Mal nachgefragt
So sehen wir das mit Migration, Rassismus und Feminismus!

Wird Alltagsrassismus gerade salonfähig in Deutschland? Wir stellen sechs Künstlerinnen und Künstler vor, die in ihren Romanen, Videos, Theaterstücken, mit ihren Installationen und ihrer Musik irrwitzig, hellwach und knallhart Position beziehen.

Fatmay Aydemir Foto (Ausschnitt): © Bradley Secker

 

Fatma Aydemir: Ellbogen

Im H&M strömt uns frischer Raumsprayduft entgegen. Wir laufen direkt in den hinteren Teil, wo die reduzierten Klamotten hängen. Bei uns in der Müllerstraße gibt es zwar auch eine Filiale, aber da sind alle guten Sachen immer sofort ausverkauft. Die Leute stehen morgens schon mit ihren Kinderwagen Schlange, bevor der Laden überhaupt öffnet. Dann stürmen sie rein und reißen alles an sich, was nicht gestreift oder orange ist. In Mitte ist das anders. In Mitte ist morgens um zehn kaum was los und die paar Frauen, die um diese Uhrzeit nicht bei der Arbeit sind, gehen supergelangweilt durch den Laden und streifen höchstens mal ein, zwei Kleider mit den Fingerspitzen, bis sie mit einer Dreier-Packung Socken wieder raus spazieren. Nach den reduzierten Sachen gucken die erst gar nicht.

Auszug aus dem Roman Ellbogen von Fatma Aydemir


„Weiße Feminist*innen sind sich häufig ihrer eigenen Privilegien unbewusst. Dabei verlaufen sehr konkrete Grenzen im Alltag, die Women of Color aus Räumen ausschließen. Meine Romanheldin Hazal benennt sie nicht nur, sie versucht sie immer wieder aufzulösen. In dieser Szene geht es etwa um die ökonomischen und sozialen Barrieren zwischen den beiden Berliner Stadtteilen Mitte und Wedding. So können zwei Filialen ein und desselben Textilunternehmens mit exakt derselben Auswahl an Produkten ganz unterschiedlich konnotiert sein, aufgrund der Kaufkraft und des sozialen Hintergrunds der Kund*innen.“
 

Fatma Aydemir, geboren 1986 in Karlsruhe. Studium der Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2012 Redakteurin bei der taz in Berlin. 2017 erschien ihr Debütroman Ellbogen im Hanser Verlag.
Technocandy Foto (Ausschnitt): © Technocandy

Technocandy: Meine Nase läuft – Deine Stars hautnah

ich mag keine opfer
ich mag es, wenn das land geliebt wird
ich liebe und liebe
ich liebe frauen und kinder
wer das land liebt, bleibt dort
wer das land liebt, sammelt müll von den wanderwegen: umweltliebe ist heimatliebe


„Das Video ist der Mittelteil einer dreiteiligen Trailer-Reihe, die wir für unser erstes gemeinsames Theaterstück gefilmt haben. Für Meine Nase läuft – Deine Stars hautnah haben wir als Ausgangspunkt verschiedene „neue“ rechte Bewegungen analysiert und ihre Parallelen aufgezeigt: etwa die Identitäre Bewegung, die sich als volksnah, traditionsbewusst und zugleich „hip“ inszeniert. In ihrem Auftreten und rhetorischen Verhalten stellt sie sich mit ihrem Aktionismus einerseits als „rebellische“ rechte Jugendbewegung dar und versucht zugleich durch Image-Videos die sogenannte bürgerliche Mitte an sich zu binden.“ 

Rechte Positionen, Meinungen und Aktionen werden somit immer weiter normalisiert und die Grenze des sag- und machbaren immer weiter nach rechts verschoben. Zugleich formierten sich während der Vorbereitungsphase unseres Stücks 2015/2016 vermehrt sogenannte deutsche Bürgerwehren. Mit ihren Aufrufen zur Selbstjustiz, zum Schutz des "Volkskörpers" und zur Verteidigung der „deutschen Frau“ verbreiten sie rechte, rassistische, antisemitische, populistische, reaktionäre Hassreden, welche bis heute in Gewaltangriffen gegenüber Schwarzen, People of Color und Juden_Jüdinnen ihren Höhepunkt finden.“ 

„Auf der Bühne spielen wir selbst solche Alltagsrassist_innen, die trotz bonbonfarbener Bomberjacken alles andere als harmlos sind. Als Akteur_innen auf der Bühne ist uns zudem die künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht vor der strukturellen Gewalt, die uns täglich und vieldimensional entgegenschlägt, ein wichtiges Anliegen. Wir brechen mit der traditionellen Narration, in welcher Marginalisierte nur Opfer sein können: Im Theaterraum realisieren wir eine Utopie, in der die Rechtsradikalen die sogenannte ‚neue rechte Mitte‘, die Rassist_innen am Ende den Marginalisierten erliegen.“

