Ö-Töne
Stimmen der Straße
Die Öffentlichkeit beteiligt sich am Graphic Travelogue #Murals Projekt mit Kommentaren, Beobachtungen, philosophischen Überlegungen und manchmal sogar mit Vorschlägen.
Von Faizal Khan
Harshita Dua kann es kaum erwarten, ihrer Tochter das neue Wandbild zu zeigen, das an einer Mauer in ihrem Wohnviertel entsteht. In einem schnell gestarteten Videoanruf präsentiert sie ihrer Tochter in Mussoorie im Bundesstaat Uttarakhand das neue Kunstwerk. „Meine Tochter studiert Ingenieurwissenschaften. In ihrer Kindheit und Jugend hat sie die Wandbilder in der Lodhi Colony geliebt und vermisst sie seitdem an ihrem neuen Wohnort“, erzählt Frau Dua, die ganz aufgeregt ist, die Neuigkeiten aus der Nachbarschaft mit ihrer Tochter zu teilen.
Seit seinem Startschuss am 17. Februar hat das Graphic Travelogues #Murals Projekt im Lodhi Art District die Aufmerksamkeit zahlreicher Anwohner*innen auf sich gezogen. Das von den beiden Künstlerinnen Aashti Miller und Greta von Richthofen auf einer riesigen Mauer gestaltete Wandbild hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Attraktion für Schaulustige entwickelt, die gern dabei zusehen, wie farbenfrohe Objekte vor ihren Augen Gestalt annehmen. Doch nicht nur Anwohner*innen, auch Passant*innen machen vor dem Wandbild Halt und verfolgen gespannt, wie das Kunstwerk langsam Form annimmt.
Sneha Singh und Ritika Gupta, Mathematikstudentinnen im Abschlussjahr an einem nahegelegenen College, haben ihre tägliche Mittagspause gern an den Projektstandort verlegt. „Wir haben die Arbeiten vom ersten Tag an beobachtet und wollten sehen, wie das Projekt voranschreitet“, berichtet Sneha Singh, die sich nach eigenen Angaben manchmal in Aquarellmalerei versucht, „wenn ich angespannt bin und zur Ruhe kommen will“.
„Auf der Mauer gibt es viel zu entdecken, zum Beispiel einen fliegenden Fisch und viele andere Dinge. Ich bin mir sicher, dass alles zusammen am Ende Sinn ergibt“, sagt Ritika Gupta, die selbst gerne Mandalas malt. „Wir wollen beim Wandgemälde auf jeden Fall den Entstehungsprozess mitverfolgen“, fügt sie hinzu. In ihren Mittagspausen setzen sich die beiden Studentinnen mit ihren Lunchboxes an den Straßenrand und werfen während des Mittagessens immer wieder einen Blick auf die Künstler*innen bei der Arbeit.
Einige der Schaulustigen scheuen sich nicht, sogar Vorschläge zu machen. „Bitte benutzt wasserfeste Farbe. Die Wandgemälde werden von den starken Regenfällen während des Monsuns hier immer stark in Mitleidenschaft gezogen“, sagt G. Visalakshi, die gleich um die Ecke vom Projektgelände wohnt. „Ihr solltet das Wandbild schützen und die Arbeiten auch für künftige Generationen auf YouTube dokumentieren“, fügt sie hinzu.
Eine der Schaulustigen, eine Collegestudentin im ersten Studienjahr aus der Nachbarschaft, kam Abend für Abend zum Projektstandort, bis sie sich endlich traute, den beiden Künstlerinnen ihre Unterstützung anzubieten. „Wandkunst interessiert mich. Ich bin hier, um etwas von den Künstlerinnen zu lernen“, erläutert Rakshita Sharma, die seitdem unter Anleitung der beiden Künstlerinnen Flächen auf dem Wandgemälde mit Farben füllt.
Der Autorikschafahrer Pramod Kumar Yadav erzählt, dass ihm die Wandgemälde im Lodhi Art District Kundschaft bringen. „Ich fahre mindestens dreimal in der Woche Menschen hierher, die sich die Wandbilder ansehen wollen“, berichtet er. Vedbir Yadav betreibt am Straßenrand einen Imbissstand und sagt, dass ihm die Kunst im öffentlichen Raum im Viertel gute Umsätze beschert. „Viele Menschen kommen hierher, um die Wandgemälde zu fotografieren oder Filmaufnahmen für Musikvideos zu machen. Einige von ihnen kaufen sich dann auch etwas zu essen an meinem Stand“, berichtet Yadav, der den Imbissstand nach drei Jahrzehnten von seinem Onkel geerbt hat. „Ich mag Kunst. Wenn ich Zeit habe, gehe ich zur Mauer und schaue mir an, wie das neue Wandgemälde nach und nach Form annimmt.“