Pradnya Bivalkar

Pradnya Bivalkar promovierte an der Universität Tübingen, Deutschland. © © Pradnya Bivalkar Pradnya Bivalkar © Pradnya Bivalkar

Herkunft: Pune, Indien
Wohnort in Deutschland: Berlin
Beruf: Leitende Projektmanagerin, Robert Bosch Stiftung, Berlin

Pradnyas Leben in Deutschland

Pradnyas erster Eindruck von Deutschland war eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Als sie 2007 bei ihrem ersten Aufenthalt den Münchner Viktualienmarkt besuchte, wirkte er auf sie wie ein gastronomisches Wunderland aus Käsedelikatessen, Fleisch und frischem Gemüse - in Farbe. Sie war den Anblick des Marktes in Videos aus ihren Deutschkursen am Max Mueller Bhavan in Pune gewohnt. Nun fühlte es sich an, als fände sie sich in einer aktualisierten Version desselben Films wieder. „Es war seltsam“, erinnert sie sich in ihrer Wohnung in Berlin, wo sie inzwischen lebt. „Es waren keine Deutschen Mark auf den Preisschildern ausgeschrieben und alles war so modern. Es fühlte sich surreal an.“

Pradnya begann früh, sich mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut zu machen. Nach der Schule besuchte sie Deutschkurse am Max Mueller Bhavan. Das ebnete ihr den Weg zu einem Germanistikstudium an der Universität von Pune. Als sie für ein viermonatiges Stipendium in Tübingen eintraf, das später in ein Promotionsstudium münden sollte, hatte sie noch nie längere Zeit außerhalb Indiens gelebt.

„Ich freute mich sehr auf das Leben im Wohnheim und auf die Uni. Dort lernte ich nette Menschen aus aller Welt kennen“, erinnert sie sich. Über das Kochen indischer Gerichte kam sie ihren MitbewohnerInnen näher, auch wenn die ihren fauchenden Dampfkochtopf zunächst mit Argwohn beäugten, war er doch ein eher ungewohnter Anblick in der kleinen süddeutschen Universitätsstadt.

Eine Begegnung mit dem deutschen Gesundheitssystem

Pradnya, die 2009 zu einem befristeten Stipendium in Tübingen eintraf, lernte dort das deutsche Gesundheitssystem aus erster Hand kennen. Ein unerwarteter medizinischer Notfall brachte sie ins Krankenhaus. „Meine ProfessorInnen scharten sich um mich und halfen mir, die Gesundheitskrise zu überstehen. Sie suchten nach Wegen, mein Stipendium und meinen Aufenthalt zu verlängern. Als ich meine Familie in Indien am dringlichsten vermisste, wurden mir meine KollegInnen zur Ersatzfamilie“, erzählt sie. Das Erlebnis räumte auch ihre falschen Vorstellungen vom Materialismus der Menschen in reichen westlichen Ländern wie Deutschland aus, in denen sie einen sozialen Zusammenhalt wie in Indien nicht erwartet hatte.

Als Studentin half ihr das Gesundheitssystem, ohne ihr hohe Kosten aufzubürden. „Jetzt stehe ich auf der anderen Seite des Spektrums und trage gerne zur Finanzierung dieses Systems bei, weil ich selbst von ihm profitiert habe.“

Wie man (nicht) Deutsch spricht

Ihre Deutschkenntnisse eröffneten ihr eine neue Welt – auch wenn sie sagt, ihre Sprache habe zu Anfang etwas gestelzt geklungen. Sie wollte sich unbedingt grammatikalisch korrekt ausdrücken und verwendete selbst in ungezwungenen Gesprächen hochtrabende Ausdrücke, die sie aus ihren Lehrbüchern kannte – und die oft schon etwas angestaubt wirkten. Doch ihre Sprache verbesserte sich schnell und ihre Eingewöhnung in die deutsche Gesellschaft verlief insgesamt reibungslos.

Ihre Deutschfertigkeiten verhalfen ihr, so vermutet sie, wohl auch zu ihrem ersten Job. InderInnen in Deutschland arbeiten häufig im Technologiesektor, doch Pradnyas Interesse an Sprache, Kultur und internationalen Beziehungen machte sie zur perfekten Kandidatin für interkulturelle Stellen.

