Berlinale-Blogger*innen 2023
Blick zurück in Liebe und Zorn
Zerbrechliche Kindheit, stürmische Liebe und Jugend am sozialen Brennpunkt – deutsche Filme zeigen sehr verschiedene Bilder der Vergangenheit.
Von Philipp Bühler
Siebziger, Achtziger, Neunziger und das Beste von heute – nach dem Motto schlechter Musikradios kann man auf dieser Berlinale ziemlich gut durch die Jahrzehnte reisen, nicht zuletzt in deutschen Filmen. Sonja Heiss‘ schöner Coming-of-age-Film Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (Generation) – nebenbei auch ein toller Berlinale-Titel, immer passend – beginnt in den westdeutschen 1970er-Jahren. Nicht jeder wächst auf dem Gelände einer psychiatrischen Heilanstalt auf, wie der kleine Arztsohn Josse – und wie der Autor, Regisseur und vielfach preisgekrönte Schauspieler Joachim Meyerhoff, auf dessen Bestseller-Romanen der Film beruht. Aber für den Filmjungen Josse ist das normal, und der Blick auf die psychisch Kranken im Film nicht weniger zärtlich. Dann bricht alles zusammen, aus ganz anderen Gründen. Josse erlebt Trauer, erste Liebe und Verluste – man nennt es wohl Erwachsenwerden.
Einen eher verträumten Blick zurück wirft auch Emily Atef in Irgendwann werden wir uns alles erzählen (Wettbewerb), ein Liebesdrama aus dem deutschen Wendesommer 1990. Der Bezug zu historischen Umständen ist marginal, aber durch Atefs lichtdurchflutete Bilder einer ostdeutschen Landidylle weht zumindest der Geist des Aufbruchs. Bemerkenswert sind weniger die etwas schablonenhafte Dialoge und Kommentare zu den Zeitumständen („Jetzt regiert das Geld, die D-Mark!“) als einige robuste Sexszenen zwischen der 18-jährigen Maria und dem doppelt so alten Henner. Die Lust am Verbotenen, am Spiel mit Kontrolle und Unterwerfung kratzt an Tabus.