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Durch Dialog zur Gleichstellung der Geschlechter

Equal Community Foundation, Pune
Equal Community Foundation, Pune

Die Abschaffung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in Indien wird durch das immer noch als dominantes Organisationsprinzip vorherrschende Patriarchat erschwert. Jedoch führen Aufklärungsinitiativen aktiv zum Wandel in den gesellschaftlichen Perspektiven und zur Anerkennung  und Diskussion des Problems in größeren Kreisen. Christina Furtado, Leiterin von Equal Community Foundation, einer Nicht-Profit-Organisation, bezieht Jungs in den Dialog über Gleichstellung der Geschlechter ein, um die Diskriminierung von Frauen zu bekämpfen. Ein Gespräch.

Die Kultur und Religionen in Indien sind in allen Bereichen von der Ungleichheit der Geschlechter durchdrungen. Wie  einfach bzw. kompliziert ist es, verschiedene Gemeinschaften an der Diskussion zu beteiligen?

Geschlechterungleichheit entstammt dem Patriarchat, das in fast jedes Gesellschaftssystem eingedrungen ist, sei es Religion, Nationalität, Ethnizität, Kaste, Schicht, o. Ä. Bisher hat man diese Ungleichheit als „Frauensache“ betrachtet und auch irrtümlicherweise als eine „Männer gegen Frauen“-Angelegenheit. Im Allgemeinen ist es – ungeachtet der Kaste, Schicht oder des Glaubens – immer eine Herausforderung gewesen, Geschlechtergleichheit zu einer Priorität in einer Gemeinschaft zu machen, besonders wenn man Jungen in den Dialog einbeziehen will, um sie zu einem Teil der Lösung zu machen.

Unsere Organisation legt den Schwerpunkt auf die Beteiligung von Jungen in einen strukturierten Prozess, damit sie Geschlechternormen identifizieren, in Frage stellen und verändern. Und wir haben festgestellt, dass, wenn sich die Jungen beteiligen und Konzepte wie Menschenrechte und Gender kennenlernen und reflektieren, sie in der Lage sind, Diskriminierung und Gewalt leichter erkennen, was sie ihre eigene Einstellung und ihr eigenes Verhalten überdenken lässt. Während die Einführung solcher Initiativen einerseits eine Herausforderung darstellt, wird die gesellschaftliche Unterstützung umso stärker, je mehr sie an Bedeutung gewinnen.

Die Aufklärung über Geschlechtergleichstellung sollte eigentlich im Primarbereich anfangen, aber bei solchen Themen hinkt das Bildungssystem in Indien hinterher.

Da ein Durchschnittskind wesentlich viel Zeit zu Hause und in der Schule verbringt, kann man sagen, dass Eltern und Schulen eigentlich eine aktivere Rolle bei der geschlechtergerechten Erziehung der Kinder spielen könnten.Wir haben einige exzellente Beispiele dafür, wie Schulen in diesen Prozess eingebunden werden können. Einige Modelle sind GEMS Maharashtra von CORO und ICRW, Taaron ki Toli von Breakthrough, GEMS Rajashthan von ICRW und „Transforming Men-talities“ von UNESCO und ECF. Diese Initiativen haben erfolgreich nachgewiesen, dass die Einbindung von Lehrern in den Prozess, ein auf Menschenrechten basiertes Curriculum und die Förderung kritischen Denkens sehr effektiv bei der Entwicklung von geschlechtergerechten Einstellungen in Kindern sind.

Kann die Übersorglichkeit der Eltern Kinder daran hindern, selbstständig zu werden und dadurch zu genderbezogenen Problemen führen?

Geschlechternormen spielen eine Rolle bei Geschlechterungleichheit in jeder sozialen Einheit – Familie, Peer-Groups, professionellen Gruppen, etc. Normen, die Frauen verdinglichen und den Umgang mit Attraktion auf ungeeignete Weise billigen, tragen zu sexueller Belästigung und anderen Formen der Gewalt bei. Genauso tragen Normen, die die Ehre einer Familie mit den Mädchen in Verbindung bringen und der Vorstellung Glauben schenken, dass „Männer die Ehre einer Familie durch Gewalt an deren Frauen rauben können“,  auch dazu bei, wie und warum Eltern ihre Töchter zu „beschützen“ versuchen.
Uns geht es darum, unter Jungen das Bewusstsein dafür zu erhöhen, wie Normen von der Gesellschaft geschaffen werden und wie sie verändert werden können. Wir fokussieren darauf, Jungen erkennen zu lassen, dass Gewalt gegen Frauen nichts Natürliches ist , sondern etwas Angelerntes, was patriarchalischen Normen entspringt, und dass die Normen, die Menschenrechte verletzen, verändert werden können und müssen.

Die Polizei in PCMC (einem Stadtteil von Pune) hat neulich an 18 Polizeidienststellen einen Workshop organisiert, wo 234 wegen Sexualdelikten angeklagte Minderjährige beraten wurden. Das war zwar eine einzigartige Initiative, aber es gibt wenige Maßnahmen in Pune, Jungen zu beraten und ihnen den Unterschied zwischen Männlichkeit und Gewalt klar zu machen.
 
Es stimmt, dass es nicht genug strukturierte Versuche gibt, Jungen in gender-transformative Programme einzubeziehen, und dass einzelne Beratungsmaßnahmen vielleicht nicht reichen, um Einstellungen und Verhaltenweisen zu verändern. Aber solange wir die Auswirkung vom Partiarchat auf unser Leben zur Sprache bringen, ist auch so ein kleiner Schritt ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich müssen wir mehr Gelegenheiten für Jungen schaffen, um ihnen zu zeigen, wie das Patriarchat ihre Einstellungen und ihr Verhalten prägt, damit sie merken, dass sie nicht auf natürliche Weise zu Gewalt und Diskriminierung neigen, sondern dass sie die Wahl haben, auf eine konstruktive Art und Weise Ärger und Attraktion auszudrücken bzw. mit Zurückweisung fertig zu werden.

