Eine Programmreihe von Lesungen deutscher Theaterstücke
Das Schauspiel

Sapan Saran
© Sapan Saran

Im Mai 2018 startete das Tamaasha Theatre die kuratierte, zweimonatliche Programmreihe szenischer Lesungen zeitgenössischer deutscher Dramen mit dem Titel ‘Das Schauspiel’. Die Lesungen wurden von einigen der bemerkenswerten jungen Regisseur*innen aus Mumbai in Zusammenarbeit mit Schauspieler*innen, Musiker*innen und Designer*innen und unter der Anleitung des Theaterdirektors Sunil Shanbag inszeniert. Wir haben vier der Lesungen organisatorisch unterstützt:

Simon Froehlings ‘Going to the Sea - Play with Child’ (5 Aufführungen)
Regie: Sukant Goel

Thomas Jonigks ‘You Shall Give Me Grandsons’ (5 Aufführungen)
Regie: Sheena Khalid

Roland Schimmelpfennigs ‘Arabian Night’ (6 Aufführungen)
Regie: Sapan Saran

Sibylle Bergs ‘Dog, Woman, Man’ (6 Aufführungen)
Übersetzung und Regie: Abhinav Grover

Teilnehmende & Publikum

Insgesamt nahmen mehr als 30 Akteure - Regisseur*innen, Schauspieler*innen, Musiker*innen, Designer*innen und Techniker*innen - der Theater-Community Mumbais an dieser Programmreihe teil. Das Publikum von über 450 Personen setzte sich aus jungen Studierenden, Theaterinteressierten und anderen Akteuren der Theaterszene zusammen. Jede Veranstaltung sah im Anschluss an die Lesung die Möglichkeit eines Austauschs mit dem Publikum vor, an welchem sowohl Zuachauer*innen als auch die am Projekt Teilnehmenden mit einer bemerkenswerten Aufgeschlossenheit und Freude teilnahmen.

Methode

Der erste Schritt im Rahmen des gesamten Prozesses für uns am Tamaasha war es, eine Auswahl an Dramen zusammenzustellen, die wir für die Programmreihe als geeignet erachteten. Anschließend luden wir junge Regisseur*innen ein, denen wir ein oder zwei Dramentexte zur Wahl anboten. Ab diesem Zeitpunkt waren wir in unterschiedlichen Gewerken der organisatorischen Umsetzung des Projekts eingebunden. Wo immer Bedarf bestand, halfen wir etwa bei der Kontextualisierung eins jeweiligen Textes, bei der Besetzung oder bei der Vermittlung im Rahmen des Arbeitsprozesses.

Die Akteure folgten unterschiedlichen und stets spannenden Methoden, um sich ihrem jeweiligen Text und Szenarium, in welchem der Text verortet war, zu nähern.

Zusammenfassend:

Sukant Goel entschied sich für die Lesung des Stückes ‘Going to the Sea - Play with Child’, ganz nah am Originaltext zu bleiben, ihn jedoch mit Videoprojektionen und stilisierten Bewegungsabläufen zu unterlegen. Sheena Khalid wiederum inszenierte eine „dramatisierte“ Lesung des Stückes ‘You Shall Give Me Grandsons’; zwar fügte sie an bestimmten Stellen Bewegungssequenzen der Ensemblemitglieder ein, blieb jedoch im Großen und Ganzen bei einem eher stationären Format und folgte der dem Text inhärenten Betonung. Sapan Saran inszenierte „Arabian Night" als komplexes, bewegungsorientiertes Stück, das mit Blick auf die dynamische räumlich-zeitliche Qualität des Textes den immer gleichbleibenden Bühnenaufbau in viele deutlich voneinander unterschiedene und meist absolut unabhängige Räume verwandelte. Abhinav Grover schließlich übersetzte den Text (ins Hindi) nocheinmal und adaptierte diesen weitgehend. Die Universalität des Stückes ‘Dog, Woman, Man’ öffnete den Raum für eine derartige freie Auslegung durch den Autor.

Es lässt sich festhalten, dass sich alle vier Regisseur*innen bei der Inszenierung ihres jeweiligen Textes einer deutlich unterschiedlichen Vorgehensweise bedient haben.

Erkenntnisse & Möglichkeiten

Das Schauspiel war für alle Beteiligten eine enorm interessante und bereichernde Erfahrung.

