Shida Bazyar
Drei Kameradinnen

Bucheinband: Sisters in Arms
© Scribe Publications

Wenn du Zadie Smiths London NW verschlungen hast, dann empfehlen wir Shida Bazyars Drei Kameradinnen.

London NW von Zadie Smith lässt mich immer an einen brutal heißen Sommertag denken: Wie Leah am Anfang, umhüllt von der Sonne, aus einer Hängematte stolpert; wie am Ende die Kinder auf dem Rasen wirbeln, während Leah und Natalie die Polizei rufen. Die Spannung, die den Roman durchdringt, widerspricht der schlaftrunkenen Hitze. Der Roman macht einen weiten Raum auf und wechselt hin und her zwischen diesen flirrenden Sommertagen und der Jugend der beiden Frauen, in der sie Freundschaft und Klassenunterschiede entdecken: die ersten Versuche, der eigenen Herkunft zu entkommen.

Wie London NW bewegt sich auch der Roman Drei Kameradinnen von Shida Bazyar zwischen einer sonnendurchfluteten, angespannten Gegenwart und mehreren Rückblenden – die trotzig unchronologisch bleiben – ins Leben der Hauptfiguren: drei Freundinnen, die in derselben schäbigen Ecke einer Provinzstadt aufgewachsen sind. Der Roman beginnt mit einem Zeitungsartikel: Ein Haus ist abgebrannt und mehrere Leute sind gestorben. Mutmaßlich sei es Brandstiftung gewesen. Eine junge Frau, Saya M., wurde verhaftet, die als radikale Islamistin dargestellt wird.

Die Erzählerin des Romans selbst ist Kasih, eine Freundin von Saya, mit der sie „mindestens eine Kindheit, mindestens ein halbes Leben, mindestens zwei Diskriminierungskategorien“ teilt. Während sie nachts darauf wartet, dass Saya aus der Haft entlassen wird, schreibt Kasih zornig und beharrlich ihren eigenen Bericht der Ereignisse. Saya ist zu Besuch in Berlin, wo Kasih und ihre gemeinsame Freundin Hani jetzt wohnen, und die Frauen lassen die Routinen ihrer Freundschaft wieder aufleben: Sie sitzen mit Bier auf dem Dach von Kasihs Wohnblock, Saya fällt wieder die Rolle der Erzählerin zu, Hani ist ein weiteres Mal verunsichert, dass ihre Freundinnen sich so einig sind in ihrem Zorn über die Mikroaggressionen, die sie immer wieder erleben.

Der Roman wird gesteuert durch Sayas und Kasihs Wut über Formen von Rassismus, die andere als normal gelten lassen, aber der Kern des Buchs ist diese Freundschaft der drei, die mal warm, mal witzig, mal abgekämpft ist. Bei diesem Besuch geraten allerdings die üblichen Gespräche der drei Freundinnen aus dem Gleichgewicht: Der Prozess einer Neonazi-Gruppe, die für mehrere Morde verantwortlich ist, fängt gerade an, und Saya – die von den dreien schon immer die politischste war – liest wie besessen die Hasstiraden von Trollen und Faschisten.

Bayzar hat ein scharf beobachtendes Auge und ich zücke mehr als einmal bei der Lektüre mit Anerkennung mein Handy, um eine Passage mit einer Freundin zu teilen. Die Autorin hat keine Angst davor, die Leserin zu verunsichern: Kasih gibt mehr als einmal zu, dass sie eine Anekdote erfunden hat, sodass es nie ganz sicher ist, was man glauben darf. Kasih hat auch eine klare Vorstellung davon, wer ihren Bericht wohl liest – und sie hat keine hohe Meinung von ihrem Publikum:

„Schon klar, ihr seid nicht so, ihr stellt euch das gar nicht vor… Dann wart ihr zwar immer noch liebevoll, aber eben auch Rassisten, liebevolle Rassisten. Ihr habt bei all eurer Hilfe gesehen, dass diese Flüchtlinge immer für eine Überraschung gut sind… und bei jedem künftigen Abendessen mit Freunden könnt ihr jetzt von euren Erkenntnissen erzählen.“

Das klingt nach einer harten Lektüreerfahrung, ist es aber nie, vielleicht wegen der tiefen Freundschaft der drei Frauen, oder dank Kasihs ironischer Erzählart oder aufgrund der Dringlichkeit der Erzählung. Drei Kameradinnen ist ein mitreißender Roman, über den man lange nachdenken muss, auch nachdem die letzte Seite umgeblättert ist.

Über die Autorin

Annie Rutherford macht Sachen mit Wörtern, und verfechtet übersetzte Literatur aller Arten. Sie arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Veranstalterin, und recherchiert im Moment die Möglichkeit, eine Residenz für Schriftsteller*innen im Exil in Edinburgh zu etablieren. Sie  leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.

Der Artikel wurde zuerst vom Goethe-Institut Glasgow im Dossier Buchblog: Literaturverkostung veröffentlicht.

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