Dokumentarfilm
Sehnsuchtsvolle Melodien aus einem zerrissenen Land

And, Towards Happy Alleys
© Berlinale

Sreemoyee Singhs Film And, Towards Happy Alleys ist ein Liebesbrief an den Iran und seine Menschen. Er verleiht dem Slogan der Protestbewegung, Women, Life, Freedom, zusätzlichen Ausdruck.

Von Prathap Nair

Sreemoyee Singh, Regisseurin des ist Singh mit Spannung erwarteten Dokumentarfilms And, Towards Happy Alleys, findet selbst nur schwer eine Antwort auf die Frage, warum sie den Iran zum Thema ihres Dokumentarfilmprojekts gemacht hat. Ihr Film, der bei seiner Premiere auf der 73. Berlinale mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, hat sich auf Anhieb zu einem der Publikumslieblinge des diesjährigen Festivals entwickelt.

„Gibt es eine vernünftige Erklärung dafür, warum wir uns verlieben? Die gibt es nicht. Und genau das ist mir mit dem persischen Film passiert“, bekennt sie. „Damals war ich 21 Jahre alt und wusste nicht, dass man das Gefühl des Verlangens so in Worte fassen kann. Das habe ich von Forugh gelernt.“ Damit meint sie die feministische persische Dichterin Forugh Farrokhzad. Inspiriert vom iranischen Film und von Dichter*innen wie Farrokhzad schrieb Singh eine Doktorarbeit zum iranischen Film, reiste in den Iran, lernte Persisch und drehte einen Dokumentarfilm, in dem sie verschiedenen Themenstränge miteinander verknüpfte.

Das Ergebnis And, Towards Happy Alleys ist Singhs Liebesbrief an den Iran, seine reiche Kultur und sein unterdrücktes Volk, dem zahlreiche künstlerische Ausdrucksformen verwehrt bleiben. Der Film springt in 75 Minuten mühelos von einem Thema zum nächsten und gewährt kleine Einblicke in das Leben der Menschen, die der Welt sonst verschlossen bleiben.

Frauen, Leben, Freiheit

In den kurzen Momenten, in denen die Protagonist*innen von den Fesseln der Zensur befreit sind, öffnen sie sich der Filmemacherin – sogar vor dem forschenden Blick ihrer Kamera. Jafar Panahi spricht von Selbstmordgedanken, Mohammad Shirvani von den Gefahren der Selbstzensur. Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotoudeh berichtet von ihren Auseinandersetzungen mit der Gefängnisverwaltung über das Tragen des Tschador. Die inzwischen erwachsene Schauspielerin aus Panahis Spielfilmdebüt Der weiße Ballon, Aida Mohammadkhani erzählt von Konflikten mit den Behörden, die brutal über die Einhaltung der Kleiderordnung für Frauen wachen.

Singh hatte nach eigenen Angaben große Bedenken, die Menschen durch ihre offene Aussagen für das Projekt in Lebensgefahr zu bringen. Also hat sie vorgesorgt. „Ich habe Panahi und Nasrin zu Hauptfiguren gemacht, weil sie sich nicht zum ersten Mal öffentlich kritisch geäußert haben. Viele Protagonist*innen des Films sind außerdem nicht mehr im Iran, denn seit Beginn der Unruhen verlassen die Menschen das Land“, erklärt sie.

In der Anfangsszene des Films spielt Panahi einen Taxifahrer, der Singh durch Teheran fährt. Dabei berichtet der Regisseur, der sich selbst nach eigenen Angaben niemals als politischen Menschen betrachtet hat, von seiner Überzeugung, in Zeiten gesellschaftlicher Unruhen nicht abseits stehen zu können, sondern die Entwicklungen in seinem Werk portraitieren zu müssen. Denn schließlich seien Filme ein Spiegel der Gesellschaft.

Im Mekka der Nasenoperationen

Der Film behandelt eine Vielzahl von Themen, die von künstlerischer Freiheit bis hin zu Nasenoperationen reichen. Singh trifft Frauen, die sich für eine Nasenkorrektur entschieden haben. Im Film wird der Iran „als Mekka der Nasenoperationen“ bezeichnet. In einer Gesellschaft, die ihre Frauen dazu zwingt, ihr Gesicht zu bedecken, sodass von ihnen nicht mehr als eine homogene Masse schwarz verschleierter bewegter Objekt übrig bleibt, gehen die Meinungen über das Tragen des Hidschab noch immer weit auseinander. Eine junge Schriftstellerin sagt, die Freiheit, das Kopftuch zu tragen, sei genauso wichtig wie die Freiheit, darauf zu verzichten. Die Entscheidung müsse den Frauen überlassen werden.

Die Empörung über die ständige Überwachung war in der iranischen Gesellschaft immer zu spüren. In einer Szene wird Singh bei Dreharbeiten auf der Straße von einem etwa zehn Jahre alten Jungen laut zurechtgewiesen: „Warum trägst du deinen Hidschab nicht auf dem Kopf?“ Singh ist sich bewusst, dass solche Szenen beim Publikum ein mulmiges Gefühl hinterlassen. Sie gibt offen zu, dass der Film inzwischen eine beklemmende Wirkung auf sie hat. „Ich hatte ständig ein Eindruck, verfolgt zu werden“, gesteht sie.

Ständige Überwachung

In einer nahezu dystopischen Gesellschaft, die ihre Bevölkerung unter ständige Überwachung stellt, gibt es kleine Räume der Freiheit. „Forughs Grab außerhalb der Stadt ist ein zentraler Treffpunkt. Die Menschen verweilen dort, sie singen gemeinsam und zünden Kerzen an. Dort können sie den wachsamen Augen der Sittenpolizei für einen Moment entfliehen“, berichtet die Filmemacherin.

Singh spricht fließend Farsi. Dadurch – vor allem aber auch, weil sie singt – öffnen sich ihr Türen, die ihr ansonsten verschlossen blieben. Frauen dürfen im Iran nicht öffentlich auftreten, doch Singh ist als Ausländerin von dieser Regelung ausgenommen. Sie singt im privaten Kreis und besucht Mädchenschulen, um die Schülerinnen zum gemeinsamen Singen zu ermutigen.

Singhs eigene Stimme gehört damit zu den eindrucksvollsten Stimmen des Films. „Ich habe in einem Wohnheim in Teheran gelegt. Meine Zimmergenossinnen kochten für mich, ich sang für sie. Über die Texte der Lieder habe ich Farsi gelernt“, berichtet sie.

Die Pausen zwischen Singhs Gesang und den von Schriftstellerin Jinous Nazokkar rezitierten Versen Forugh Farrokhzads sind von sehnsuchtsvollen Melodien erfüllt. Nach dem Film hallen diese Stimmen noch lange in den Köpfen der Zuschauer*innen nach, auch wenn sie schon längst in ihre eigenen Gesellschaften zurückgekehrt sind. Darin liegt das Erfolgsgeheimnis der Filmemacherin Sreemoyee Singh: Sie präsentiert der Welt diese Stimmen in einer Zeit, in der sie besonders dringend Gehör finden müssen.
 

Über den autor

Der freie Kulturjournalist Prathap Nair lebt in Düsseldorf und berichtet für namhafte indische Medien über die Berlinale. 

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