Karosh Taha
Im Bauch der Königin

In the Belly of the Queen von Karosh Taha
In the Belly of the Queen von Karosh Taha | Cover © V&Q Books

Die preisgekrönte deutsch-kurdische Schriftstellerin Karosh Taha betritt gerne literarisches Neuland. Sie nutzt ihre Bekanntheit als aufstrebender Literaturstar, um durch ihre Geschichten ihre in Deutschland stark unterrepräsentierte Gemeinschaft ins Rampenlicht zu rücken. Ihr aufwühlender Roman „Im Bauch der Königin“, ist aus der Sicht zweier Teenager*innen, Amal und Raffiq, erzählt und kann von beiden Enden des Buches her gelesen werden.

Von Prathap Nair

Die Geschichte handelt von der rebellischen Teenagerin Amal, die in Schwierigkeiten steckt, nachdem sie ihren Klassenkameraden verprügelt hat. Amal, die sich in der Schule ohnehin als Außenseiterin fühlt, lässt sich von ihrem Vater trösten, der sie ermutigt, stets für sich selbst einzustehen. Doch seine Unterstützung ist von kurzer Dauer, denn bald darauf lässt er seine Familie im Stich. Amal findet Zuflucht bei einer anderen Erwachsenen, Shahira, die wie sie sämtliche gesellschaftlichen Erwartungen in den Wind geschlagen hat. „Im Bauch der Königin“ dreht sich um diese beiden Frauen, die es wagen, den Normen zu trotzen, die das Patriarchat ihnen vorzeichnet.

Was daraus erwächst, ist das vielschichtige Bild einer Gemeinschaft von Eingewanderten, durchwoben von Themen wie gesellschaftlicher Entfremdung, umkämpfter Weiblichkeit und den erdrückenden Zwängen des Patriarchats. „Kurdische Menschen wandern nicht ein,“ sagt Taha, denn sie sind seit Generationen politische Flüchtlinge, verfolgt von verschiedenen unterdrückerischen Regimes. Das gilt auch für Taha selbst, deren Eltern in den 1980ern aus Zaxo in der Autonomen Region Kurdistan nach Deutschland flohen.

In ihrem Roman gewährt Taha Einblicke in die kulturelle Identität von Deutschkurd*innen und zeigt, was es bedeutet, als Kurd*in in Deutschland zu leben; ein Thema, das in der zeitgenössischen deutschen Literatur kaum behandelt wird – und deshalb hervorsticht. Grashima Gabelmann hat das Buch ins Englische übertragen und dabei die ausdrucksstarke Prosa des Originals erhalten, sodass die Geschichte nichts an ihrer Wortgewalt und Ausdrucksschärfe eingebüßt hat.

Es folgen Auszüge aus einem Interview mit der Autorin:

Ihr Buch erzählt vom Erwachsenwerden und ist dabei von Ihrem eigenen Hintergrund als Deutschkurdin geprägt. Würden Sie sagen, es ist einer der ersten Romane, der die Erfahrungen kurdischer Immigrant*innen in Deutschland in den Mittelpunkt rückt?

Ich fürchte, es gibt nur eine Handvoll Autor*innen diverser Herkunft in der deutschen Literaturszene. In den ‛90ern wurden einige osteuropäische Schriftsteller*innen veröffentlicht, wegen der Bedeutung ihres Werks und der politischen Ereignisse zu jener Zeit. Ein historisches Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei brachte in den ‛50ern und ‛60ern einige türkische Autor*innen und Kreative ins Land. Unter diesen Gastarbeiter*innen befanden sich zahlreiche Kurd*innen, die von ihren Kolleg*innen kollektiv ignoriert wurden. In der Literaturszene gibt es nur wenige Autor*innen kurdischer Abstammung und die meisten von ihnen gehören meiner Generation an. Obwohl sie in anderen, nichteuropäischen Ländern hochangesehene Preise gewonnen haben, werden viele kurdische Schriftsteller*innen in Deutschland nicht veröffentlicht. Aus der älteren Generation hat Bachtyar Ali Anerkennung gefunden. Seine Romane sind in Deutschland sowie in anderen europäischen Ländern erschienen.

Wie unterscheiden sich die Erfahrungen von Kurd*innen in der deutschen Gesellschaft von denen anderer Immigrant*innen?

Anders als andere Immigrant*innen sind Kurd*innen meist politisch Verfolgte, die aus der Türkei, Irak, Iran oder Syrien geflüchtet sind und die von faschistischen Handlanger*innen gejagt werden. Das unterscheidet sie von anderen Immigrant*innen, die nicht fliehen mussten. Kurd*innen erleben wie sie Rassismus durch Deutsche, doch darüber hinaus haben sie unter Anfeindungen durch andere, dominantere Gruppen von Immigrant*innen zu leiden, vor allem türkische.

Waren Ihre Kindheitserfahrungen wichtig für die Ausgestaltung der Charaktere in Ihrem Buch, besonders Shahira?
Wir alle haben eine Shahira in unserem Leben, ob in der Vergangenheit oder Gegenwart. Frauen wie Shahira haben gegen gewaltige Widerstände zu kämpfen, doch sie sind die wertvollsten, stärksten und verwundbarsten Menschen, denen man begegnen könnte. Sie stehen zu ihren Meinungen und Werten und sie stellen gesellschaftliche Normen infrage – vor allem, wenn diese zur Unterdrückung einer bestimmten Gruppe beitragen – in diesem Fall von Frauen, die ihre Sexualität ausleben. In unserer Nachbarschaft gab es ebenfalls eine Shahira. Sie hatte kein leichtes Leben, aber ich habe nicht über sie geschrieben. Ich mag es nicht, echte Menschen zu fiktionalisieren. Wenn ich es versuche, überwältigt die Fiktion irgendwann die Realität.

