Zusammenleben in der Pandemie
Eine Gesellschaft im Umbruch

Das einst positive wechselseitige Verhältnis zwischen der jüngeren und der älteren Generation in Südkorea wird nicht zuletzt seit der Pandemie auf eine schwere Probe gestellt.
Das einst positive wechselseitige Verhältnis zwischen der jüngeren und der älteren Generation in Südkorea wird nicht zuletzt seit der Pandemie auf eine schwere Probe gestellt. | Foto (Ausschnitt): © Keun Young Lee

In der südkoreanischen Gesellschaft ist es üblich, dass Eltern ihre erwachsenen Kinder viele Jahre finanziell unterstützen und somit eine enge Verbindung zwischen beiden besteht. Nicht zuletzt seit Beginn der Pandemie ist ihr Verhältnis jedoch belastet. Philosophieprofessor Kwang Sun Joo spricht über einen Konflikt zwischen den Generationen, den sich auch die südkoreanische Regierung zunutze macht.

Von Kwang Sun Joo

Im Jahr 2020 standen südkoreanische Männer im Alter zwischen 50 und 60 Jahren wegen ihres Verhaltens während der Coronapandemie in der Kritik. So war in den Nachrichten zu sehen, dass „schon wieder diese älteren Männer“ – so die Reaktion vieler Südkoreaner*innen - keinen Mund-Nasen-Schutz trugen und sich nicht an die Sicherheitsmaßnahmen hielten. Als schließlich Fälle von Masseninfizierungen unter jungen Erwachsenen, den 20- bis 30-Jährigen, in den Straßen von Itaewon, einem Ausgehviertel in Seoul, ausbrachen, wurden diese als die Generation kritisiert, die unvorsichtig sei und für Unruhe sorge. Die alte und die junge Generation verachtete und beschimpfte einander, sodass sogar behauptet wurde, eine Art „Krieg zwischen den Generationen“ sei ausgebrochen.

Und auch im Jahr 2021, in dem Corona weiter getobt hat, ging dieser „Generationenkrieg“ weiter. Auf der einen Seite steht die ältere Generation, die der Regierung vorwarf, nicht genügend Impfstoffe bereitzustellen, und die die jüngere Generation kritisierte, das Virus zu verbreiten. Die Generation der 20- bis 30-Jährigen hingegen protestierte, dass sie nicht die „Täter“, die die Infektionen vorantrieben, seien, sondern vielmehr die „Opfer“, da sie zunächst keine Impfstoffe erhalten konnten. COVID-19 trieb einen noch größeren Spalt zwischen die Generationen, der ohnehin schon existiert hat.

Konflikt zwischen den Generationen

Auch wenn der Begriff der Generationen in Südkorea oft verwendet wird, ist die Bedeutung nicht eindeutig. Wird der Begriff aus historischer Perspektive betrachtet, ist damit gemeint, dass Menschen eine kollektive Identität entwickeln, wenn sie ein bestimmtes historisches Ereignis gemeinsam erlebt haben und politische Kämpfe führen mussten, um soziale Probleme zu lösen. Bei den 20- bis 30-Jährigen und den 50- bis 60-Jährigen allerdings besteht kein Gefühl dieser kollektiven Identität, sodass es niemanden gäbe, der gesellschaftliche Diskurse vorantreibt und Probleme innerhalb der Generationen anspricht. Daher betrachte ich diesen „Krieg“ als etwas, das entstand, weil die Menschen wegen ihrer Panik vor einer Corona-Infektion und der allgemeinen Anspannung nach einem „Hassobjekt“ suchten, auf das sie ihre Ängste projizieren konnten.