Kulturgeier oder Karma-Chamäleon?

Pradnya Bivalkar in Deutschland © © Pradnya Bivalkar Pradnya Bivalkar © Pradnya Bivalkar
Deshalb wurde sie Projektleiterin für ein Stipendienprogramm für JournalistInnen namens „Medienbotschafter“, das von der Robert Bosch Stiftung betrieben wird. „Ich denke, das Thema meiner Dissertation sowie die Tatsache, dass ich Einwanderin erster Generation bin, verschafften mir einen Vorteil“, meint sie. Das Programm soll stereotype Narrative über Deutschland und Indien in den Medien beider Länder aufbrechen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit pflegt Pradnya Kontakt mit JournalistInnen aus Indien und Deutschland, konzipiert Orientierungskurse, führt sie durch Medienhäuser und fungiert als Brückenbauerin zwischen zwei Kulturen. „Es geht darum zu zeigen, dass Indien nicht nur aus Schlangenbeschwörern und Elefanten besteht“, lacht sie.

Pradnya sagt, die Arbeitskultur in Deutschland habe ihre Perspektive auf das Arbeitsleben insgesamt verändert. „In Indien wächst man nicht mit kritischem Feedback auf. Aber an deutschen Arbeitsplätzen wird klar kommuniziert, auch wenn es um kritische Einschätzungen der Arbeitsleistung geht.“

Trotzdem hat man durch die Arbeitsgesetze das sichere Gefühl, dass man nicht einfach ersetzt werden kann. „Ich habe gelernt, dass zehn Stunden am Tag zu arbeiten nicht unbedingt bedeutet, dass man produktiv ist“, fügt sie hinzu. Pradnya meint, das deutsche Arbeitsumfeld sei immer noch sehr homogen, und obwohl es Bestrebungen gibt, sei es noch ein weiter Weg, bis wahre kulturelle Vielfalt Einzug hält.

Einladen statt Ausgehen!

Auf ihrer ersten Reise nach München 2007 fand Pradnya es schwierig, zum Essen auszugehen, da es an vegetarischen Optionen mangelte. „Ich aß jeden Tag belegte Brote. Selbst eine einfache Margherita war schwer aufzutreiben“, erinnert sie sich. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute lebt sie in Berlin, das oft als „vegane Hauptstadt Europas“ bezeichnet wird und ihre kulinarischen Sorgen sind vergessen.

Darüber hinaus kocht Pradnya selbst indisches Essen und lädt FreundInnen an Feiertagen wie Diwali zu sich ein. Das Leben in Deutschland hat sie selbständiger gemacht. „Ich versuche, aus mir herauszugehen. Diese Furchtlosigkeit ist ein Nebenprodukt meines Lebens in Deutschland. Im Sommer reise ich alleine nach Südafrika“, meint sie zuletzt.

Schnellfragerunde mit Pradnya

Wie hat Deutschland deinen Blick aufs Leben geprägt?
Wie dieses Land seine Vergangenheit aufarbeitet hat mir geholfen, Dinge in meiner Arbeit ins rechte Licht zu rücken. Und das Leben hier hat mich unabhängiger gemacht.

Welchen Rat hast du für Menschen, die zum Leben oder Arbeiten nach Deutschland kommen wollen?
Sei offen und dir bewusst, dass das Leben hier anders ist und man sich erst eingewöhnen muss. Es ist nicht alles toll und einfach, aber es ist auch nicht alles schwierig und problematisch. Die Wahrheit liegt dazwischen.

Was ist dein deutsches Lieblingswort?
Mir gefällt, dass man im Deutschen Wörter zusammensetzen und so neue Wörter erschaffen kann, zum Beispiel „Meerwasserentsalzungsanlage“. Meine Lieblingswörter sind „Zeitgeist“ und „Zeitenwende“ – sie drücken die Werte unserer Zeit aus.

ÜBER DEN AUTOR

Prathap Nair ist freiberuflicher Autor in Düsseldorf, Deutschland.

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