Deutsche Serien in Indien
Zum Teufel mit Dr. Freud...und zurück
Netflix und der österreichische TV-Sender ORF haben gemeinsam eine achtteilige Serie über Siegmund Freud produziert. Diagnose: Freud ist keine bloße Geschichtslehrstunde, sondern eher eine blutrünstige Graphic Novel in Filmgestalt.
Von Mark Tompkins
Es gab eine Zeit, da wäre eine TV-Miniserie über Dr. Siegmund Freud (1856-1939) wohl eine hochwertig produzierte BBC-Reihe gewesen, in der die Darsteller und Darstellerinnen ihren hochgestochenen Text mit Wiener Akzent artikuliert hätten. Das Ganze wäre eine wortreiche, elegant ausstaffierte Erzählung gewesen, vielleicht mit kleiner melodramatischer Note über das Leben Freuds, um das Publikum nicht mit einer wuchtigen Geschichtsstunde zu überfordern und stattdessen leicht verdauliche Kost zu liefern.
Ich bin ein Haus, es ist dunkel in mir. Mein Bewusstsein ist ein einsames Licht, eine Kerze. Alles andere ist im Schatten, im Unbewussten: Instinkte, verbotene Wünsche und Erinnerungen, die wir nicht im Licht sehen wollen. Sie tanzen in der Dunkelheit um uns herum. Sie quälen und stochern uns.
"Freud" Zitat aus der Serie
Im Streaming-Wettstreit des 21. Jahrhunderts haben sich die Karten jedoch neu gemischt, und so fällt die Geschichte um den Good Doctor denn auch ganz anders aus. In der achtteiligen Serie Freud, einer Koproduktion von Netflix und dem österreichischen TV-Sender ORF, erleben wir, wie der junge adrette Doktor Freud in eine okkulte Verschwörung verwickelt wird, die das österreichisch-ungarische Kaiserreich bedroht. Freud schöpft vor allem aus einigen wenigen biografischen Fakten aus Freuds Biografie, um daraus einen Krimi-Thriller im historischen Gewand zu machen und gießt noch eine Portion Übersinnliches sowie einen Schuss Horror dazu. Heraus kommt dabei eine überschwängliche Mitteleuropa-Fantasterei.
Die Geschichte beginnt in Wien im Jahr 1886: Der 30-jährige Freud (Robert Finster) brütet über seiner Arbeit. Die Ärzte in seinem Bekanntenkreis nehmen jedoch seine Theorien über Hysterie und das Unbewusste nicht ernst. Bei seinen Kollegen erntet er nur Spott, und zu allem Übel ist Freud auch noch bewusst, dass er in Wien, wo Anti-Semitismus an der Tagesordnung steht, wohl kaum Aussicht auf Erfolg haben wird. Kein Wunder also, dass der Doktor bei jeder Gelegenheit eine Prise Kokain aus seinem Geheimversteck hervorholt (gemessen an Finsters unbekleidetem Oberkörper hat er trotz dieser Gewohnheit offenbar auch noch Zeit, jeden Tag zwei Stunden seinen Körper zu trainieren). Im Zuge seiner medizinischen Tätigkeiten wird er zufällig in die Ermittlungen in einem Mordfall hineingezogen, die von dem grummeligen Inspektor Kiss (Georg Friedrich) geleitet werden. Der Hauptverdächtige ist ein hochrangiger Militäroffizier, was Kiss nicht davon abhält, die Ermittlungen fortzuführen, auch wenn er sich damit in Lebensgefahr begibt.
Derweil wird Freud von den ungarischen Emporkömmlingen Viktor und Sophia Szápáry (Philipp Hochmair und Anja Kling), die wie eine Habsburger-Version von Boris und Natasha aus Rocky und Bullwinkle anmuten, zu einer Séance eingeladen. Nach außen hin preisen die beiden diese als exotisches Vergnügen für gelangweilte Aristokraten an, der eigentliche Zweck dieser Veranstaltung liegt jedoch darin, den Kronprinzen Rudolf (Stefan Konarske) zu ködern, diesen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und ihn gegen seinen Vater, Kaiser Franz Josef (Johannes Krisch) aufzubringen.
Viktor und Sophia wollen die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie umstürzen und Ungarn damit unabhängig machen (vielleicht ist man in Budapest zur Stunde schon dabei, das Drehbuch von Freud umzuarbeiten und den Szápárys die Hauptrolle zuzuschreiben). Ihre Geheimwaffe ist dabei das mysteriöse Medium Fleur Salomé, denn wer so einen Namen trägt, ist selbstverständlich in der Lage, sämtliche Bewohner des Jenseits zusammenzurufen. Die Séance entpuppt sich jedoch als weitaus mehr als ein Gesellschaftsspiel: Fleur (Ella Rumpf) verfällt alsbald in Trance und hat in einem Zustand jenseits von Raum und Zeit eine düstere Vision um eine Entführung. Freud fühlt sich daraufhin stark von Fleur angezogen, die offenbar ähnliche visionäre Kräfte besitzt wie er, und die beiden beginnen eine Art grenzüberschreitende Affäre.
