Sprechstunde – die Sprachkolumne
Die Bombomastik der Nation
Kaum ein Fußballer kommt ohne Spitznamen aus, der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. In den Kosenamen zeigt sich ein liebevoller Umgang mit Sprache, ihrem Witz und der eigenen Leidenschaft.
Von Stephan Reich
Vor vielen Jahren saß ich als Germanistikstudent in einem jener Seminare, die man eher der Pflicht halber absolviert. Es war eine namenlose Sprachwissenschaftsveranstaltung, in der ich die meiste Zeit damit verbrachte, mich auf Dinge zu freuen, die ich lieber tat. An jenem Tag aber unternahm der Dozent einen kleinen Schwenk in Richtung Onomastik, also der Namenkunde. Ein eher randständiges Unterfach, das sich mit der Herkunft, Verbreitung und Bedeutung von Eigennamen befasst. Und das ich kolossal interessant fand, weswegen sich mir dieser Einblick nachhaltig eingeprägt hat.
Neue Nischenwissenschaft
Eine echte Spitznamen-Wissenschaft – korrigieren Sie mich bitte, wenn das nicht stimmt – gibt es meines Wissens leider nicht. Ich wünschte, das wäre anders. Denn Spitznamen, gerade im Sport, sind mir seit jeher ein steter Quell der Freude. Vor einigen Jahren arbeitete ich an der Umsetzung eines Notizbuchs für das Magazin 11 Freunde, das mit allerlei fußballbezogenen Spielereien gespickt sein sollte. Ein solcher von mir erdachter Gimmick war eine über vier im Buch verteilte Seiten fassende Liste von Fußballerspitznamen. Weshalb ich einen vollen Arbeitstag damit verbrachte, kuriose Spitznamen und ihre Herkunft zu recherchieren. Ein wunderbarer Tag.Ich meine, man kennt sie ja, die Kaiser und die Bomber der Nation, die Heintjes und die Terrier, die Kugelblitze und Titanen. Der ein oder andere weiß gar noch, wer die Katze von Anzing ist oder warum Reiner Krieg einst „der Apparat“ genannt wurde. Aber taucht man mal abseits der Klassiker in die Materie ein, eröffnen sich unendliche Weiten fantastischer Kosenamen, ein endlos fantasie- und liebevoller Umgang mit Sprache und ihrem Witz, von jenen, die das Spiel lieben: den Fans. Und wahrscheinlich ist es das, was ich an den Spitznamen so mag, ob clever, blumig, plump, gehässig: Dass sie Ausdruck von jenem humorvollen und auch ironischen Verhältnis zur eigenen vermaledeiten Leidenschaft sind, mit dem viele Fans durch den Alltag gehen.
Ich möchte an dieser Stelle, wenn möglich, die sprachwissenschaftliche Nischennische Fußballerspitznamenkunde begründen. Die Bombomastik der Nation, sozusagen, oder die Uns-Uwomastik. Oder die El-Pibe-de-Oromastik. Die Mach-et-Otzomastik. Die Balkanmaradonomastik. Ach, suchen Sie bitte eine Bezeichnung aus, beim Durchblättern des Notizbuches von damals konnte ich mich auf der Suche nach Inspiration für einen Wortwitz nicht entscheiden. Aber eine spannende Disziplin wäre sie.
