Fußball im Ruhrgebiet
Im Land der 1.000 Derbys

Bergarbeiter demonstrierten mit einem Plakat gegen die Schließung von Zechen im Ruhrstadion in Bochum
Das Ruhrgebiet ist von der Schwerindustrie geprägt. Auch beim Fußball ist das unverkennbar - hier bei einer Demonstration von Bergarbeitern im Bochumer Ruhrstadion 1997. | © picture alliance / augenklick/firo Sportphoto | Jürgen Fromme

Während der Europameisterschaft 2024 rollt auch in zwei Stadien im Ruhrgebiet der Ball. Kein Wunder – das „Revier“ tief im Westen gilt als Keimzelle des deutschen Fußballs, insbesondere auch abseits moderner Hochglanz-Arenen.

Von Hendrik Nolde

Fußball ist im Ruhrgebiet keine Begleiterscheinung, sondern vielfach zentraler Bestandteil des Lebens. Den Lieblingsverein bekommen Kinder meist schon kurz nach der Geburt von ihren Eltern in die Wiege gelegt. Ob Borussia Dortmund, Schalke 04, VfL Bochum, Rot-Weiss Essen oder MSV Duisburg: Die Wahl fällt dabei nicht leicht. Eine Vielzahl von Fußballvereinen tummelt sich zwischen Rhein und Ruhr, darunter einige der größten und bedeutsamsten in ganz Europa. Hinzu kommen glorreiche Namen der Vergangenheit, die sich heute in niedrigeren Gefilden tummeln wie Rot-Weiß Oberhausen oder die SG-Wattenscheid 09. Nachbarschaftsduelle sind da an der Tagesordnung – nicht umsonst spricht man vom „Land der 1.000 Derbys“. Gelebt wird der Fußball hier aber vor allem abseits der großen Arenen der Bundesligisten. Auf unzähligen Ascheplätzen messen sich jedes Wochenende tausende Amateurkicker*innen und beim Bier in der Eckkneipe gibt es ohnehin zumeist kein drängenderes Gesprächsthema. Franz Beckenbauer lag goldrichtig als er einst sagte: „Das Herz des Fußballs schlägt im Ruhrgebiet“.

Nicht zuletzt ist der Fußball in der Metropolregion „tief im Westen“ Deutschlands ein soziales Phänomen. Eng mit der Geschichte des Bergbaus in der Region verknüpft, bot der Fußball zunächst einen willkommenen Ausgleich zur harten Arbeit „unter Tage“. Nach dem Niedergang der Schwerindustrie dienten die Erfolge der Vereine aus dem Revier als Hoffnungsschimmer in einer Region, der mit den Schließungen der Zechen ihre Existenzgrundlage genommen schien. Der Mythos der Malochervereine, die die Werte der „Kumpel“ weitertragen, hält sich hartnäckig und wird von den großen Vereinen bewusst zur Imagepflege genutzt – Millionengehältern und Bemühungen um globale Erschließung neuer Märkte zum Trotz.

Die Seele des Ruhrgebietsfußballs erschließt sich hingegen oft erst auf den zweiten Blick – genauso wie der Charme dieser zunächst mitunter grau und trostlos erscheinenden Region. Hinter der Betonwüste verbirgt sich eine schroffe Herzlichkeit, eine lebendige kulturelle Szene und eine diverse Städtegesellschaft, die in Deutschland in dieser Dichte wohl einzigartig ist. Der Fußball dient dabei auch als verbindendes Element und gesellschaftlicher Kitt. Über alle Vereinsfarben hinaus hat sich der einstige Volkssport zu einem Kernelement regionaler Identitätsstiftung entwickelt, dessen kultureller Wert immer mehr Beachtung findet – zuletzt in Form der Sonderausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ im Ruhr Museum in Essen.
 

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