Technocandy sind Frederik Müller, Golschan Ahmad Haschemi und Banafshe Hourmazdi. Banafshe und Frederik arbeiten seit 2013 miteinander. Seit 2016 macht Golschan die Gruppe rund. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und findet: Die Theaterlandschaft in Deutschland ist weiß. So weiß wie das Edelweiß, das in jedem guten Heimatfilm gepflückt werden muss, um das richtige Sehnsuchtsgefühl zu vermitteln. „Wir setzen den Kontrapunkt als drei Künstler_innen, die aus biografischen, künstlerischen, politischen Gründen in der hiesigen Theaterlandschaft nicht der Norm entsprechen.“
Nuray Demir Foto (Ausschnitt): © Studio Schramm Berlin

Nuray Demir: banner, Installation, 600 x 140 CM, 2017

„In meiner Installation banner verknüpfe ich sowohl auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene eine Vielzahl feministischer Theorien und Textsorten, die seit den 1990er-Jahren zirkulieren und bisher kaum Beachtung fanden. Für die Installation banner greife ich auf die Praxis der Anfertigung und Verwendung des Demonstrationsbanners zurück und übertrage diesen in das Kunstfeld beziehungsweise den Ausstellungsraum. Die Textstücke und Zitate beziehen sich auf Forderungen, die nach wie vor aktuell sind und den Handlungsbedarf in Kunst und Kultur deutlich machen. Das ästhetische Zusammenspiel der heterogenen Textsorten ist insofern auch durchaus als Apell an solidarische Zusammenschlüsse vereinzelter feministischer Praktiken zu verstehen, die Rassismen, Klassismus und die Forderung Migration als Normalzustand anzuerkennen, einbeziehen. By the way, Feminismus bedeutet für mich immer intersektionaler Feminismus.“
 

  • Anfertigung von „banner“ Foto (Ausschnitt): © Nuray Demir

  • Anfertigung von „banner“ Foto (Ausschnitt): © Nuray Demir

  • Anfertigung von „banner“ Foto (Ausschnitt): © Nuray Demir

  • Anfertigung von „banner“ Foto (Ausschnitt): © Nuray Demir

  • Anfertigung von „banner“ Foto (Ausschnitt): © Nuray Demir

  • Anfertigung von „banner“ Foto (Ausschnitt): © Nuray Demir

  • „banner“ fertig Foto: © Eric Tschernow

  • „banner“ fertig Foto: © Eric Tschernow

Nuray Demir studierte an der Ècole Supérieure des Beaux-Arts in Marseille, an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Sie realisierte Projekte als Künstlerin/Kuratorin an und mit diversen Institutionen, darunter Kampnagel in Hamburg, die Sophiensaele in Berlin, das HAU/Hebbel am Ufer in Berlin und die Wiener Festwochen. Ihre transdisziplinäre, forschungsbasierte Praxis als Künstlerin/Kuratorin nimmt Form an in kollaborativen und zeitbasierten Projekten. Überlegungen zu intersektionalem Feminismus, Migration und Postkolonialismus übersetzt sie in künstlerische/kuratorische Arbeiten, um sie dort zur Diskussion zu stellen.  
Jäger und Sammler von Tarik Tesfu Filmstill: Jäger und Sammler © Tarik Tesfu

Tarik Tesfu: Hautverdächtig

Für euch, die „Das wird man doch noch sagen dürfen-Gang“, bin ich der Ausländer, der Flüchtling, der Mohr, der Ziegenficker, der Drogendealer, der Neger, das Schokotörtchen, der Andere. Und ich dachte, ich sei einfach nur ich. Wie dumm von mir!

„In Zeiten von AfD und Co. habe ich oft das Gefühl, dass vielen Menschen erst jetzt auffällt: Hoppla, Deutschland hat ja ein Rassismus-Problem. Der Rassismus war aber schon immer da, nur ist er jetzt „salonfähiger“ geworden. Und wie lösen wir das Dilemma? Mit Femstream! Denn Rassismus und das olle Patriarchat können nur vom Thron gekickt werden, wenn Feminismus und Mainstream Hand in Hand durchs Leben hüpfen. Femstream sei Dank wird ganz bald die Wertschätzung aller Menschen im Mainstream angekommen sein. Hurra!“

