In ihren Arbeiten beschäftigt sich Bettina Lockemann im Schwerpunkt mit urbanen Themen: Sie sucht ihre Fragestellungen mit Vorliebe im Raum urbaner Verdichtung auf und setzt diese mit den Medien Fotografie und Video um. Lockemann ist in Berlin geboren und aufgewachsen, hat in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie und Medienkunst studiert und an der Stuttgarter Kunstakademie im Fach Kunstgeschichte promoviert. Zurzeit ist sie als freie Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin tätig, zuvor hat sie insgesamt fünfzehn Jahre an verschiedenen Hochschulen gelehrt, zuletzt als Professorin für Praxis und Theorie der Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.
Die Stadt ist mehr als der Lebensraum vieler Menschen. In der Stadt werden die zentralen Herausforderungen der Menschheit sichtbar. Vielfältige Interessen prallen hier aufeinander, die Aushandlungsprozesse über Räume und Identitäten, Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften und gesellschaftliche Teilhabe erfordern. Die Stadt in ihren gebauten und sozialen Strukturen ist der Versuch, Antworten auf diese großen Fragen zu finden.
Bettina Lockemann geht ihre Arbeiten konzeptionell an. Sie beginnt ihre Annäherungen mit einer umfassenden Recherche, die ihr die experimentelle Formulierung einer Frage erlaubt, welche sich im Laufe der dokumentarischen Erkundungen zu bewähren hat. Die Orte geben ihrer künstlerischen Herangehensweise das Maß. Wie ist es möglich, die vorgefundenen Gegebenheiten fotografisch zu erfassen? Wie können Zusammenhänge der Reflexion zugänglich gemacht werden, die vor Ort zunächst nicht sichtbar waren? Lockemann fordert durch den Fokus auf das Unscheinbare und offenbar wenig Spektakuläre die Betrachter_innen dazu heraus, sich aktiv mit ihrem Wissen in die Rezeption der Bilder einzubringen.
Die meist umfangreichen fotografischen Serien und Videoinstallationen thematisieren vielfältige Aspekte des städtischen Raums. Z.B.: Überwachung („Code Orange“, 2003) und Verschwinden des öffentlichen Raums („Fringes of Utopia“, 2002), Tatorte des Holocaust in Berlin („Plan“, mit Elisabeth Neudörfl, 1999) oder die urbane Revitalisierung in New Orleans („Post-Shrinking City“, seit 2014). Auch tagesaktuelle Entwicklungen finden mitunter Eingang in ihr Werk, so die Situation in Kairo ein Jahr nach dem Arabischen Frühling („Traffic“, 2012) oder Paris im Ausnahmezustand nach den Anschlägen vom 13. November 2015 („État d’Urgence“, erscheint bei spectorbooks Leipzig im Frühjahr 2016). Ihre Arbeiten werden international ausgestellt, zudem als Bücher konzipiert und publiziert.
In Bangalore wird Bettina Lockemann sich mit dem Thema Mobilität beschäftigen. Es interessiert sie besonders, dieses global sehr akute Thema in einer stark wachsenden Stadt wie Bangalore zu erforschen. Sie wird Fragen nach Transportmöglichkeiten, Nutzungsverhalten, Effizienz, Infrastruktur- und Stadtplanung unter Schlagworten wie Geschwindigkeit/Stillstand, Lärm/Ruhe, Smog, Hitze, aber auch Klasse und Geschlecht nachgehen und dafür visuelle Umsetzungen entwickeln.
Abschlussbericht
Bereits die Ankunft in meiner Unterkunft nach einem langen Flug und der Begrüßung am Flughafen zeigte, dass ich das richtige Thema gewählt hatte. Der Taxifahrer konnte die Adresse nicht finden und so mussten nachts um 4:00 diverse Menschen aus dem Bett geklingelt werden, die dem Taxifahrer den Weg erklären konnten.
Willkommen in einer Stadt, die Straßen viertelweise durchnummeriert. Wenn man nicht weiß, dass bereits der einzelne Stadtteil den Straßennamen doppelt vergeben hat und es aber wichtig ist zu wissen, dass es einen Namen für den Unterstadtteil gibt, den Googlemaps aber wiederum nicht kennt, dann kann man schon mal verloren gehen.
Also war ich hier genau richtig, um zum Thema Mobilität zu arbeiten. Dankbar um die schön ruhig gelegene Unterkunft im Gästehaus des IIHS am Sankey Tank, wo ich morgens mit Vogelgezwitscher und nicht mit Verkehrslärm geweckt wurde, konnte ich meine Tage auf lärmenden und verpesteten Kreuzungen verbringen und nachts wieder Kraft tanken, um mich den Anstrengungen des Tages zu stellen – zu Hektik, Lärm und Gestank gesellten sich Temperaturen von ca. 40 Grad.
Die KollegInnen im IIHS vermittelten Kontakte zu ForscherIinnen und zur Verkehrsplanungsverwaltung, gaben Hinweise auf Orte, an denen ich bestimmte Verkehrsprobleme hautnah erleben konnte, schlugen Filme und Literatur vor, damit ich mich auf allen Ebenen in mein Thema einarbeiten konnte. Ich probierte sämtliche Verkehrsmittel aus und stand auch mal 60 Minuten an der Bushaltestelle, um dann doch eine Rikscha zu nehmen. Nachdem ich das System der Buslinien verstanden hatte, nahm ich oft den Bus und saß zwischen Frauen, die sich nichts anderes leisten können, oft mehr oder weniger heimlich von ihnen beäugt, da Weiße normalerweise nicht Bus fahren (Frauen und Männer sitzen in Bangalores Bussen getrennt voneinander: Frauen vorne, Männer hinten). Die unterschiedlichen sensuellen Erfahrungen der Verkehrsmittel, das Eintauchen in die Masse im Bus, der Luftzug in der Rikscha sowie die direkte Nähe zu den anderen Verkehrsteilnehmern oder aber das Abgeschottetsein im klimatisierten Taxi faszinierten mich und inspirierten meine Fotografie.
Einer der Höhepunkte war die Eröffnung des neuen Tunnelstücks der Metro, das die erste durchgehende Metroverbindung von Ost nach West schafft und Transportzeiten in der Stadt nachhaltig reduziert. Gefreut habe ich mich darüber, dass es danach in der Metro oft voll war, dass es also tatsächlich gelingen kann, Menschen von der Straße zu holen, was der Stadt langfristig gut tun wird. Als Freundin des öffentlichen Nahverkehrs testete ich ganz unterschiedliche Mobilitätsketten, lernte angstfrei viel befahrene Straßen zu überqueren, mit Busschaffnern zu diskutieren und die richtige Tageszeit für die Heimfahrt abzupassen, um nicht stundenlang im Stau zu stehen. In einer Stadt, in der die Frage, wie man von a nach b kommt und wie lange das wohl dauern wird, stetig diskutiert wird, konnte ich mich nach einiger Zeit sehr gut bewegen und zurechtfinden, was meinem Projekt „Commuter Space“ zugute kam.
Das Goethe-Institut schaffte eine großartige Basis für die Arbeit, indem es Kontakte zu Einheimischen herstellte, so dass ein intensiver Austausch möglich wurde und ich auf Menschen traf, die sich für mein Thema interessierten. Diese haben den Arbeitsprozess tatkräftig unterstützt, so dass es tatsächlich möglich war, in der kurzen Zeit eine Arbeit zu realisieren.
Die bangaloREsidency war für mich ein guter Einstieg, Indien und die indische Kultur kennenzulernen. Die neuen Freundschaften und Kontakte lassen hoffen, dass ich bei Gelegenheit wiederkommen werde.