Rückmeldungen seitens der Regisseur*innen und Schauspieler*innen:
Die Regisseur*innen sprachen während der Diskussionen im Anschluss an die Aufführungen übereinstimmend von neuen Perspektiven und Ideen, die diese Texte aufkommen ließen; die Texte hätten ihnen dazu verholfen, Facetten ihrer Arbeitsweisen wiederzuentdecken und neu zu erfinden.
Sie sprachen über die Herausforderungen, die sich daraus ergaben, dass sie sich auf einen Text aus einer völlig anderen Theatertradition und -kultur einlassen mussten. Eine gemeinsame Beobachtung war zudem der Unterschied in der Art und Weise, wie Narrative in den deutschsprachigen Texten im Vergleich zu vertrauteren Modi angestrebt und strukturiert werden.

Unsere Rückmeldungen als Vermittler*innen/Moderator*innen:

1. Für uns als Vermittler*innen war es besonders interessant zu beobachten, wie vielfältig die Inszenierungen waren. Gewisse Muster waren sowohl in den zeitgenössischen deutschsprachigen Texten als auch in den Theaterpraktiken hier in Mumbai zu beobachten. Diese Muster wurden teilweise aufgenommen und genutzt, aber vielfach war der Ansatz auch, mit Absicht aus diesen Mustern auszubrechen. In diesem Sinne bot dieses Programm eine tiefgreifende Lernerfahrung.

2. Die Tatsache, dass Lesungen und keine vollständig zu realisierenden Produktionen auf die Bühne gebracht werden sollten, führte zu einer angstfreieren Arbeit der Regisseur*innen. Sie waren somit auch offener, sich auf Experimente einzulassen und ihre Komfortzonen zu verlassen. Für uns stellte dies ein wichtiges Ergebnis dar, dass ein solcher Ansatz junge Regisseur*innen und Schauspieler*innen dazu ermutigt, kreative Risiken einzugehen.

3. Unsere Herausforderung bestand darin, junge Regisseur*innen zu finden, die bereit sind, sich auf die Texte einzulassen und mit Sorgfalt und Interesse daran zu arbeiten. Wir sind davon überzeugt, dass ein nachhaltiges Programm von größerem Wert ist als ein einmaliges Projekt.

4. Wir waren mit den Zuschauerzahlen bei den Lesungen nicht ganz zufrieden und werden Wege finden müssen, ein größeres Publikumsinteresse zu wecken, insbesondere seitens der Theaterszene. Die Besuche der Vorstellungen am Goethe-Institut waren enttäuschend. Die Tatsache, dass die Veranstaltungen kostenlos sind, mag ein Grund sein, warum sich ein Teil des Publikums weniger für die Aufführungen interessierte.

5. Eine häufig geäußerte Reaktion seitens des Publikums war, dass mindestens drei der vier Teams mit ihrer Arbeit weit über das hinaus gegangen waren, was man normalerweise von einer Lesung erwartete. Wir wissen, welche Anstrengungen jedes der Teams unternommen haben, und wir denken, dass diese mit Hinblick auf mögliche Probenräume und finanzielle Unterstützung ermutigt und gefördert werden sollten.

Rückmeldungen seitens des Publikums:
1. Die aufgeführten szenischen Lesungen boten dem Publikum eine völlig neue, aber auch gleichzeitig vertraut wirkende Form des Theatermachens.
2. Da die Veranstaltungen als Lesungen angekündigt wurden, war das Publikum darauf vorbereite, etwas Neues und Unkonventionelles zu erleben, und reagierte äußerst positiv darauf, in diesem Sinne herausgefordert zu werden.
3. Während der Diskussionen im Anschluss an die Aufführungen wurde über die Sensibilität für kulturelle Unterschiede gesprochen und über die Notwendigkeit, verschiedene Kulturen durch mehr solcher Initiativen zu verbinden.
Die Lesungen haben in Theaterräumen wie der Drama School Mumbai und dem Prithvi Fringe (als Teil des Prithvi Theatre Festival 2018) sehr gut funktioniert. Dort konnte ein Theater-affines Publikum, darunter viele Theatermacher, die Aufführungen erleben. Für viele von ihnen war dies ihre erste Erfahrung mit zeitgenössischen deutschen Theaterstücken.
 

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