Die Politik des menschlichen Körperdufts
Meine aktuelle künstlerische Praxis untersucht das ästhetische Potenzial von Körperdüften durch performative olfaktorische Experimente, die sich kritisch an Laborpraktiken der menschlichen Geruchswahrnehmung der Psychologie und den Neurowissenschaften orientieren. Mit dem Begriff Körperduft ist das gesamte Spektrum menschlicher Körpergerüche, wie sie im Alltag vorkommen, gemeint. Körperdüfte können eher natürlich sein sowie mehr oder weniger durch hinzugefügte Produkte wie Duschgel, Rasierwasser, Ätherische Öle usw. verändert. Insgesamt beeinflussen alle Aktivitäten (z.B. Arbeiten, Sport treiben, Rauchen usw.) unseren Körperduft.
Von Lauryn Mannigel
Mit meinen Kunstwerken möchte ich die Stigmatisierung von Körperdüften hinterfragen, indem sie Bewusstsein für die Vielfalt der menschlichen Körperdüfte schaffen und uns mit unseren Geruchsurteilen konfrontieren. In meinen vorherigen Projekten "Love Sweat Love" (2016), "Eat Me" (2018) und "Smell Feel Match" (2019), habe ich die Teilnehmer*innen eingeladen, den Körperduft der anderen Teilnehmer*innen zu riechen, sowie ihre gefühlten Erfahrungen mittels Fragebögen aufzuzeichnen.
Indem wir das Bewusstsein über unsere eigenen Gefühle und möglichen Urteile über die Körperdüfte anderer erforschen, durchlaufen wir einen Reflexionsprozess, der uns erlaubt unsere Gefühle verstehen zu können. Des Weiteren ermöglicht uns dieser Prozess zu erkennen, dass wir unsere gefühlte Wahrnehmung von den Körperdüften anderer beeinflussen können. Meine Arbeit ist daher ein Versuch, unsere Wahrnehmung aktiv zu betrachten. In dieser Hinsicht folgt sie der Idee des Philosophen Alva Noë: “[P]erception is not something that happens to us, or in us [but] is something we do” (Übersetzung der Autorin: Wahrnehmung ist nicht, was uns widerfährt oder in uns passiert, sondern etwas, was wir tun, Noë, A 2004, Action in Perception). Unsere Wahrnehmung des*r anderen wird durch unser Verständnis und unser Werturteil über unsere Welterfahrung beeinflusst. Deshalb betrachte ich Körperdüfte, und mehr noch unsere Wahrnehmung dieser, als ein politisches Instrument.
Gerüche sind kraftvoll, weil sie unser Unterbewusstsein direkt berühren und uns auf unser ungefiltertes und unzensiertes Selbst aufmerksam machen. Damit wir Gerüche wahrnehmen können, müssen sie unseren Körper durchdringen. Dies ist ein physischer Akt. Zudem spielen Körperdüfte eine wichtige Rolle in unserem Sozialleben, weil wir uns durch die Art und Weise, wie wir riechen, unbewusst und bewusst gegenseitig beeinflussen.
Als ich mich für die bangaloREsidency bewarb, schlug ich vor, Ideen im Zusammenhang mit Prozessen des „Othering" zu erforschen. Im Zuge dessen stellte ich mir vor, die Gefühle, die möglichen Annahmen und die Urteile, die Menschen in Bezug auf die Körperdüfte „Anderer“ fällen, zu untersuchen. Ich verstehe das Konzept des „Othering" als eine Form der sozialen Ausgrenzung, die auf der Annahme beruht, dass eine Person oder Gruppe als „anders" wahrgenommen und daher nicht als Teil der eigenen sozialen Gruppe betrachtet wird.
Nach meiner Ankunft in Bangalore begann ich zunächst zu untersuchen, wie Menschen ihre Umwelt durch Geruch wahrnehmen und konstruieren. Diskussionen mit Suresh Jayaram des Kunstraumes 1 Shanthi Road dies bezüglich waren entscheidend und wegweisend. Hierfür forschte ich zum einen nach Titeln zeitgenössischer akademischer Texte in der Kulturgeschichte des Geruchs. Zum anderen durchsuchte ich akademische Texte der Sozialwissenschaften, Psychologie und Neurowissenschaften zum Thema der sozialen Wahrnehmung des menschlichen Körpergeruchs.
Ich entdeckte das Buch Sandalwood and Carrion: Smell in Indian Religion and Culture (McHugh 2012), welches anhand von Sanskrit-Texten Einblicke in die Geruchswahrnehmung im vormodernen Südasien gibt. Hier werden Vergleiche zwischen hinduistischen, buddhistischen und jainistischen religiösen Praktiken in Bezug auf den Geruch angestellt. Der Autor zeigt auf, dass Urin, Leichen und Exkremente, die von Menschen stammen, sowie kranke Menschen im vormodernen Indien als übel riechend wahrgenommen wurden. Zu meiner Überraschung existiert zu beiden oben genannten Themen nur sehr wenig Literatur, sodass noch viel Raum für zukünftige Forschungen besteht. Zudem konnte ich bis dato noch keine zeitgenössischen akademischen Texte darüber finden, wie Menschen sich über ihren Körperduft wahrnehmen.
