Künstlerresidenzen
Refugium oder Katalysator?

Atelier Assaf Gruber
Atelier Assaf Gruber | © Georg Schroeder /Künstlerhaus Bethanien

Künstlerresidenzen sind begehrt wie nie – die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber steigt jährlich. Stipendienprogramme ermöglichen Zeit, Raum und Ressourcen zum Denken, Arbeiten, Netzwerken und Leben.

„Deutschland ist das Land, in dem es die höchste Dichte an Künstlerresidenzen gibt. Manche bestehen bereits seit Langem, andere sind neu dazugekommen“, erklärt Jean-Baptiste Joly. Er ist Direktor eines der gefragtesten hiesigen Künstlerhäuser – der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. „Im Gegensatz zu Museen und Theatern, für die es eher einheitliche Spielregeln gibt, können Fördermaßnahmen in einer Künstlerresidenz die unterschiedlichsten Formen annehmen. Das stellt einen immensen Reichtum dar.“

Kapazität, Know-how und Potenzial der 1990 eröffneten Akademie Schloss Solitude sind beispielgebend. Davon zeugen über 3.000 Bewerbungen für die 2015 abgeschlossene Auswahlrunde. Das mag zum einen an der erstmals komplett möglichen Online-Bewerbung liegen. Vor allen jedoch an den attraktiven Bedingungen, hebt Joly hervor: Übernahme der Reisekosten, freies Logis, Stipendien von drei bis zwölf Monaten, Projektförderung, aber auch ein enges Netzwerk der ehemaligen Stipendiaten. Die von Zuwendungen des Landes Baden-Württemberg getragene Stiftung Solitude stellt 45 Studios für Künstlerinnen und Künstler mehrerer Genres, Literaten, Musiker und Wissenschaftler zur Verfügung. Mehr als 1.200 Stipendiaten aus 110 Ländern fanden hier nicht nur ein Zuhause auf Zeit. Sie konnten auch an internationalen Diskursen, Ausstellungen und Vorträgen teilnehmen. Ein neues Webportal soll das noch besser vermitteln: Dazu wird ein zusätzliches Stipendium für Online-Journalisten, Web-Entwickler und -Designer ausgeschrieben. Bewerber sollten nicht älter als 35 Jahre sein oder ihr Studienabschluss nicht länger als fünf Jahre zurückliegen.

Rückzug möglich – Austausch erwünscht

Das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg dagegen lädt für das elfmonatige Aufenthaltsstipendium Komponisten, Literaten und bildende Künstler ein, die bereits ein originäres Werk entwickelt haben. Von einem Kuratorium werden jedes Jahr sechs deutsche und sechs Stipendiaten aus einem anderen Land vorgeschlagen – 2015/16 ist es Norwegen. Im Gegensatz zu vielen anderen Residenzprogrammen gibt es keine Verpflichtung, nach dem Aufenthalt ein konkretes Arbeitsergebnis vorzeigen zu müssen.

Idyllische Umgebung, königliche Schlossatmosphäre und moderne Ergänzungsbauten machen entspanntes, konzentriertes Arbeiten möglich. Die als Slam-Poetin bekannt gewordene Nora-Eugenie Gomringer, die das vom Freistaat Bayern finanzierte Haus leitet, sorgt für inspirierende Begegnungs- und Veranstaltungsaktivitäten, die auch die Region nachhaltig beleben. Neben der Förderung von Künstlern, dem Austausch zwischen Stipendiaten unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und verschiedener Medien, ist das eine wichtige Funktion von Residenzprogrammen.

Das trifft sowohl für Künstlerhäuser in erbaulichen, abgelegenen Orten zu als auch für etablierte Institutionen in einer Metropole wie Berlin. Hier arbeitet das Künstlerhaus Bethanien schon seit Mitte der 1970er-Jahre, das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, das sich ausschließlich an ausländische Künstler richtet, sogar schon seit 1963. Viele der bisher über 1.000 eingeladenen Künstler haben zum internationalen Ruf Berlins als angesagtem Ort zeitgenössischer Kunst beigetragen. Nicht wenige sind sogar in der Stadt geblieben.

Ein Plus in jeder Künstlerbiografie

Etwa 40 Künstlerresidenzen gibt es in Deutschland. Neben Initiativen auf Zeit sind es vor allem von den Bundesländern oder Kommunen finanzierte Einrichtungen mit ganz unterschiedlichen Programmen.

Das 1995 gegründete Künstlerhaus Schloss Balmoral in der beschaulichen Kurstadt Bad Ems konzentriert sich speziell auf die Förderung bildender Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt. Es gibt keine Altersbeschränkung, Bewerber müssen Arbeitsproben einschicken, die eine Fachjury begutachtet. Jährlich steht entweder nur ein Medium oder ein Thema im Mittelpunkt: „Dada“ heißt es 2015. Diese Fokussierung bringe die Stipendiaten intensiver ins Gespräch, sagt Dr. Oliver Kornhoff, der als Direktor des Arp Museums Bahnhof Rolandseck zugleich künstlerischer Leiter von Balmoral ist. Damit Ruhe und Entschleunigung nicht zur Vollbremsung werden, baut er überregionale Kontakte aus. Es gibt einen Ausstellungsraum in der Innenstadt und außerdem Abschlussausstellungen im Arp Museum. Dazu wurde eigens ein Kuratoren-Stipendium geschaffen.

Das mehr als 120 Jahre alte denkmalgeschützte Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop an der Ostsee vergibt vor allem einmonatige und Workshop-Stipendien – insbesondere für familiär oder durch Arbeit gebundene Künstlerinnen und Künstler bieten sich diese kürzeren Zeiträume an. Im Programm European Media Artists in Residence Exchange (EMARE) der in Halle an der Saale ansässigen Werkleitz Gesellschaft, eine der ältesten Residenzen für Medienkunstproduktionen weltweit, ist die Anwesenheitspflicht hingegen unerheblich. Das EMARE-Programm unterstützt vor allem Medienkunstproduktionen und die Vernetzung verschiedener europäischer und internationaler Institutionen.

Residenzstipendien sind gefragt wie nie und werden immer wichtiger: Sie fördern nicht nur eine Vielfalt von künstlerischen Positionen, sondern tragen zu einem grenzüberschreitenden Kulturaustausch bei. Nicht zuletzt sind sie ein Plus in jeder Künstlerbiografie.

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