Berlinale Premiere
Indien ist mit vielfältigen Beiträgen dabei
Die erste Berlinale nach der Pandemie zeigt sich sowohl persönlich als auch politisch. Die Beiträge aus Indien zeichnen sich durch eine hohe Vielfalt aus: Das Themenspektrum reicht von Widerspruch bis hin zur ersten Liebe.
Von Prathap Nair
Der rote Teppich ist ausgerollt, die Scheinwerfer sind an und die Paparazzi machen sich bereit, dem frostig-kalten Berliner Februar zu trotzen. Schließlich eilen gerade zahlreiche Stars und Sternchen in die Stadt, um bei der Berlinale dabei zu sein. Kein anderes Ereignis hat man diesseits des Atlantiks derart sehnsüchtig erwartet. Nun ist die Berlinale da und läutet gleichzeitig auch den Beginn der Filmfestivalsaison in Europa ein.
BEITRÄGE AUS INDIEN: EIN KURZÜBERBLICK
Die Coronabeschränkungen fallen weg, dennoch hinterlassen geopolitische Spannungen auch auf diesem Festival ihre Spuren, allen voran der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie der Volksaufstand im Iran. Die Berlinale ist bekannt dafür, stets zu politischen Themen Stellung zu nehmen, und so tauchen die Ukraine und der Iran auch mit vielen Filmen und Dokumentationen auf dem Programmplan auf. Auch Indien ist auf diesem berühmten europäischen Filmfest stark vertreten. Neben zahlreichen Filmen und Dokumentationen läuft der Klassiker Aparajito – Der Unbesiegbare von Satyajit Ray in der Rubrik Retrospektive.IRAN BIS INDIEN
Der vielleicht wichtigste Beitrag zur diesjährigen Berlinale aus Indien handelt jedoch gar nicht von Indien. Das Filmdebüt von Sreemoyee Singh And, Towards Happy Alleys das in der Sektion Panorama Dokumente gezeigt wird, ist eine Ode an den Frieden und den Widerspruch aus der Perspektive feministischer Dichter*innen und Filmemacher*innen im Iran. Singh war für diesen Film in den Iran gereist, um dort die Bereiche Dichtung und Film zu erkunden. Herausgekommen ist ein berührendes Porträt eines Landes, in dem massive Zensur und die Unterdrückung menschlicher Grundrechte an der Tagesordnung stehen.In And, Towards Happy Alleys kommen Regimekritiker wie die bekannten Filmemache Jafar Panahi und Mohammad Shirvani zu Wort. Panahi, der im Juli 2022 vom Regime inhaftiert wurde, wurde erst vor kurzem nach einem längeren Hungerstreik wieder entlassen.
Neben Singhs Dokumentation läuft im Bereich Panorama mit Ghaath (Ambush – „Hinterhalt“) von Chhatrapal Ninawe ein weiterer indischer Beitrag. Der Film war zuvor aus der Reihe Panorama 2021 zurückgezogen worden, nachdem die Produktionsfirma des Films, Jio Studios, den Beitrag offiziell zurückgezogen hatte. Ghaath ist demzufolge zwar kein Festivalbeitrag mehr, Ninawe hat jedoch inzwischen andere Produzenten gefunden, so dass der Film in diesem Jahr in der Sektion Panorama gezeigt werden kann.
Ghaath wurde in der Sprache Marathi gedreht und spielt im tiefen Dschungel Zentralindiens, wo sich die Naxaliten und maoistischen Guerillas im ständigen Kampf mit den Streitkräften der Regierung befinden. Der Film mit Jitendra Joshi, Milind Shinde, Suruchi Adarkar, Dhananjay Mandaokar und Janardan Kadam in den Hauptrollen ist die Geschichte eines „betrunkenen Polizisten, eines Informanten und einer demoralisierten Guerilla.“ Mit Blick auf den Guerillakonflikt und die systemische Apathie des Staates bringt uns Ghaat einen weitgehend unbekannten Bürgerkonflikt im ländlichen Indien näher.
ERSTE LIEBE – MIT GRÜSSEN AUS BOLLYWOOD
Im Gegensatz zu den eher schweren Themen der Panorama Sektion bietet das Aatmapamphlet („autobiografisches Pamphlet“) in der Sparte Generation 14plus eine Coming-Of-Age-Lovestory im Indien der 1990er Jahre vor dem Hintergrund der allgegenwärtig spürbaren Globalisierung. Der von Ainash Bende auf Marathi gedrehte Film Aatmapamphlet ist eine Hommage an die erste Liebe, die nicht zuletzt dank Bollywood für immer in der indischen Psyche verankert ist. Obwohl der Film als Komödie angekündigt wird, liefert er auch unmissverständliche Zwischentöne, etwa Kommentare zu den Themen Kaste und Religion, jenen beiden bedeutenden Aspekten des Alltags im ländlichen Indien.Im Bereich Forum ist Priya Sens Film No Stranger At All („Überhaupt kein Fremder“) zu sehen, eine Meditation über ein Delhi, die den Schnittpunkt zwischen dem „Aufkommen des Faschismus in Indien und der globalen Pandemie“ zeigt. Inmitten der Wirrungen der Covid-19-Pandmie verbrachte Prija Sens zwei Jahre in der Stadt. Ihre hier entstandene Dokumentation nennt sie „unvollständige Fiktionen der Menschen, Orte und Proteste, die sich gegen die Sprache des Hasses stellen und Trauer und Euphorie der Stadt gleichermaßen zum Ausdruck bringen.“
Zu den weiteren bemerkenswerten Beiträgen aus Indien zählt in diesem Jahr auch Aparajito, der zweite Film der zeitlosen Apu Trilogie von Filmlegende Satyajit Ray. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der sich mit der Modernisierung und dem zunehmend verbreiteten westlichen Lebensstil in der indischen Gesellschaft konfrontiert sieht.
ONLINE-SERIEN IM FOKUS
Nachdem Reema Katgi und Zoya Akhtar bereits 2019 mit ihrem Blockbuster Gully Boy für ordentlich Rummel im Festivalpalast der Berlinale gesorgt haben, kehren sie nun mit der TV-Serie Dahaad (Roar - „Gebrüll“) zurück. Mit bekannten Namen wie Sonakshi Sinha, Vijay Varma, Gulshan Devaiah und Sohum Shah ist Dahaad die erste indische TV-Serie, die in dieser Sektion Premiere feiert und eine Chance auf den Berlinale Series Award hat.Eröffnet wird die Berlinale am Donnerstag, 16. Februar im Berlinale Palast mit She Came To Me, einem als „kluge Komödie“ angekündigten Film von Rebecca Miller mit Peter Dinklage, Marisa Tomei, Joanna Kulig, Brian d’Arcy James und Anne Hathaway.
Freuen wir uns also auf die Vielfalt des Filmangebots der diesjährigen Berlinale! Wir begleiten das Festival für Sie nicht nur mit Rezensionen der hier gezeigten indischen Filme, sondern liefern auch Interviews mit vielen spannenden Kreativen, die zu deren Entstehung beigetragen haben.
Über den autor
Der freie Kulturjournalist Prathap Nair lebt in Düsseldorf und berichtet für namhafte indische Medien über die Berlinale.