Seit 2015 fuselt Tarik Tesfu im Rahmen seiner Video-Kolumne Tariks Genderkrise als selbsternannter Gender-Messias durchs Netz. Seine Botschaft: Genderlove! Im Jahr 2017 launcht Tarik das Video-Format Tariks Tschau-Kakao-Krise. Der neue Name ändert natürlich nichts an seinem feministischen Auftrag: Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit den Stinkefinger zu zeigen. On top ist Tarik einer der Hosts von Jäger & Sammler, einem investigativen Netz-Projekt auf Facebook und YouTube. 
Thandi Sebe, Amina Eisner in „Jung, Giftig und Schwarz“ Foto (Ausschnitt): © Ute Langkafel/Maifoto

Thandi Sebe, Amina Eisner: Jung, giftig und Schwarz

OLLE1: Als ich kleiner war, hab ich mich auch immer dunkel geschminkt, weil ich unbedingt so aussehen wollte.
POLLY: (langsam sehr genervt) Das nennt man blackfacing.
OLLE1: Ich hab doch auch ‘ne schwarze Strumpfhose an... Ist das Blackfacing für die Beine? Blackbeining quasi :) lacht
OLLE2: Du meintest das ja auch positiv, so wie eine Hommage an Schwarze Menschen. Ne, das ist ja dann nicht rassistisch.
LAELA: Blackfacing ist immer rassistisch.
OLLE2: (zu Polly) Ey weißte an wen du mich voll erinnerst? Beyoncé! Du siehst der voll ähnlich!
POLLY: (dankbar) echt?
OLLE2: Ja, echt übertrieben, oder? (zu OLLE1. Sie stimmt zu)
(zu LAELA) Und du siehst voll aus wie Tina Turner. 

 

Auszug aus dem Theaterstück Jung, Giftig und Schwarz von Thandi Sebe und Amina Eisner


„Dies ist ein wichtiger Dialog aus unserem Theaterstück Jung, Giftig und Schwarz, der als Flashback in einem auf die Bühne projizierten Video erscheint. Zwei weiße Frauen, die den schwarzen Hauptcharakteren Polly und Laela auf einer Clubtoilette begegnen, versuchen die beiden in ein Gespräch zu verwickeln, in dem diese immer wieder auf ihr Schwarz-sein und die damit verbundene wahrgenommene „Coolness“ reduziert werden.“
 

Die deutsch-südafrikanische Künstlerin Thandi Sebe, (geb.1988 in Berlin) arbeitet interdisziplinär in den Bereichen Regie, Schauspiel und Film sowie als Theaterautorin und Sängerin. Am Theater arbeitete sie zuletzt im Ballhaus Naunynstraße als Autorin, Regisseurin und Schauspielerin mit den Produktionen Jung, Giftig und Schwarz (2015) und Call me Queen (2017). Anfang 2017 spielte sie ihre erste Hauptrolle in dem US-amerikanischen Spielfilm Empire of the Sharks.
Amina Eisner, 1990 in Berlin geboren, studierte Schauspiel und Regie (Drama) an der Liverpool John Moores University. Gemeinsam mit Thandi Sebe schrieb sie Jung, Giftig und Schwarz, gemeinsam führten sie Regie und standen als Polly und Laela auf der Bühne. Zur Zeit lebt und arbeitet sie in London.
Die Künstlerin Ebow Foto (Ausschnitt): © Magdalena Fischer

Ebow: Asyl 

Alle klingen so: Asyl
Und alle singen so: Asyl
Gib mir das Visum.
Asyl 

Foto (Ausschnitt): © Ebow
Ebow: Asyl (aus: Habibi’s Liebe und Kriege)

„Es ist wichtig, vor allem als Feminist*in of Color, sich mit seiner Kunst zu politischen Themen zu äußern. Meine Motivation für Songs wie Asyl ist es, den Raum für mich zu beanspruchen. In diesem ist meine Meinung genauso wichtig, wie die von Journalist*innen, Spezialist*innen, Politiker*innen etcetera. Meine Texte analysieren nicht von außen, sondern aus der Mitte heraus. Rap-Musik ist für mich schon immer ein Instrument gewesen, um meine Perspektive auf verschiedenen Ebenen zu erläutern, sei es provokant oder humorvoll.“

Ebow ist der Künstlername von Ebru Düzgün. Erstmals Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte Ebow durch Guerilla-Auftritte im Münchner Bahnhofsviertel, es folgten zahlreiche Liveauftritte auf konventionelleren Bühnen. Mit dem selbstproduzierten halbstündigen Video-Mixtape Habibi’s Liebe und Kriege verortete sich Ebow zwischen Hip Hop und orientalischen Klängen und verpackte soziale Realität in angriffslustige Texte, die von Geschlechterrollen in der türkischen Community, falschen Patriotismus bis zu Waffenhandel reichen.
 

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