Daliah Ziper (*1986) schloss ihre Studien als Meisterschülerin in der Filmklasse von Thomas Arslan an der Universität der Künste Berlin (2017) ab. Zuvor erlangte sie den Master of Arts in Narrative Environments am Central Saint Martins - University of the Arts London (2011).
Seither sind Städte und Räume ihr Experimentierfeld, Inspiration, Forschungsgegenstand und Protagonisten in ihren Projekten. Ihre Kurzexperimentalfilme wurden auf Filmfestivals, in Galerien und Kunstmessen sowie im Deutschen Filmmuseum gezeigt. Begleitet werden ihre filmischen Arbeit oft durch das statische Bild, indem sie mit analoger und digitaler Fotografie ihre Themen im Kontext des Stillstands reflektiert. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Publikationen veröffentlicht, unter anderem im WomenCinemakers Magazine (Biennial Edition 2018).
Durch Filmförderungen, Künstlerresidenzen und Stipendien hatte Daliah Ziper die Möglichkeit ihre Recherchen und Produktionen im Ausland fortzusetzen. So hat sie beispielsweise während ihrer ersten Künstlerresidenz eine Debatte zur Wahrnehmung leerstehender Gebäude in Tetovo (MZ) angestoßen und diese in Tirana (AL) weitergeführt. Eine dreisprachige Publikation ist hieraus in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Skopje entstanden. Mit ihrem neu gegründeten Verlag Edition Zip schafft Daliah Ziper seit Beginn dieses Jahres ein Archiv für Autorenfilme, mit dem sie dokumentarische Filmtexte einem erweiterten Publikum eröffnet.
BANGALORE STATE OF MIND
In Bangalore wird sich Daliah Ziper auf die Suche nach dem Seelenzustand der Stadt begeben. Zusammen mit lokalen Künstlern möchte sie einen mobilen Erzählort schaffen, wo die Bewohner der Stadt mit ihren Gedanken, Geschichten, Anekdoten und Wünschen zu dem Narrativ des Projektes beitragen können. Während der bangaloREsidency möchte sie den historischen Beruf des Schreibers aufgreifen, der im öffentlichen Raum Narrative der Stadt festhält. Dieses dokumentarische, performative und partizipative Projekt macht es sich zum Ziel den emotionalen Status quo der Stadt Bangalore einzufangen und die lokale Bevölkerung wesentlich miteinzubeziehen.
ABSCHLUSSBERICHT
Bangalore Bangaluru
BANGaluru
Du überwältigst mich. Überforderst mich. Überangstrengst mich. Aber dennoch, inspirierst Du mich, reizt und berührst mich. Du bestärkst mich, die Dinge auszusprechen. Was genau? Die Wahrheit. Die wäre? Das weiss ich noch nicht. Jedenfalls hat sie mit Sicherheit immer zwei Seiten (siehe Projektbeschreibung).
Jede Stadt ist vielseitig, mehrschichtig und oft auch widersprüchlich. In keiner anderen Stadt habe ich eine derartige Vielschichtigkeit erlebt wie in Bangalore.
Diese Stadt, einst auch Garden City oder Naked City genannt, heute das Silicon Valley in Indien, ist grün und grau, stumpf und farbig, wild und doch beständig, schnell und langsam. Bangalore ist sauber und dreckig, hell und dunkel, alt und modern, faul und disziplinert. Es ist voll. Vollgepackt. Autos, Motorräder, Menschen, Kühe. Und dennoch ist es auch leer. Oder nicht? Doch, auch eine gewisse Leere lässt sich in Bangalore auffinden. Natürlich nicht mit dem gewöhnlichen Blick auf die Stadt, aber wenn man genauer hinschaut, wird man eine Lücke spüren, eine Kluft.
„Never try to change India.“ Natürlich nicht, warum sollte ich. Es ist der Ort, an dem man das nackte Überleben sieht und spürt. Hier herrscht: survival of the fittest. Das kann gnadenlos und schockierend sein. Aber es ist die Realität in der wir leben. Die Welt in der wir leben. Und wenn Du jetzt denkst: „Oh Gott, das ist ja bestimmt der wilde wilde Osten“, dann hast Du Dich getäuscht. Eigentlich bist du in Bangalore im Westen. Zahlreiche Shopping Malls, Glanz und Glamour, Konsum von "Death by chocolate“ Eiscream bis hin zu Humus und Craft Beer. Wenn Du dies suchts, wird es Dir Bangalore mit Vergnügen servieren.