Zu Beginn meiner Künstlerresidenz setze ich mir als Ziel, die soziale Wahrnehmung des Körperdufts von Menschen, die in Bangalore leben, durch das olfaktorische Performance-Experiment Eat Me # 2 zu untersuchen. Während der Vorläuferperformance "Eat Me #1" wurden die Teilnehmer*innen dazu aufgefordert, sich eine Welt vorzustellen, in der wir andere mittels Geschmacks- und Geruchserfahrungen durch das Essen (retronasaler Geruch) erleben können.
Die Teilnehmer*innen bekamen ein Getränk und vier Snacks serviert, die auf menschliche Körperdüfte anspielten. Das Food-Design basierte hierbei auf Interviews, die ich an der Universität Wageningen geführt hatte. Dort, fragte ich Leute, ob sie sich vorstellen könnten, Körperduft zu essen, und wenn ja, welche Textur, welchen Geschmack und welche Farbe sie diesem zuschreiben würden.
Für "Eat Me #2" plante ich die Aromastoffe von menschlichen Körperdüften des alltäglichen Lebens chemisch zu reproduzieren, um im Anschluss Snacks und Getränke daraus zu schaffen. Um den Duft eines Individuums identifizieren zu können, müsste ich zunächst mit einer*m Wissenschaftler*in zusammenarbeiten, die*der mit der chemischen Analyse von Molekülen vertraut ist. Zweitens würde ich die Hilfe einer*s Aromatiker*in benötigen, um die Aromamoleküle der Körperduftproben zunächst identifizieren und dann in essbare Snacks umwandeln zu können.
Yashas Shetty, ein lokaler Künstler und der kreative Kopf hinter dem Art Science (BLR) des Srishti Institute for Art, Design and Technology, brachte mich in Kontakt mit der Chemieökologin Dr. Shannon Olsson des National Center for Biological Sciences (NCBS). Nach einem faszinierenden Gespräch mit ihr über die Geruchs-Kommunikation zwischen Insekten und Pflanzen sowie zwischen Menschen, stimmte sie zu, die chemische Analyse der Körperduftproben zu leiten. Als wir das Konzept meines Projekts sowie die Aspekte der Umsetzung diskutierten, kamen folgende Fragen auf: Von welchen Körperteilen sollten die Teilnehmer*innen ihren eigenen Körperduft sammeln und warum? Welche Materialien würden sich zur Aufnahme von Körperdüften eignen? Und vor allem, wessen Körperdüfte würde ich sammeln wollen?
Als Teil meiner Suche nach dem zu erforschenden Körperduft wollte ich zunächst verstehen, ob die Zuordnung von Menschen zu einer Kaste weiterhin eine Rolle in der indischen Gesellschaft spielt oder nicht. Daher vereinbarte ich ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Sobin George, einem Assistenzprofessor am Institute for Social and Economic Change. Er bestätigte, dass die Unterteilung der Gesellschaft in Kasten in den Köpfen der Inder*innen weiterlebe.
In Gesprächen mit Frauen in Bangalore erfuhr ich, dass der weibliche Körperduft stigmatisierter sei, als der von Männern. Angeknüpft an diese Aussagen richtete ich mein Projekt schließlich darauf aus, die soziale Wahrnehmung des Körperdufts von Frauen zu erforschen.
Für die Zukunft plane ich Gespräche mit mindestens fünf Frauen darüber zu führen, wie sie die Wahrnehmung ihres Körperduftes durch andere erfahren und wie sie ihren eigenen Körperduft wahrnehmen. Nach mehreren Versuchen, mit Frauen ein Gespräch zu diesem Thema zu eröffnen, bemerkte ich, dass Körperdüfte ein großes soziales Tabu darstellen.
Bisher konnte ich nur mit Frauen der Millenniumsgeneration über das Thema sprechen. Alle von ihnen durchliefen eine Hochschulausbildung. Darüber hinaus möchte ich meine zukünftigen Gesprächspartnerinnen bitten, ihren Körperduft zu sammeln. Mit meiner Projektidee, den Körperduft einer Frau als etwas Essbares zu präsentieren, stieß ich bisher auf großen Widerstand und Unverständnis. Sie sei unsensibel, unangemessen und kannibalisch.
Meine Annahme ist, dass meine ursprüngliche Idee, Snacks aus dem Körperduft von Frauen zu machen, ein Publikum eher abschrecken würde, anstatt dessen Interesse an der sozialen Wahrnehmung der Körperdüfte von Frauen zu wecken. Aus diesem Grund werde ich die Endpräsentationsform meines Projekts überdenken. Mein Projekt läuft bis 2020 weiter und ich habe vor, es ebenso 2020 in Bangalore auszustellen.
Ein großes Dankeschön an das Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan, an Meena Variund Yashas Shetty vom Srishti Institute of Art, Design and Technology, an Prof. Shannon Olsson und Srinivas Rao vom NICE Lab des National Centre for Biological Sciences, an 1 Shanthi Road, an Prof. Sobin George vom Institute for Social and Economic Change, an Blank Noise, an das Sandbox Collective, an The Courtyard, und an alle Frauen in Bangalore, mit denen ich Gespräche führte.