Der Drang, solche Charaktere zu erschaffen, erwuchs in mir, als mir klar wurde, wie sehr die Sprache unsere Fähigkeit beschränkt, unsere Erfahrungen auszudrücken. Shahira wurde auch aus der Erkenntnis geboren, dass sie existiert, obwohl die Sprache ihre Existenz abstreitet. Sie entzieht sich der Beschreibung, weil wir noch immer nach der richtigen Sprache suchen, um sie zu beschreiben. Deshalb habe ich beschlossen, zwei verschiedene Geschichten zu erzählen, weil eine einzige Perspektive nicht ausreichen würde, um ihre Bedeutung für die Menschen darzustellen.

Es fließt eine Menge Testosteron durch Ihre Erzählung, Mobbing, Fußball, Boxen und dergleichen, wenn die Geschichte von Raffiq und Younes handelt, während Amal frustriert im Abseits steht. Können Sie die geschlechtsbezogenen Grenzen erläutern, denen Sie in Ihrem Buch nachgehen?

Es geht um gesellschaftliche Wahrnehmung und um gesellschaftliche Erwartungen. Darum, wie eng und begrenzt sie sind, was Geschlecht und Sexualität angeht. Wir sehen nicht die Person mit ihren Bedürfnissen, ihren Wünschen und ihrem Begehren. Stattdessen kategorisieren wir sie in einer Weise, die es ihr unmöglich macht, auszudrücken, wer sie ist oder sein will, oder bestimmte Aspekte ihrer Persönlichkeit zu entfalten. Unsere patriarchalische Gesellschaft lehnt die Vorstellung ab, Männer könnten körperlich schwach sein. Das Idealbild des Mannes ist zerstörerisch und das verhindert die Weiterentwicklung der Gesellschaft.

Hatten Sie als Immigrantin beim Schreiben über Ihre eigene Gemeinschaft mit bestimmten Stereotypen zu ringen? Die kurdische Gemeinde in Deutschland ist relativ klein. Negative Darstellungen könnten ihr, wie jeder Gruppe von Immigrant*innen schaden. War das eine Erwägung?

Diese Frage zeigt die vorherrschende Einstellung zu diesem Thema. Als kurdische Schriftstellerin habe ich mich nicht darauf konzentriert, welche negativen Auswirkungen meine Herkunft auf die Meinung der Leute haben könnte. Wie jede Gruppe sind auch Kurd*innen vielfältig. Das romantisierende Bild von Kurd*innen als Rebell*innen oder ihre Stilisierung als Opfer ist nicht zielführend für eine ernsthafte Darstellung von ihnen als Menschen.

Sind Sie mit indischer Literatur auf Englisch vertraut? Falls ja, haben Sie kürzlich etwas gelesen, das Sie gefesselt hat?

Leider nicht. Salman Rushdies „Die satanischen Verse“ war sehr wichtig für mich als Schriftstellerin; das Buch hat mich ermutigt, Dogmen zu hinterfragen. Ich bewundere auch seine Essays in „Heimatländer der Phantasie“, die mir halfen, diasporische Gesellschaften und Glaubenssysteme zu verstehen.
 

Grashina Gabelmann © © Grashina Gabelmann Grashina Gabelmann © Grashina Gabelmann
Anmerkungen der Übersetzerin: Grashina Gabelmann zu ihrer Arbeit an In the Belly of the Queen

Als ich den Roman „Im Bauch der Königin“ zum ersten Mal las, wusste ich, dass ich ihn übersetzen würde. Ich begann mit Amals Geschichte, aus keinem besonderen Grund. Ich las sie sehr schnell; das Fehlen von Anführungszeichen, die langen zusammengesetzten Sätze, die Schärfe ihrer Beobachtungen ließen mich als Leserin kaum zu Atem kommen. Ich fing beinahe sofort damit an, Sätze im Kopf zu übersetzen, noch während des Lesens, was eigentlich nicht mein Plan war. Der unkonventionelle Sprachfluss, den Karosh für ihren Charakter der Amal entstehen lässt, ist so stark und entschlossen, dass ich mich von der ersten Seite an in den Kopf der Figur versetzt fühlte.

Wenn ich über den Prozess meiner Übersetzung nachdenke, kann ich sagen – es geschah einfach. Ich tauchte ein in die Sprache von Karoshs Charakteren und kam nicht zum Luftholen, bis ich fertig war. Ich übersetzte beide Abschnitte in einem durch, ohne zu lesen, was ich geschrieben hatte. Erst dann, als ich fertig war, begann ich, alles zu überarbeiten. Amals und Raffiqs Sprachfluss ist so einzigartig; er verschlang mich sofort und ich ließ mich einfach mit ihm treiben. Beide Figuren sind wahnsinnig mutig und ich sog diesen Mut beim Lesen in mich auf, während ich ihre Geschichten übersetzte.

Über die Autorin

Karosh Taha © © Karosh Taha Karosh Taha © Karosh Taha
Karosh Taha, 1987 in Zaxo, Irak, geboren, lebt seit 1997 in Deutschland. Ihre Essays sind in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen.„Im Bauch der Königin“ ist ihr zweiter Roman und wurde mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Karosh Taha lebt in Köln.

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