Mustafa Shaikh
„Falschmeldungen und Fehlinformationen enttarnen“
Die Coronapandemie war eine Gelegenheit, dem öffentlichen Auftrag des Journalismus nachzukommen.
Von Chaitanya Marpakwar
Mustafa Shaikh ist leitender TV-Journalist bei India Today. Er berichtet sowohl in Englisch als auch Hindi über zahlreiche verschiedene Themen, angefangen von Kriminalität über Politik bis hin zu Katastrophen. Mustafa hat die Coronapandemie bereits ausgiebig dokumentiert und war oft der erste, der in Krankenhäusern, Krematorien oder an Orten eintraf, wo eine aufgewiegelte Volksmenge tobte oder in Folge von Panik eine Ausnahmesituation herrschte
Er ist bekannt dafür, sehr schnell Informationen und Eilmeldungen zusammenzutragen und hat während der Pandemie diverse Falschmeldungen und Fehlinformationen enttarnt. Trotz der massiven Herausforderungen, die die Pandemie für die journalistische Arbeit bedeutete, ist Mustafa der Meinung, dass sie auch die Chance bot, die Menschen zu informieren und so dem öffentlichen Auftrag des Journalismus nachzukommen.
Auszüge aus einem Gespräch
Ich habe das Ganze eher als Chance wahrgenommen. Natürlich war die Pandemie eine große Herausforderung, aber gleichzeitig barg sie auch viele Chancen. Die Herausforderung lag darin, die eigene Sicherheit und die seiner Familie zu gewährleisten, aber in Sachen Reportage und Journalismus wurden einem auch viele neue Möglichkeiten eröffnet. Im Fernsehjournalismus sind es zu normalen Zeiten die Nachrichtensprecher*innen, die die Nachrichten verbreiten. Dabei nehmen Debatten und politische Themen den meisten Raum ein. Für gewöhnlich kann man im TV nur sehr schlecht Reportagen und Berichte unterbringen. In der Pandemie war das jedoch anders, hier stieg der Bedarf an Nachrichtengeschichten. Es gab eine Zeit im Lockdown, in der keine Zeitungen mehr gedruckt wurden und somit keine Nachrichten mehr auf diesem Weg zirkulierten. Also waren die Fernsehnachrichten auf einmal die einzigen, die die Öffentlichkeit mit aktuellen Informationen versorgten. Das Ganze dauerte mehrere Monate an, in denen wir praktisch für Menschen, die in Angst und Panik vor der Pandemie lebten, die einzige Nachrichtenquelle waren.
War Ihre Arbeit in dieser Zeit nicht eine besondere Herausforderung?
Ja, auf jeden Fall. Es gab keine Betten, keine ärztliche Behandlung, keine Medikamente. Wir mussten immer unsere eigene Sicherheit und die unserer Eltern, die im Seniorenalter sind, gewährleisten. Wenn ich also nachhause gekommen bin, habe ich erst einmal ein Bad genommen und mich desinfiziert. Diese tägliche Prozedur war schon eine Herausforderung, aber ich hatte ja keine Wahl. Wir mussten viel psychischen Druck aushalten. Dafür konnten wir jedoch bessere journalistische Arbeit abliefern und mehr Reportagen machen.
Welche Geschichte war für Sie persönlich am wichtigsten?
Das war auf jeden Fall die Tatsache, dass der fehlenden gesundheitlichen Versorgung in der Stadt und auf dem Land keine große Bedeutung beigemessen wurde. Der ohnehin schon sehr fragile Gesundheitsapparat wurde von der Pandemie beinahe zum Einsturz gebracht. In Mumbai konnte man das sehr gut beobachten. Angehörige riefen uns an, um uns mitzuteilen, dass einige Menschen bereits seit 48 Stunden vor dem Krankenhaus um Einlass bitten. Aber es gab keine Betten. Wir haben gesehen, wie Menschen starben, während sie vor den Hospitälern warteten. Erst, als wir darüber berichtet haben, haben die zuständigen Behörden versucht, den Wartenden Betten zu verschaffen. Es war ein gutes Gefühl, mit dieser Art von Berichterstattung etwas bewirken zu können.
Es waren viele Falschmeldungen und Fehlinformationen im Umlauf. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ja, es kursierten viele Fake News auf WhatsApp. Inzwischen verbringe ich einen Großteil meiner Zeit damit, Nachrichten zu verifizieren, die über WhatsApp geteilt werden. Das gehört inzwischen zu meinem Job. Zum Glück stehe ich mit einigen behördlichen Mitarbeiter*innen in Kontakt, die mir dabei helfen, diese Nachrichten zu überprüfen. Danach zerschlagen wir die Falschmeldungen und veröffentlichen nur das, was wir bestätigen konnten. Nach den ersten Lockerungen im Lockdown schnellte die Zahl der Fake News nach oben. Manche Menschen, die in den Krankenhäusern behandelt wurden, sind von dort geflohen, einige haben versucht, sich umzubringen, und es gab Fälle von Belästigung durch das Pflegepersonal. Das waren allesamt sehr sensible Themen, die sorgfältig überprüft werden mussten. Einiges war falsch, anderes wiederum wahr. Viele Falschnachrichten haben auch Panik ausgelöst.