Die These über einen „Krieg“ der Generationen hat es in der südkoreanischen Gesellschaft schon vor COVID-19 gegeben. Hier ist mit „Generationenkrieg“ der Konflikt zwischen den Generationen gemeint, die gegeneinander um die von der Regierung bereitgestellten Gelder, Arbeitsplätze und sozialen Chancen kämpfen. Es gibt vier Aspekte, die die These des „Generationenkrieges“ stützen. Durch die niedrige Geburtenrate und die höhere Lebenserwartung ist die Bevölkerungsstruktur in Südkorea rapide gealtert. Des Weiteren tendieren die jüngeren Generationen dazu, nicht an Wahlen teilzunehmen, die älteren Generationen hingegen schon, weshalb der Einfluss der Senior*innen mit wachsendem Bevölkerungsanteil auch bei den Wahlen wächst. Auch steigt die durchschnittliche Lebenserwartung, was der älteren Bevölkerungsschicht größere soziale Unterstützung einbringt, als sie selbst in jungen Jahren zur Gesellschaft beigetragen haben. Der letzte Aspekt zeigt, dass Südkorea sich zu einem Wohlfahrtsstaat entwickelt. Die Theoretiker*innen, die die These des „Generationenkrieges“ stützen, behaupten, dass der Staat aufgrund des Einflusses älterer Menschen weniger Geld für die Kindererziehung vorsehe und die Rente für Senior*innen erhöhe. Wenn man genau hinsieht, stimmt es zwar, dass nicht nur die Zahl der älteren Bürger*innen in der Gesellschaft, sondern auch die Leistungen, die diese beziehen, steigen. Jedoch kann man nicht sagen, dass das zu den Schwierigkeiten führt, in denen sich die jüngere Generation aktuell befindet. Vielmehr ist die Ursache hierfür in der Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu suchen.

Daher sollte der „Krieg zwischen den Generationen“ eher als eine Art Illusion betrachtet werden, die beispielsweise von machtgierigen Unternehmen oder Politiker*innen aufrechterhalten wird, um sich die Zustimmung der jüngeren Generation zu sichern. Deren Ziel ist es zudem beide Generationen gegeneinander aufzuhetzen, um die Verantwortung für ihre gescheiterte Politik abgeben zu können. Hier spielen die jüngere und die ältere Generation jedoch ein Nullsummenspiel, entfernen sich voneinander und werden missgünstig.

Wer unterstützt wen?

Wenn sich jedoch die Generation der 20- bis 30-Jährigen und die Generation der 50- bis 60-Jährigen zu Hause begegnet, stehen sie sich als Eltern und Kinder sehr nahe. Die größten Ausgaben der Generation der 40-Jährigen, die in Südkorea über den besten Lebensstandard und das höchste Einkommen verfügt, bilden die Bildungskosten ihrer Kinder. Für Eltern und Kinder ist eine harmonische Beziehung also unabdingbar.

In der koreanischen Tradition gibt es die Tugend der kindlichen Pietät, einer der Grundbegriffe des Konfuzianismus. Darunter versteht man, dass Eltern ihre Kinder großziehen und sich um sie sorgen, bis irgendwann die Zeit kommt, in der die Kinder selbst erwachsen sind und gemeinsam mit ihren Eltern unter einem Dach leben und diese pflegen. Mit der Industrialisierung veränderte sich allerdings die Familienstruktur von der Großfamilie zur Kernfamilie, in der Eltern mit ihren Kindern, aber von den Großeltern, getrennt leben. Nach der Währungskrise im Jahr 1997 hatte die Generation der Kinder weniger Geld zur Verfügung als ihre Eltern. Die Zeit, in der die Kinder über ein gesichertes Einkommen verfügten und wohlhabend waren, ging vorbei. Als sie als Erwachsene Teil der Gesellschaft wurden, fanden sie sich in einer Welt mit schlechten und unsicheren Arbeitsbedingungen wieder; durch die steigenden Immobilienpreise kämpften sie zudem noch mit Wohnungsknappheit. So konnten – und können - Eltern nicht anderes tun, als ihre Kinder finanziell zu unterstützen.

Die Theoretiker*innen des „Generationenkrieges“ denken über diese Dinge, die das Ergebnis extremer Ungleichheiten sind, sicher nicht nach. Natürlich stimmt es, dass der Arbeitsmarkt für die junge Generation wegen COVID-19 aktuell angespannt ist. Aber weiter im „Krieg der Generationen“ festzustecken, wird die Situation jedoch nur verschlechtern. Jetzt ist es an der Zeit, über die Solidarität zwischen den Generationen nachzudenken.
 

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