Aber da gibt es noch eine viel reizvollere, charmantere und interessantere Seite dieser Stadt. Das ursprüngliche, einheimische, ehrliche und alltägliche Bangalore: von Dampf bedeckten Hinterhöfe, eindringlichem und unerträglichem Lärm. Aber hier siehst Du wie Seide gefärbt wird, wie aus Zuckerrohr eine Limonade wird, Fischmärkte und kleine Schreine. Schau Dich um nach all den unzähligen kleinen Details in jedem Winkel der Stadt, welche Dir was Neues erzählen und entdecken lassen. Schau hoch wie die Vögel ihre Kreise fliegen und auf die nächste Ratte abzielen, schau runter, um die schönen Kolams zu sehen, welche Frauen jeden Morgen vor ihre Haustür malen. Aber schau auch wirklich runter, um nicht hinzufallen, denn die Straße birgt unzählige tiefe Löcher und auch viele Haufen, seien sie von Kühen oder anderen Lebewesen. Schau nach links, um das an Dich gerichtete Lächeln einer fremden Person zu erhaschen. Schau nach rechts, um Ausschau zu halten nach den omnipräsenten Autos und Motorrädern. Nein, sorry: Du musst nach rechts, links, vorne und hinten schauen, um entsprechend aufzupassen, denn die Fahrzeuge kommen von allen Seiten. Auch wenn es ein Linksverkehr ist, hindert es die Fahrer nicht daran auch rechts, diagonal oder oben und unten zu fahren. „Everything is possible in India.“ Und Du wirst den Kopf schütteln und Dich fragen, Warum nur? Warum ist dies so und das so? Aber diese Fragen führen zu nichts. „If you every wonder WHY the hell? then always think about the population and you’ll have the answer.“ In Bangalore leben 12 Millionen Menschen auf einer Fläche, die so groß (oder klein) ist wie Berlin. Das bedeutet dann natürlich, dass die Menschen sich ihre zurechtgeschusterten Lösungen finden müssen, Wege und Umwege, Möglichkeiten und Chancen.
Und sie werden auch ihre Chance bei Dir versuchen: „Madam, another (very important) chess game for you?“ Und Du wirst sehr wahrscheinlich Nein sagen. Aber überlege es Dir noch mal. Wann wirst Du wieder in Indien sein und die Gelegenheit haben, all diese kleinen handgemachten Schätze zu erwerben, dessen Preise sich enorm hoch anhören, aber eigentlich nur so viel kosten wie ein Kaffee in Deutschland. Ist das richtig? Ist das fair? Was ist richtig? Was ist fair? Diese Fragen wirst Du Dir womöglich öfter stellen. Widersprüche, Gegensätze, extreme Unterschiede zwischen Einkünften, Lebens- und Verhaltensweisen. Ist das richtig? Ist das fair? Ich weiss es nicht. Die Wahrheit hat immer zwei Seiten. Und so auch Bangalore.
Vielen Dank an das Goethe Institute und ShanthiRoad für diese wertvoll Erfahrung.
BANGALONE
Wie gehen wir mit dem schnellen Wachstum unserer Städte um? Wie beeinflusst der enorme Wandel unseres unmittelbaren Umfelds unseren Alltag und unseren Seelenzustand?
Bangalore, einst eine „Gartenstadt", ist heute Indiens IT-Zentrum und in den letzten Jahren derart gewachsen, dass wenig übrig bleibt von der Ursprünglichkeit und dem einstigen Erscheinungsbild der Stadt. Der rasend schnelle Alltag und Wegfall des Natürlichen verhindert eine Verbindung der Einwohner zu ihrer Stadt. Und so passiert es schnell, dass sich auch die Einsamkeit in das Leben der Menschen einschleicht.
BANGALONE möchte einen Einblick verschaffen in eine Realität, die vermeintlich unsichtbar ist. Wenn man aber jenseits des Offensichtlichen genauer hinsieht und versucht aus der Vogelperspektive der Schnelligkeit der Stadt zu entfliehen, dann kann man eine klagende Stadt erkennen. Eine Stadt, die ihre natürlichste aller Formen verliert: ihre Natur und ihre Menschen. Die Publikation BANGALONE macht es sich zum Ziel diesen Zustand zu dokumentieren und das aufzuzeigen, was eher ungesehen bleibt.