Es gab in vielen Gemeinden auch Vorfälle, die von Hate Speech in den sozialen Netzwerken angefeuert worden waren. Es wurden Gerüchte gestreut, die die Menschen reihenweise in Panik versetzten. Wie haben Sie über diese Dinge vor Ort berichtet?
Das war im Vergleich zu normalen Zeiten schon sehr anstrengend. Die Welt ist sozusagen angehalten worden, aber wir mussten unserer Arbeit ungeachtet dessen nachgehen. Für uns war also alles wie immer. Wir mussten uns direkt ins Geschehen begeben und berichten. Dabei blieben uns oft nur wenige Minuten, um unzählige Informationen zu verarbeiten und Nachrichten zu verbreiten. Einmal hatten sich Arbeiter*innen mit Migrationshintergrund vor dem Bahnhof von Bandra versammelt und es brach Chaos aus. Wir hatten keine Wahl und mussten dorthin. Ich habe dort viele Tage vor Ort verbracht. Die Welt, wie wir sie kannten, war im Umbruch. Diese Veränderungen haben sich jedoch nicht auf den Fernsehjournalismus ausgewirkt: Wir haben berichtet wie immer. Es gab immer Angst vor Unruhen und zunehmendem Chaos, also mussten wir stets sehr sorgsam sein. Wir müssten Dinge abwägen und gleichzeitig über Fakten berichten.
Gesundheitsthemen hatten vor der Pandemie noch nicht die Nachrichten dominiert. Glauben Sie, dass diese nun eine wichtigere Rolle im TV-Journalismus einnehmen?
Mit Sicherheit. Ich glaube, Gesundheit und Bildung sind die Themen, die in Zukunft an vorderster Stelle stehen werden. Jetzt schon werden gesundheitsrelevante Themen im Fernsehen öfter platziert, und ich denke, das wird auch so bleiben. Die Nachrichten zur Hauptsendezeit drehen sich jetzt inzwischen fast ausschließlich um das Thema Gesundheit. Sämtliche Pressekonferenzen zu diesem Thema werden inzwischen live in der Prime Time gezeigt, das war früher nicht der Fall. Man sieht also, dass das Thema immer mehr Raum bekommt. Das wird auch so bleiben, zumindest bis zu dem Punkt, an dem die Mehrheit der Menschen geimpft sein wird.
Glauben Sie, dass in der Berichterstattung über die Coronapandemie einige Themen zu wenig Beachtung gefunden haben?
A: Wie wir ja alle wissen, war die gesundheitliche Infrastruktur nur unzureichend. Gleichzeitig hat das Personal im Gesundheitswesen an vorderster Front für die Patient*innen gekämpft, oft unter Einsatz des eigenen Lebens. Daher hätte es meiner Meinung nach auch mehr positive Berichterstattung zu diesen Aspekten geben können, die diese Menschen sicher noch um einiges motiviert hätte. Es gab eben auch viel Positives, und gerade zu Beginn der Pandemie wäre es hilfreich gewesen, wenn dies auch kommuniziert worden wäre. Ich für meinen Teil habe versucht, mit meiner Berichterstattung die Arbeit der Menschen im ärztlichen und pflegerischen Bereich zu würdigen, um diesen Leuten ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln. Die ganze Welt hatte so eine Situation ja noch nie zuvor erlebt, und so mussten wir alle nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ handeln. Die Welt war im Umbruch, Menschen haben ihr Leben gelassen, um das anderer zu retten.
Haben Sie sich während dieser Zeit auch neue Fähigkeiten angeeignet? Und wie hat sich ihre journalistische Arbeit verändert?
Ja, es hat sich einiges verändert. Allen voran konnten wir keine Face-to-Face-Interviews mehr machen. Wir haben dann stattdessen auf Videoanrufe und virtuelle Interviews gesetzt. Auf diese Weise konnten wir mit Menschen sprechen, die nicht in der Stadt oder nicht einmal im Land waren. Der Journalismus setzt immer mehr auf technische Lösungen, und das wird ihn auf lange Sicht verändern. Am Anfang haben wir ab und zu Interviews per Videokonferenz gemacht, inzwischen stehen diese an der Tagesordnung. Das war für mich anfangs noch neu und ich musste mich mit dieser Technik vertraut machen. Das war ein Lernprozess. Über diese Distanz konnten wir auch Interviews mit Infizierten und deren Angehörigen führen. Ich denke, diese Art von Technik wird ihren festen Platz im Mainstreamjournalismus finden und dort bald nicht mehr wegzudenken sein. Darüber hinaus werden sich auch noch mehr Dinge ändern. Interviews per Videokonferenz werden zur Normalität, der Einsatz von Technik wird wohl bald zur Selbstverständlichkeit.