in meine Zukunft befanden, war auf einmal nur noch gähnende Leere. Mein Leben wurde auf ungewisse Zeit verschoben.
„Es schien als würde es nie mehr vorbei gehen, als wären wir für immer gefangen in unseren Jugendzimmern, ohne auch nur die Möglichkeit zusammen sein zu können.“
Luka Leonhard
Verlust der Perspektiven und Träume
Ich erinnere mich an die Hoffnungslosigkeit, die mich und meine engsten Freund*innen überkam, als im Winter 2020 der strenge Lockdown alle Türen der Verheißung und des Wachsens schloss. Es schien als würde es nie mehr vorbei gehen, als wären wir für immer gefangen in unseren Jugendzimmern, ohne auch nur die Möglichkeit zusammen sein zu können. Nicht wenige fielen in Depressionen, Angststörungen, Magersucht, oder verletzten sich selbst.Ich erinnere mich, wie unverstanden ich mich fühlte, als in einer Zeitung über „die unvernünftige Jugend“ hergezogen wurde, obwohl der Großteil der jungen Menschen sich sehr wohl an die Regelungen hielt. Wut kam auf über das Unverständnis der älteren Generation, die größtenteils ein gesichertes Leben und Einkommen hat und für die der Lockdown nicht ein kompletter Verlust der Perspektiven und Träume bedeutete.
Statt Unbeschwertheit besteht eine Grundskepsis
Doch ich erinnere mich auch an die Verbundenheit, die uns trotz der physischen Distanz durch unser gemeinsames Leiden einte. Auch bei eisiger Kälte traf man sich draußen, verabredete sich in virtuellen Räumen, um sich nah zu fühlen. Den wenigsten ging es gut, aber immerhin teilten wir die einengende Situation. Wir hielten uns an die Beschränkungen, doch wenn wir es nicht mehr aushielten, trafen wir uns getestet im kleinen Kreis und genossen die körperliche Anwesenheit der engsten Freund*innen. Oft war es ein Abwägen zwischen dem Risiko, die körperliche Gesundheit zu gefährden, oder die psychische. Da wir auch an Geburtstagen keine Ausnahme machen konnten, mussten wir kreativ werden. Manche organisierten eine Schnitzeljagd, ein anderes Mal stellten wir uns mit zwei Meter Abstand auf die Straße vor das Fenster eines gemeinsamen Freundes und sangen ihm ein Geburtstagslied. In diesen Momenten waren wir uns wieder nah, trotz der Distanz.Was fehlte war die Ausgelassenheit, die Vorfreude aufs Leben. Die ist leider auch nach dem Lockdown nicht mehr vollständig zurückgekommen. Es ist, als wäre an die Stelle des Grundvertrauens, eine Grundskepsis getreten. Ich habe kein Vertrauen mehr, dass alles auch so funktionieren wird, wie ich es mir vorstelle. Was uns genommen wurde, ist die Sicherheit und Zuversicht in unsere Zukunft, die ohnehin schon fragil ist, da wir mit der Gewissheit aufwuchsen, dass unser Planet an einem gefährlichen Kipppunkt steht. Und obwohl das alle wissen, scheint es oft, als müsste meine Generation die Erwachsenen immer wieder auf die Handlungsnotwendigkeit hinweisen.
Während der Pandemie wurde viel über Generationensolidarität gesprochen. Besonders zu Beginn wurden junge Menschen aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen und die große Mehrheit hat das auch getan. Doch wer übernimmt die Verantwortung für unsere Zukunft, die der jungen Generation, die teilweise bei Wahlen, wie zum Bundestag erst ab 18 Jahren, stimmberechtigt ist?
„Was vom Lockdown übrigbleibt, ist ein dumpfes Gefühl bei den Gedanken an die Zeit der Ungewissheit und eine neue Gewissheit, dass Dinge oft anders kommen, als man sie sich ausmalt.“
Luka Leonhard
Eine ungewisse Zukunft
Auch wenn die Coronapandemie eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft offenkundig macht, zeigt sich auch, wie schnell wir uns anpassen können und dass radikale Maßnahmen von Regierungenumgesetzt werden, wenn die Bedrohlichkeit für unsere Existenz und der Ernst der Lage es erfordern.Wir alle haben gespürt wie vulnerabel unsere Gesellschaft ist, und wie unumgänglich der soziale Zusammenhalt. Wir alle mussten mit unerwarteten Veränderungen umgehen, jede*r musste mit sich allein Zeit verbringen, und am Ende, so bin ich überzeugt, haben die meisten wohl realisiert, dass soziale Kontakte unersetzlich bleiben.
Mittlerweile haben die Tore der Schulen und die der Universitäten wieder geöffnet, viele Menschen sind im letzten Sommer wiederverreist und man kann wieder in Bars und Ausstellungen gehen. Die Maske hat man routiniert dabei. Was vom Lockdown übrigbleibt, ist ein dumpfes Gefühl bei den Gedanken an die Zeit der Ungewissheit und eine neue Gewissheit, dass Dinge oft anders kommen, als man sie sich ausmalt. Ich habe gelernt, flexibel zu sein, meinen Plan zu ändern oder gar nicht erst zu weit in die Zukunft zu denken. Und wenn ich es doch tue, dann mit der Hoffnung, dass wir gemeinsam auch andere Krisen bewältigen können, wenn wir nur den Mut haben, sie ernst zu nehmen und sie entschlossen anzugehen.