Wer großzügig über historische Ungenauigkeiten hinwegsieht, wird an den ersten Folgen von Freud die geheimnisvolle Stimmung sicher schätzen. In jeder Folge gibt es so einiges zu bestaunen. Wer jedoch hofft, etwas von der Ringstraße oder anderen Wiener Sehenswürdigkeiten zu sehen zu bekommen, sollte wissen, dass Freud komplett in Prag gedreht wurde. Die düster anmutende Stadt, die wir hier sehen, erinnert eher an unsere Wunschvorstellung eines eleganten Prags, in dem jeden Moment ein Golem auftaucht, als an das imperialistische Wien mit all seinem Pomp und seiner Bürokratie. Außerdem liefert Regisseur Marvin Kren mit seinen Bildern derartig oft Anspielungen auf den deutschen Expressionismus, dass Freud ebenso an das Berlin der Weimarer Republik erinnert wie an die Stadt des Walzers und der Sachertorte.
Den in Wien geborenen Kren kennt man vor allem wegen seiner kühn inszenierten preisgekrönten Dramaserie 4 Blocks (2017), wichtiger scheint in diesem Zusammenhang jedoch ein Vergleich mit seinem in Berlin spielenden Zombie-Film Rammbock (2010). Kren und sein Kameramann Markus Nestroy inszenieren auch hier das Schaudern mit viel Stil: So erinnert eine Verfolgungsjagd durch Wiens dunkle Kanalisation an einen Stummfilm in gedeckten Farben, und Fleurs schaurige Visionen erwecken gar den Eindruck, sie hätte eine Tür aus dem Wien des 19. Jahrhunderts ins Twin Peaks des 20. Jahrhunderts aufgemacht. Der wohl krasseste Schockmoment ist der, als eine blutverschmierte nackte Erscheinung plötzlich anfängt, Opernarien zu schmettern.
Kren lässt keine Gelegenheit aus, ein Blutbad zu inszenieren. So kann man fast vermuten, dass all die üppigen Kostüme und Ausstattungen nur dem Zweck dienen, im Lauf der Serie in Blut getränkt zu werden. Die Story gerät immer mehr aus den Fugen: Eine Wohnung, in der es spukt, Menschen, die von Dämonen besessen sind, freakige Sex-Szenen und zahllose Massaker gleichen eher einem Splatterfilm-Marathon. Am Ende ist in diesem Wien der Habsburger Ära nicht mehr viel übrig, das geläutert oder verdrängt werden könnte. Die Spitze des Eisbergs an dieser Art von historischer Pulp Fiction ist, dass der junge Freud am Ende nur durch das Bezeugen dieser entsetzlichen Gräueltaten seine Theorien validieren und seine weltverändernde Karriere in Schwung bringen kann.
Im Zentrum des Interesses sollte jedoch nicht nur Freud selbst stehen, auch Fleur und der verbissene Inspektor sind interessante Charaktere. Der österreichische Charakterdarsteller Georg Friedrich hat bislang eindrucksvoll unter der Regie des verstorbenen Michael Glawogger zwielichtige Gestalten und verschrobene Künstler gespielt und kann hier als grimmig-gerechter Polizeibeamter Kiss mal in einer ganz anderen Facette glänzen. Mit seinem Stellvertreter Christoph Krutzler als Poschacher, dessen herunterhängender Schnauzbart das einzige Element von befreiender Komik in der ganzen der Serie bietet und der wie Obelix an seiner Seite agiert, verschmilzt Kiss hier zu einem stimmigen Team.
Und dann ist da noch die Schweizer Schauspielerin Ella Rumpf als Fleur, die hier die Psycho-Version der Femme Fatale gibt. Ihre Leinwandpräsenz ist fast schon zu dramatisch, um ein realistisches Bild zu zeichnen. Vor kurzem wurde sie noch von den deutschen Kritikern für ihre Darstellung einer baseballschlägerschwingenden selbsternannten Gladiatorin gerühmt: In dem Film Tiger Girl (2017), den man sich ruhig einmal auf Amazon Prime anschauen sollte, mimte sie eine Art Punkrock-Superheldin. In Freud hat sie eine würdige Nachfolgerrolle bekommen. Am Anfang, als wir sie als ängstliche Frau erleben, die von bösen ungarischen Verschwörern geknechtet wird, mutet Fleur noch an wie eine Gothic-Ikone, die einem 80er-Jahre-Musikvideo entsprungen sein könnte. Als ihr jedoch klar wird, dass ihre psychischen Kräfte einer virtuellen Massenvernichtungswaffe gleichkommen, bekennt sie sich zu ihrer teuflischen Seite. Rumpf gestaltet ihre Verwandlung so eindrucksvoll, dass die Spezialeffekte fast schon überflüssig sind. Vielleicht darf man ja sogar auf eine Spin-Off-Serie hoffen, die diese freudsche Figur in den Mittelpunkt stellt.
Österreich/Deutschland, 2020, 8 Folgen @ 55 Min.
Regie: Markus Kren, Buch: Stefan Brunner, Benjamin Hessler und Markus Kren
Mit: Robert Finster, Ella Rumpf, Georg Friedrich, Christoph Krutzler, Anja Kling, Philipp Hochmair
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