Von Schlächtern und Professoren
Also, warum nicht? Eine Kurzrecherche im Notizbuch von damals zeigt, dass es in der Mach-et-Otzomastik (jetzt habe ich mich doch entschieden) ebenfalls spezielle Kategorien der Namensherkunft gibt. Berufsbezeichnungen beispielsweise, etwa Lisandro „The Butcher“ Martinez oder Ralf Rangnick, den Professor. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei aber eher um Eigenschaftsbezeichnungen, die insgesamt die wohl größte Kategorie bilden und sich ihrerseits in diverse Untergruppen unterteilen lässt. The Butcher passt dabei super in die Kategorie der harten Kerls, die Namen tragen wie Eisen-Dieter (Dieter Höttges), Iron Maik (Maik Franz), die Axt (Vinnie Johnes) oder – Achtung, Füße hoch! – der Schlächter von Bilbao (Andoni Goikoetxea). Rangnick passt hingegen gut in die Riege der Schlauberger, wo sich beispielsweise auch Mozart (Thomas Broich), El Bibliotecarios (Chico Geraldes) oder der etwas zerstreutere Zettel-Ewald (Ewald Lienen) tummeln. Von derlei Unterkategorien von Eigenschaftsbezeichnungen gibt es zahllose, für jeden Charakterzug, den ein Spieler auf dem Feld zeigt, eine eigene. Grüße an die treffsicheren Stürmer á la Bomber, Knipser (Harry Decheiver) und Toni Doppelpack (Toni Polster), die lauffreudigen Mittelfeldkämpfer á la Three-lungs-Park (Ji-sung Park), Duracell (Joao Moutinho) und kleiner Rasenmäher (Stig Töfting) oder auch die Kopfballspezialisten á la Carsten „Air“ Bäron, Schädel-Harry (Harald Karger) oder Hubschrauber (Vahid Hashemian).Ebenso zahlreich sind Zuschreibungen von Äußerlichkeiten, die man in der echten Onomastik etwa bei Familiennamen wie Klein oder Groß findet, in der Mach-et-Otzomastik etwa beim schönen Bruno (Bruno Labbadia), Spargeltarzan (Hannes Bongartz) oder dem Funkturm (Uwe Kliemann, wegen seiner Größe). Riesig ist auch die Kategorie der Tierbezeichnungen. Ente, Bulle, der Bieber, das Kaninchen, Lama, der Panther aus dem Eisbachtal, der granatfarbene Schmetterling oder schlicht: Das Tier im Tor. Um nur ein paar zu nennen. Und manche Namen entziehen sich komplett einer Kategorisierung, sie sind einfach da und wunderschön: Das Ohr. Die Seele. Das Zollhäuschen. Meier-Schaschlik. Der lächelnde Hase mit dem Gewehr.
Lieber in der Bibliothek oder auf dem Platz?
Hätte ich damals im Seminar besser aufgepasst, könnte ich der Mach-et-Otzomatik nun vielleicht ein wissenschaftliches Gerüst verpassen, zu klärende Fragen formulieren, Fachbereiche vorschlagen, ach, verdammt, vielleicht würde ich just in diesem Moment ein Seminar zum Thema Vereinsspitznamen halten, irgendwo an einer sprachwissenschaftlichen Fakultät, und mit großer Geste erklären, warum die Spieler von Estudiantes La Plata die „Rattenstecher“ genannt werden. Vielleicht würde ich meine Tage in der Bibliothek verbringen und ein Buch über die wundersamen Wege schreiben, auf denen Fans, Spieler oder Medienschaffende kuriose Fußballerspitznamen in die Welt brachten. Aber so wollte es das Schicksal nicht. Vielleicht ist das auch ganz gut, das Schöne an Spitznamen ist ja ihr seltsames, halb magisches Eigenleben. Sie machen, was sie wollen, tauchen unverhofft auf, mal gehen sie wieder, mal bleiben sie, gehören dann dem Träger, dessen Einfluss sie sich gleichzeitig entziehen. Und vielleicht will ich das gar nicht wirklich kategorisieren, sondern mich einfach dran erfreuen.Vor einigen Jahren war ich übrigens einmal selbst für einen Spitznamen verantwortlich. Den Spieler Kevin Behrens verwechselte ich in einem Text mit seinem Namensvetter Hanno Behrens, und weil das einige seiner Kollegen bei Rot-Weiß Essen lasen, nannten sie ihn fortan Hanno. Das erzählte Kevin „Hanno“ Behrens in einem Interview, und auch, dass er den Spitznamen überhaupt nicht mochte. Ich habe Behrens nie gesprochen, aber vielleicht ist diese Kolumne ja ein geeigneter Anlass, mich bei ihm zu entschuldigen. Er kann als Entschädigung gerne meinen Spitznamen haben, der mir einst beim Kicken in der Jugend von einem missmutigen Zuschauer verliehen wurde. Der schrie mir nach einer streitbaren Szene über den ganzen Platz entgegen: „Wat willst du denn, du Storch?“
Sprechstunde – Die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.