Wie sollte man die steigende Verletzlichkeit in der Jugend angehen?
 
Im Allgemeinen ist die Verletzlichkeit der Jugend ein breites Thema. Wir stecken gerade in einer kritischen Phase durch die zunehmende Einflussnahme von sozialen Medien, Streaming-Plattformen, Druck von Influencern usw. Die Jugend ist mit einer anderen Art von existentieller Krise konfrontiert, wobei sie versucht, traditionelle Werte und die Zwänge der sozialen Medien abzuwägen, ihre wahre Identität inmitten dieser Konsumkultur zu entdecken.

Die Lösung jedes sozialen Problems bedarf der gemeinsamen Anstrengung mehrerer Akteure. Rohini Nilekani (eine der führenden Philanthropinnen Indiens) hat den Rahmenplan von Samaaj, Sarkar und Bazaar formuliert, der zum Nachdenken über diesen Prozess des sozialen Wandels anregt.

Als Teil von Samaaj müssen Familie, das Bildungssystem und Nicht-Profit-Organisationen gendergerechte Normen unter Jugendlichen fördern und ein gesundes Umfeld für Dialog schaffen, damit sie über soziale Stimuli und Verhaltensmöglichkeiten reflektieren.

Als Teil von Sarkar muss der Staat eine Gesetzgebung fördern, die genderungerechte Normen in Frage stellt, besonders in Zusammenhang mit Elternzeit, unbezahlter Pflegezeit, usw.

Und Bazaar sollte, anstatt blinden Konsumerismus zu fördern, durch Medienkampagnen und  Arbeitnehmer- und Beschäftigungsrichtlinien die Verantwortung für die Förderung von Geschlechtergleichheit übernehmen.

Wie erfolgreich kann man die Jugend aus der ländlichen Umgebung von Pune, wo das Bewusstsein für Gendergerechtigkeit begrenzt ist, in die Programme einbeziehen?
 
Angesehene Organisationen wie MASUM und SAMYAK bemühen sich aktiv um die Beteiligung von Jugendlichen im Großraum Pune an Dialogen über Geschlechtergleichheit. Diese Organisationen legen Wert auf eine gender-transformative Herangehensweise, die über Sensibilisierung und Aufklärung hinaus bis zur Veränderung von Gerndernormen geht. Für diese Arbeit ist mehr Geld erforderlich. Über 60% der CSR-Gelder fließen in Bildung und Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Wenn diese Initiativen eine gender-transformative Komponente enthalten würden, würden sich die Normen bezüglich Arbeitsteilung im Haushalt, Duldung von häuslicher Gewalt und Normalisierung von sexueller Belästigung ändern und folglich würde sich der Frauenanteil am Arbeitsmarkt erhöhen.

Was für Veränderungen haben Sie in Einstellung und Temperament  der Teilnehmer an den Gender-Equality-Programmen gemerkt?

Seit 2009 führen wir ein strukturiertes gender-transformatives Programm für heranwachsende Jungen aus Gemeinschaften mit niedrigem Einkommen. Wir haben gemerkt, Jungen reagieren extrem positiv auf das Menschenrechtskonzept. Und die Entwicklung von kritischem Denken und Kommunikationsfähigkeit im Laufe des Programms führt dazu, dass sie auch den Mut und die Fähigkeit entwickeln, ihr Verhalten zu verändern. Nach dem Start des Programms fangen Jungen an, sich am Haushalt zu beteiligen, befürworten das Recht ihrer Schwestern auf Bildung, ihre Kommunikation mit Familienangehörigen verbessert sich und sie konzentrieren sich mehr auf ihr Studium. Es ist uns auch aufgefallen, dass sich ihr Umgang mit Mädchen ändert und sie von sexueller Belästigung Abstand nehmen. Auf der Gemeinschaftsebene haben unsere ehemaligen Teilnehmer Kampagnen gegen Kinderheirat durchgeführt und auch Aufklärungskampagnen gegen Drogensucht und Tabuisierung der Regelblutung und sie intervenieren auch im Falle von familiärer Gewalt.

Christina Furtado © ECF - Pune Christina Furtado (Leiterin Equal Community Foundation) ist seit 2015 mit der Equal Community Foundation verbunden. Sie engagiert sich leidenschaftlich für die ECF-Mission "Every Boy in India to be Gender Equitable" (Jeder Junge in Indien soll geschlechtergerecht erzogen werden). Derzeit konzentriert sie sich auf die Leitung einer besonderen  ECF-Aufgabe: Dabei soll der Ansatz skaliert werden, der Jungen in geschlechtertransformative Programme in ganz Indien einbindet.

Die Equal Community Foundation wurde 2009 von Will Muir und Rujuta Teredesai gegründet und hat in den letzten zehn Jahren ihr Vorzeigeprogramm für Jungen, Action for Equality, in Pune, Maharashtra, umgesetzt. ECF hat außerdem die Kapazitäten von über 50 Organisationen in ganz Indien aufgebaut, um ähnliche Programme für Jungen zu implementieren. Zuletzt war ECF der technische Partner für den Aufbau von Kapazitäten für das ICRW-Programm "Gender Equality Movement in Schools" in Rajasthan und für das UNESCO-India-Programm "Transforming Men-talities" für CBSE-Schulnetzwerke in Indien. 

Bevor sie zu ECF kam, promovierte Christina an der University of Illinois in Urbana-Champaign und hatte Positionen in der akademischen Verwaltung an der Brown University in Rhode Island und der FLAME University in Indien inne.

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